Spielen bis zur Selbstaufgabe
Die Entwicklung von Videospielen ist ein Privileg. Doch um in dieser Branche zu bestehen, gehen Menschen an ihre existenziellen Grenzen. Denn oft führt nur Selbstaufgabe zum Erfolg.
Es war Ende der 1990er, und für den nächsten Tag stand die Gynäkologieprüfung an. Doch anstatt zu lernen, verbrachte der damalige Krankenpflegeschüler Reinhard Schmid die ganze Nacht mit Lara Croft und erforschte die Gräber von Tomb Raider. „Die Prüfung habe ich natürlich nicht geschafft. Für mich war das damals ein Knackpunkt. Da war für mich klar, jetzt musst du irgendwie probieren, mit Games Geld zu verdienen“, erinnert sich der niederösterreichische Spielentwickler an seine Anfänge.
„Es war immens schwer früher. Es gab ein paar Bücher, aber sonst eigentlich nichts“, sagt der mittlerweile 38-Jährige, der im Laufe seiner Karriere bereits beim ikonischen Studio Rockstar Games genauso zu Hause war wie bei Disneys ehemaligem Team von Blackrock. Heutzutage sei der Einstieg dank kostenloser Entwicklungssoftware wie Unity und der Unreal Engine, die früher um mehrere Hunderttausend Dollar verkauft wurde, und dank eines schier endlosen Fundus an Howto-Videos auf Youtube wesentlich leichter. Der Weg in die Branche selbst und letztendlich zu einem erfolgreichen Spiel sei aber steinig wie eh und je.
„Es ist verrückt“
Den Grund dafür sieht Schmid in der Professionalisierung der Videospielindustrie, die in den vergangenen 20 Jahren stattgefunden hat. Heute buhlen Hersteller in einem Markt, der 2017 laut Newzoo-Analyse weltweit fast 120 Milliarden Dollar umgesetzt hat, um die Gunst von rund zwei Milliarden am Handy, PC oder auf der Konsole spielenden Konsumenten. Und die Fülle an Angeboten ist enorm: Im vergangenen Jahr erschienen mehr als 6000 Games allein auf der PC-Spiele-Plattform Steam, in Apples App Store waren es sogar mehrere Zehntausend. Die Konsolencharts dominieren die großen Marken, dazwischen ist nur wenig Platz für Newcomer. Wer heute mit seinem Spiel auffallen möchte und nicht Teil eines Konzerns wie Activision oder Electronic Arts ist, brauche im wesentlichen vier Zutaten: Bereitschaft zur Selbstaufgabe, ein attraktives Alleinstellungsmerkmal, Qualität und viel Geld.
„Es ist verrückt“, sagt Thomas Mahler, der 2015 mit Ori and the Blind Forest sowohl bei den Kritikern als auch an den Kassen einen Welterfolg feiern konnte. Richtig große Games, sogenannte AAAProduktionen, wie etwa Grand Theft Auto 5 oder Assassin’s Creed Origins haben mittlerweile ein Budget von mehr als 100 Millionen Dollar und beschäftigen über Jahre hunderte Mitarbeiter. Doch selbst kleinere Werke unabhängiger Studios seien ohne Investoren, Herausgeber, große Crowdfundingkampagnen oder vorangegangene Hits kaum zu finanzieren.
„Drei Millionen Dollar sind ein Furz für Spielentwicklung. Das ist nichts“, sagt Mahler, der es als CGI-Artist nach seinem Studium der Bildhauerei bis zum Kulthersteller Blizzard schaffte und 2010 die in Wien firmierenden Moon Studios gründete. Zwar gebe es noch die Ausreißer, die von zwei Entwicklern in der Garage programmiert werden, doch selbst im Indie-Segment hat bereits ein Aufrüsten mit Teams von einem oder zwei Dutzend Entwicklern begonnen. „Ich habe damals 60.000 Dollar auf die Seite legen können und mir gedacht, das wird schon reichen“, blickt Mahler schmunzelnd zurück. Als es zur Planung ging, sei schnell klar geworden, dass dies nicht reichen würde. Für einen Entwickler müsse man pro Jahr Kosten von rund 100.000 Dollar einrechnen. Darin inkludiert sind Gehalt, Abgaben, Infrastrukturkosten und Softwarelizenzen. Deshalb entschied man sich alsbald für einen Deal mit Microsoft, selbst wenn dies bedeutete, die Rechte an der Ori zu verkaufen.
„Heute würde ich das nie wieder machen“, so der 33-jährige Mahler, der sich mit Schirmmütze auf dem Kopf und Pfeife im Mundwinkel gerne etwas älter wirken lässt. Ende 20 hatte er jedoch keine Wahl. „Wir haben nach einem ordentlichen Budget gefragt, und wenn du neu bist, hast du nicht viel Leverage.“Auf die Fertigstellung folge dann der Druck, das letztlich nur geliehene Geld des Herausgebers wieder zurückzuzahlen, bevor man Gewinn macht.
