Regierung plant Zuckerl für Alleinerzieher
Österreich sucht deutsches Jobwunder
Wien – Die Regierung will den „Familienbonus Plus“am Mittwoch im Ministerrat beschließen. Damit sollen Familien, die Einkommenssteuer zahlen, ab 2019 mit 1500 Euro pro Kind und Jahr entlastet werden. Laut Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) profitieren davon zwei Drittel der 1,7 Millionen Kinder – allerdings ist der Nachwuchs von Niedrigverdienern, die nur rund 1250 Euro monatlich verdienen, die also keine Einkommenssteuer zahlen, von der Vergünstigung ausgeschlossen.
Ebenfalls keinen Anspruch haben Eltern jener 132.000 Kinder, für die zwar Familienbeihilfe bezogen wird, die aber in EU- und EWR-Staaten leben – den meisten von ihnen wird sogar die Familienbeihilfe gekürzt. Kritik an den Plänen kommt von SPÖ und Liste Pilz. Tenor: Nur wo hohe Einkommen vorhanden seien, ließe sich der Bonus gut ausschöpfen. Löger will jedoch zur Wochenmitte auch einen Vorschlag präsentieren, wie nichtsteuerzahlende Alleinerzieher und Familien mit Kindern über 18 profitieren können.
Hartz IV befürchtet
Noch etwas länger dauern wird es, bis Vorschläge zur Arbeitsmarktreform vorliegen. Wie berichtet, plant die Regierung die Abschaffung der Notstandshilfe, die in einem neuen Arbeitslosengeld aufgehen soll. Unklar ist bisher, wie stark man sich dabei an den deutschen Hartz-IV-Reformen orientieren will. Seit der Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe vor über einem Jahrzehnt ist die Beschäftigungslosigkeit in Deutschland deutlich gesunken. Ökonomen sind allerdings skeptisch, ob die Reform für die Trendwende in der Bundesrepublik verantwortlich ist. Vielmehr führen sie die globale Konjunktur ins Feld. Kritiker befürchten einen Anstieg der Working Poor. (red)
Die Wirtschaft wächst kräftig, trotzdem finden viele Menschen in Österreich keinen Job. Nun wird nach deutschem Vorbild diskutiert, ob es stärkere Anreize dafür braucht, sich Arbeit zu suchen. Ein Überblick, was sich hinter Hartz IV verbirgt und welche Folgen mit dieser Umwälzung des Sozialsystems verbunden waren.
Hartz IV wird es bei mir nicht geben.“Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) wird nicht müde zu betonen, dass man sich bei der Reform des heimischen Arbeitslosengeldes nicht am deutschen Nachbarn orientieren werde. Genau das befürchten aber die Gegner einer Änderung, seit sich im türkis-blauen Regierungsprogramm der Plan findet, die Notstandshilfe abzuschaffen und im Arbeitslosengeld neu aufgehen zu lassen.
Die Ausgangslage Hintergrund des Vorhabens sind die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Arbeitslosenzahlen, erst seit einigen Monaten gibt es einen gegenläufigen Trend. Wie berichtet ist allein die Zahl der Notstandshilfebezieher seit 2010 von 98.000 auf 167.000 im Jahr 2016 gestiegen. Die Arbeitslosenquote ist im gleichen Zeitraum von 4,8 Prozent auf 6,0 Prozent gestiegen (siehe Grafik). In Deutschland gab es den genau gegenteiligen Trend.
Krise oder fehlende Anreize Die politische Diskussion, die dahintersteht, lautet nun: Geht der Anstieg in Österreich nur auf die schlechte Konjunktur in den Jahren nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zurück, oder bestehen auch zu wenige Anreize, sich Arbeit zu suchen? Wirtschaftsvertreter verweisen gerne darauf, es sei etwa im Tourismus schwierig, Personal zu finden. Zuletzt beklagten aber auch andere Branchen, man finde keine Mitarbeiter, die sogenannte Mangelberufsliste wurde deutlich ausgeweitet. Für Berufe, die auf dieser Liste stehen, dürfen sich die Arbeitgeber Fachkräfte aus Drittstaaten suchen. Auf der anderen Seite zeigen Analysen aber auch immer wieder, dass die Firmen grosso modo nicht lange suchen müssen. So können 95 Prozent aller offenen Stellen binnen drei Monaten besetzt werden, wie eine AMS-Auswertung im Vorjahr zeigte. Nach fünf Monaten sind es sogar 99,9 Prozent der gemeldeten Stellen.
