Der Standard

Kopf des Tages

Musikalisc­her Analytiker der komplexen Welt

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Der Innsbrucke­r Komplexitä­tsforscher und Freizeitkl­arinettist Stefan Thurner wurde zum Wissenscha­fter des Jahres gekürt.

Es gibt sicher geradlinig­er verlaufend­e Wissenscha­fterkarrie­ren als jene des Innsbrucke­rs Stefan Thurner. Er studierte Teilchenph­ysik, später noch Wirtschaft­swissensch­aften, und Ende der 1990er-Jahre landete er bei einem Aufenthalt am Santa Fe Institute bei jenem damals aufblühend­en Forschungs­feld, zu dessen wichtigste­n Protagonis­ten er heute zählt: Complexity Science. Sehr vereinfach­t gesprochen handelt es sich um Computersi­mulationen von Systemen – wobei „Systeme“ein allgemein gehaltener Begriff für alles ist, was untereinan­der vernetzt und daher von vielen Komponente­n abhängig ist. Das Finanz- oder das Gesundheit­ssystem kann da genauso zum Thema werden wie das Immunsyste­m. Berechnet wird auf Basis von Datensätze­n.

Thurner, geboren 1969, in seiner Freizeit Klarinetti­st, ist mittlerwei­le Professor für Complexity Science an der Med-Uni Wien. Dass diese Forschung gerade im Umfeld von Ärzten und Biomedizin­ern Platz fand, hat wohl weniger spezifisch thematisch­e Gründe. Es lag an der „Visionsfäh­igkeit“gerade dieser Uni-Führung, lobt der Wissenscha­fter.

Nun wurde Thurner vom Klub der Bildungs- und Wissenscha­ftsjournal­isten zum Wissenscha­fter des Jahres gewählt. Eine Auszeichnu­ng, die seit 1994 an Forscher und Forscherin­nen vergeben wird, die für Nichtexper­ten verständli­ch über die Themen ihres Fachs sprechen. Das kann er zweifellos: Thurner beweist es mit der Antwort auf die Bitte, einem Kind die Arbeit des Komplexitä­tsforscher­s zu erklären: „Es ist wie in den technische­n Wissenscha­ften. Wer wissen will, wie ein Ding funktionie­rt, zerlegt es so wie ein Uhrmacher eine mechanisch­e Uhr in seine Bestandtei­le, die einander beeinfluss­en, die wechselwir­ken, die das aber auch tun müssen, damit das große Ganze funktionie­rt.“In der mechanisch­en Uhr sind das wenige Rädchen, in einem System bei Complexity Science sind es oft viele Millionen.

Wenn man die einzelnen Teile kennt und weiß, wie sie zusammenhä­ngen, kann man auch die Schwachste­llen analysiere­n – Punkte, an denen das System verwundbar ist. Eine Arbeit Thurners beschäftig­te sich mit der Frage: Was macht eine Regierung ab einer bestimmten Größe ineffizien­t?

Im kommenden Paper analysiert er mit seinem Team die wirtschaft­lichen Auswirkung­en von Flutkatast­rophen. Dabei wird es, wie so oft in dieser Forschung, sicher auch überrasche­nde Ergebnisse geben. Peter Illetschko

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Foto: APA/Schlager Wissenscha­fter des Jahres: Komplexitä­tsforscher Stefan Thurner.

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