„Die Fernwärme gekündigt“
Über derartige „First World Problems“kann Kollege Schmid nur wohlwollend lachen. „Der Weg dorthin ist super hart. Die Spielindustrie ist eine Top- oder FlopBranche, und du musst erst einmal all deine Flops überleben.“Als Schmid zusammen mit ExFrau Gila vor ein paar Jahren das Indie-Studio Double Smith gegründet hatte, machte man mit kontroversen Spielen wie mit Poledance Simulator, das Hitler an der Stange tanzen ließ, auf sich aufmerksam. Und ging dabei an die existenziellen Grenzen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
„Wir haben damals die Fernwärme gekündigt, was keine gute Idee war. Man hat auf einen mil- den Winter gehofft. Es war leider nicht so“, erzählt der Entwickler. Die Motivation zur Selbstaufgabe sieht Schmid wie Mahler in dem Privileg, künstlerisch tätig sein zu dürfen. Dafür müsse man bereit sein, täglich zwölf Stunden und auch an Wochenenden zu arbeiten, wollte man in einem internationalen Markt bestehen.
„Man muss auch ein bisschen verrückt sein, das Ganze mitzumachen, aber es ist eine Art Sucht. Man sieht dauernd den Hit vor sich herumschwirren, und man will dort hin und geht dafür wie ein Glücksspieler extreme Risiken ein“, sagt Schmid. „Das ist ganz schwierig, wenn du mitten im Leben stehst, Kinder zu Hause hast und alles unter einen Hut bringen willst.“Mahler verweist auf die Schöpfer des 2017 erschienenen Comic-Shooters Cuphead, die zur Vollendung ihres Werks ihre Häuser verkauft hatten. Ein Gamble, der glücklicherweise mit Millionenverkäufen belohnt wurde.
Wie schnell ein ausbleibender Erfolg das Ende bedeuten kann, zeigten im vergangenen Jahr auch die Insolvenzen zweier österreichischer Studios. Mit Sproing und Social Spiel mussten zwei der bisher größten heimischen Hersteller zusperren. Auf der anderen Seite konnten mit den Mobile-Games Frost von Kunabi Bros und Old Man’s Journey von Broken Rules auch internationale Erfolge gefeiert werden. Das Geheimnis hinter einem Hit sehen Mahler und Schmid in der Innovationsfreudigkeit und in dem Fokus auf Qualität, was sie auch bei ihren neuen, noch geheimen Projekten verfolgen. Das größte Problem sei die schwierige Planbarkeit von Videospielen.
Durch die Möglichkeit, zu interagieren, werde die Entwicklung zu einem komplexen Unterfangen, bei dem Ideen und Mechaniken manchmal in jahrelangen Vorproduktionsphasen getestet werden müssen, bevor es an die Ausarbeitung der Inhalte geht. Anders als bei Filmen, die nach genauen Drehplänen produziert werden, können hier Fehler in der Pre-Production oder Richtungsänderungen die Entwicklung um Monate zurückwerfen. Auch bei Projekten mit 200 Leuten kann dann nur das Kernteam zurück ans Reißbrett, während der Rest im Leerlauf Geld verbrennt. Ein Grund, weshalb Herausgeber verliebt in Fortsetzungen sind. Denn erst im zweiten Anlauf würden Spiele kalkulierbar.
„Schmeiß dein Ego weg“
Ein gutes Spiel abzuliefern sei daher in erster Linie nicht nur eine Frage des Geldes, sondern liege in der Bereitschaft, die eigenen Schöpfungen stets zu verbessern. „Der erste Wurf ist immer shit“, sagt Mahler und betont, dass das selbst bei den angesehensten Studios nicht anders sei. „Bei Blizzard sind die Leute auch nicht schlauer als sonst wo, aber sie bleiben einfach länger sitzen, bis sie zufrieden sind.“
Schmid fügt hinzu, wie wichtig es sei, auf Feedback zu hören. „Iteration macht gute Spiele.“Oft fehle der Mut, Sachen umzukrempeln. „Du musst dein Ego wegschmeißen. Du darfst nicht zu sehr in Liebe verfallen mit deiner Arbeit“, schließt Mahler und gibt Nachwuchstalenten vor allem einen Rat: „Da ist diese Theorie von den 10.000 Stunden, die es braucht, um ein Handwerk zu beherrschen. Mach zehn beschissene Spiele, bis du wirklich weißt, wie man ein gutes Spiel macht. Da muss jeder durchgehen.“