Der Koalitionspakt Die Regierung sieht aber offenbar Handlungsbedarf, Beschäftigungsanreize sollen verstärkt, „Inaktivitätsfallen beseitigt werden“, wie es heißt. Erreicht werden soll das durch ein im Zeitverlauf absinkendes Arbeitslosengeld. Ein solches hat auch AMS-Chef Johannes Kopf immer wieder vorgeschlagen. Rund um Einkommenssprünge sei die Jobaufnahme höher, so das Argument. Wie berichtet liegt Österreich im internationalen Vergleich bei den Leistungen für Langzeitarbeitslose tatsächlich im Spitzenfeld, in der ersten Phase zahlt man dafür relativ wenig. Geplant ist auch, die den Arbeitslosen zumutbaren Wegzeiten von eineinhalb auf zwei Stunden auszuweiten und den Berufsschutz „in Richtung stärkerer Arbeitsanreize“zu reformieren. Konkretes dazu findet sich im Regierungsprogramm aber nicht.
Drei Schienen Derzeit gibt es in Österreich drei Schienen der Absicherung. Zunächst das Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung. Die Ansprüche variieren nach Alter und Anzahl der Versicherungsmonate. Im Anschluss kann, theoretisch bis zur Pension, die etwas niedrigere Notstandshilfe beantragt werden, die ebenfalls eine Versicherungsleistung ist. Und schließlich gibt es noch die Mindestsicherung, die grundsätzlich allen offensteht. Für sie sind die Länder zuständig, daher variieren die Leistungen. Der Datenaustausch mit dem AMS ist seit jeher ein Problem, wie dessen Experten mehrfach beklagten.
Die Folgen Wie stark sich Österreich nun an Deutschland annähern wird und wie genau mit den bisherigen Notstandshilfebeziehern künftig umgegangen werden soll, ist mangels konkreter Entwürfe noch unklar. Hartinger hat mehrfach betont, bei Langzeitarbeitslosen auch in Zukunft nicht auf das Vermögen zugreifen zu wollen (bei der Mindestsicherung ist das bis auf eine Freigrenze von 4200 Euro der Fall).
Eine Studie im Auftrag des Finanzministeriums zeigte im Vorjahr jedenfalls, dass eine Überführung der Notstandshilfe in eine Mindestsicherung nach Hartz-IV-Vorbild im Schnitt zu jährlichen Einbußen von 1300 Euro pro Bezieher führen würde. Bei strengen Vermögenstests würden die Einbußen auf bis zu 2300 Euro steigen. Für die Autoren ist aber auch klar: Die Armutsgefährdung würde in Österreich steigen. Dazu kommen gesellschaftliche Folgekosten, die aufgrund eines Anstiegs der Armut entstehen. Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.
Für die einen ist Peter Hartz ein Held, die anderen machen seine Ideen für mehr Armut verantwortlich. Fest steht, der ehemalige VW-Personalvorstand und Namensgeber der deutschen Arbeitsmarktreformen hat das Sozialsystem in seinem Land umgekrempelt.
Die Ausgangslage Das größte Problem für Europa ist, wie man die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kriegt, schrieb die britische Zeitschrift The Economist im Jahr 1999. Noch 2005 firmierte die Bundesrepublik als Problemfall in Europa. Selbst in Westdeutschland kletterte die Arbeitslosigkeit über die Zehn-Prozent-Marke, im Osten lag sie sogar über 20 Prozent. Mehr als 1,8 Millionen Deutsche erhielten 2004 Arbeitslosengeld. Weitere zwei Millionen waren auf die Folgeleistung, die Arbeitslosenhilfe, angewiesen. Dieses System schuf eine Parallelwelt zwischen Personen, die gearbeitet haben, und Menschen, die nie Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Denn weitere rund zweieinhalb Millionen Sozialhilfeempfänger waren nicht im Fokus einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Sowohl der Bund als auch die Kommunen haben Geldleistungen an Sozialhilfebezieher ausbezahlt. Der Datenaustausch zwischen den Gebietskörperschaften war unzureichend.
Die politische Antwort auf die prekäre Lage kam in Form der in den Jahren 2003 bis 2005 umgesetzten „Agenda 2010“der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder – Hartz IV ist wohl die bekannteste und sicherlich berüchtigste Maßnahme.
Die Hartz-Reform Seit 2005 gibt es in Deutschland ein Arbeitslosengeld I, das in der Regel zwölf Monate, bei Älteren bis zu zwei Jahre bezahlt wird. Voraussetzung ist, dass man zumindest zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Im Schnitt ist das Arbeitslosengeld I höher als in Österreich, laut OECD-Daten kommen die Bezieher, wie berichtet, auf knapp 60 Prozent des letzten Nettoeinkommens.
Wer dann noch keinen Job hat, kann das Arbeitslosengeld II beantragen, das die Sozialhilfe ersetzt hat. Es ist keine Versicherungsleistung, sondern eine steuerfinanzierte Versorgungsleistung. Es gibt verschiedene Regelsätze für unterschiedliche Gruppen. Für Alleinstehende liegt er 2018 bei 423 Euro, für Jugendliche von 14 bis 18 gibt es 321 Euro. Zusätzlich werden aber von den Kommunen die Kosten für angemessene Unterkunft und Heizung übernommen.
