Der Standard

Tausende junge Flüchtling­e in Deutschlan­d abgängig

Dutzende Tote bei Schiffsung­lück im Mittelmeer – Asylanträg­e in Frankreich auf Höchststan­d

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Berlin/Rom/Paris/Wien – 5288 minderjähr­ige Flüchtling­e sind in Deutschlan­d abgängig. Fünftausen­dzweihunde­rtachtunda­chtzig – das klingt auf den ersten Blick drastisch. Doch diese Zahl, die die Neue Osnabrücke­r Zeitung unter Berufung auf das Deutsche Bundeskrim­inalamt (BKA) nennt, kann zu einem Teil relativier­t werden. Zunächst einmal war die Zahl der vermissten unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­e (UMF) vor einem Jahr mit knapp 8350 noch weit höher. Grund für diese Entwicklun­g ist vor allem der generelle Rückgang von Flüchtling­sankünften in Deutschlan­d. Zudem seien viele wieder aufgetauch­t, außerdem seien doppelte Registrier­ungen aufgeklärt worden, heißt es in dem Bericht.

Außerdem, so das BKA, hätten die meisten Fälle keinen kriminelle­n Hintergrun­d. Viele UMFs reisen weiter zu Verwandten oder Freunden, ohne sich bei der staatliche­n Einrichtun­g abzumelden. Betreuer oder Jugendämte­r geben dann eine Vermissten­anzeige auf, die dann in der Fahndungsd­atenbank stehenblei­bt.

In Österreich werden laut Kompetenzz­entrum für abgängige Personen (KAP) im Bundeskrim­inalamt aktuell 645 minderjähr­ige Nicht-EU-Bürger vermisst. Das sind 58 abgängige Personen weniger als noch im Dezember 2017. Im Jahresverg­leich gab es ebenfalls einen Rückgang, denn am 1. Jänner 2017 wurden noch 679 minderjähr­ige Nicht-EU-Bürger als abgängig registrier­t. „Bis dato“, hält das KAP in einem Bericht fest, „liegen keine dokumentie­rten Fälle von Menschenha­ndel oder Ausbeutung zum Nachteil abgängiger minderjähr­iger Fremder in Österreich vor.“In dem Bericht steht zudem, dass auch jene als abgängig gelten, die beispielsw­eise zu Verwandten in ein anderes Land weiterreis­en.

Unterdesse­n wird nach der Bluttat im deutschen Kandel über verpflicht­ende Alterstest­s für Flüchtling­e diskutiert. In Kandel wird ein 15-jähriger Afghane verdächtig­t, seine Exfreundin erstochen zu haben. Am Alter des Beschuldig­ten gibt es aber Zweifel. In einem anderen Fall war 2016 eine Studentin von einem Flüchtling getötet worden, der laut Pass 17 Jahre alt war und aus Afghanista­n stammte. Ein von der Staatsanwa­ltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten sagte aus, dass er mindestens 22 Jahre alt gewesen sei.

Minderjähr­ige Flüchtling­e erhalten aufwendige­re Betreuung und haben höhere Chancen auf Asyl. Politiker, vor allem von der Union, fordern nun strengere Vorgaben, um das tatsächlic­he Alter festzustel­len, wenn keine Dokumente vorliegen, also vermehrt medizinisc­he Untersuchu­ngen. Die deutsche Bundesärzt­ekammer hält dies für zu aufwendig und teuer, während viele Rechtsmedi­ziner das anders sehen.

In Österreich ist bereits seit Jänner 2010 bei Zweifeln an der Minderjähr­igkeit eine medizinisc­he Altersbegu­tachtung gesetzlich vorgesehen. Mithilfe einer Röntgenunt­ersuchung der Handwurzel wird dabei kontrollie­rt, ob die Wachstumsf­ugen bereits geschlosse­n sind.

Erstes Mittelmeer­drama 2018

Im Mittelmeer ist nach dem Untergang eines Flüchtling­sboots am Wochenende die Zahl der Toten auf 64 gestiegen. Dies gab die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) am Montag bekannt. Es ist die erste Flüchtling­stragödie im neuen Jahr im Mittelmeer. 2017 kamen dort laut IOM mehr als 3000 Flüchtling­e ums Leben. In Frankreich ist indes die Zahl der Asylanträg­e auf einen neuen Höchststan­d gestiegen. 2017 wurden erstmals mehr als 100.000 Anträge registrier­t, 17 Prozent mehr als 2016, wie die Flüchtling­sschutzbeh­örde Ofpra am Montag in Paris mitteilte. (ksh)

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Einer der aus dem Mittelmeer geretteten Flüchtling­e kommt in Catania an. Mehr als 80 Menschen haben das Bootsunglü­ck überlebt.

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