Die Vermögensfreigrenzen sind nach Alter gestaffelt. Der Mindestfreibetrag liegt bei 3100 Euro, bei Älteren steigt er auf rund 10.000 Euro. Zum Vergleich: Bei der Mindestsicherung in Österreich muss Vermögen bis auf rund 4200 Euro aufgebraucht werden. Ein Auto bzw. eine angemessene Eigentumswohnung ist, wie auch in der Mindestsicherung, bei der Vermögensanrechnung ausgenommen. Allerdings kontrollieren die Deutschen genauer: Behörden dürfen Einsicht in Konten nehmen, in Österreich geht das nicht.
Bezieher von Arbeitslosengeld II müssen grundsätzlich auch jede Art von Arbeit annehmen, zu der sie in der Lage sind – auch sogenannte Minijobs. Die Zumutbarkeitsbestimmungen sind also in Deutschland strenger als in Österreich.
Die Folgen Unbeeindruckt von der Finanzkrise 2008 sank die Arbeitslosigkeit in Deutschland nach Einführung der Hartz-Reformen auf nunmehr rund vier Prozent. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ging zurück (siehe Grafik). Experten sind sich jedoch uneinig, welche Rolle Hartz IV dabei gespielt hat. Viele Ökonomen verweisen auf die gute Konjunktur vor 2009 sowie die deutsche Exportstärke dank des Booms in den Schwellenländern. Fest steht, die Parallelwelt im Sozialbereich ist verschwunden: Der ehemalige Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise resümierte später, dass dank Hartz IV in vielen Kommunen bis zu 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger als erwerbsfähig identifiziert wurden. Dazu hätte aber die Systemumstellung ausgereicht. Wie effektiv die Verschärfungen bei der Zumutbarkeit waren, ist noch umstrittener. Denn die Zahl der Working Poor in Deutschland ist heute doppelt so hoch wie vor der Reform, als viele der Betroffene einfach als „poor“galten.
Christian Kern läuft langsam zur Hochform auf. Nach einem schwierigen Start glaubt der Exkanzler zusehends Angriffsflächen in den Plänen der neuen Regierung zu entdecken. Da gehen Äußerungen wie Demolierung des Sozialstaates leicht von der Zunge. Insbesondere die angeblich von Schwarz-Blau gewälzten Copy-PastePläne betreffend Hartz IV werden von Kritikern torpediert. Die dem deutschen Sozialsystem attestierte Kälte macht sich im Politschaukampf besonders gut.
Sachdiskussionen sind in einem derart aufgeladenen Umfeld schwer möglich. Dabei wären sie wichtig. Die aktuellen Entspannungstendenzen am österreichischen Arbeitsmarkt können die strukturellen Schwachstellen nicht übertünchen. Vor allem die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen und hier wiederum unter älteren Personen gibt zu denken. Jüngste Zahlen zeigen, dass eine echte Erholung trotz massiver Jobzuwächse ausbleibt. Daher muss die Frage gestellt werden, ob die Anreizsysteme funktionieren.
Österreich weist hier zwei Besonderheiten auf: Wer länger arbeitslos ist, muss kaum Einkommenseinbußen hinnehmen. Und bei Entgelt, Qualifikation oder Erreichbarkeit einer potenziellen neuen Stelle sind Jobsuchende gut geschützt. Beide Faktoren zusammengenommen können dazu führen, dass offene Stellen nicht besetzt und gleichzeitig die Sozialkassen strapaziert werden. Hier ist nicht von der weitaus überwiegenden Zahl jener Menschen die Rede, die auch nach der hundertsten Bewerbung nicht aufgeben. Und hier wird auch nicht vorgegaukelt, dass die erwähnten Schutzmechanismen für das Gros der Arbeitsmarktprobleme verantwortlich sind.
Aber über eine Anpassung des Systems darf angesichts des hohen Einsatzes steuerlicher Mittel und der zusehends auftretenden Probleme bei der Besetzung bestimmter Arbeitsplätze nachgedacht werden. Ebenso wie über eine Abflachung der Lohnkurve, ohne dabei das Lebenseinkommen zu beeinträchtigen, oder über eine integrierte Betrachtung der Pensions- und Arbeitsmarktproblematik.
Der internationale Vergleich, vor allem jener mit skandinavischen Ländern, zeigt, dass die Anreize zur Annahme einer Stelle hierzulande besonders gering sind und u. a. deshalb die Beschäftigung Älterer sehr niedrig ist. Für Österreich gibt es also viel Potenzial zur Verbesserung des Sozialsystems, ohne dass Hartz IV gleich kopiert werden müsste. Mit Reflexen löst man allerdings keine Probleme.