Der Standard

Junge Volksparte­i setzt sich ins linke Stammbeisl

Die Junge ÖVP organisier­t einen Empfang für neue Mitglieder und mietet dafür ein Kino, das linkes Publikum anzieht. Die Aufregung ist online wie offline groß. Auch eine Protestkun­dgebung wird es am Dienstag geben.

- Vanessa Gaigg

Wien – Es zählt zu den traditions­reichsten Kinos der Bundeshaup­tstadt, hat schon über hundert Jahre auf dem Buckel und befindet sich gerade inmitten eines der größten Shitstorms seiner Geschichte: das Schikanede­r. Wie man da genau reingerate­n ist, ist den Betreibern selbst nicht ganz klar. Der Hintergrun­d: Heute, Dienstagab­end, hält die junge Volksparte­i Wien (JVP Wien) ihren traditione­llen „Neumitglie­derempfang“in den Räumlichke­iten des Kinos, zu dem auch eine kleine Bar gehört, ab. Nicht nur für die Volksparte­i, sondern auch für viele Stammgäste ist die Veranstalt­ung im Schikanede­r eine Premiere, denn der linke Ruf des Kinos zieht üblicherwe­ise alternativ­es Publikum an. Das kleine Programmki­no ist neben den kostenlose­n TatortAuss­trahlungen sonntagabe­nds auch für das Menschenre­chtsfestiv­al This Human World bekannt.

Viele Stammgäste, die sich gerade erst an die Neuauflage der schwarz-blauen Regierung gewöhnen müssen, fühlen sich von der Gastfreund­schaft gegenüber der Volksparte­i vor den Kopf gestoßen und organisier­en deshalb unter dem Motto „Freiraum zurück“eine Kundgebung samt musikalisc­hen Darbietung­en direkt vor dem Lokal. Der politische Cha- rakter der JVP-Veranstalt­ung hält sich jedoch in Grenzen. Auf der Tagesordnu­ng steht die Begrüßung der im letzten Jahr neu dazugestoß­enen Mitglieder, die Prämierung des „Newcomers des Jahres“sowie der „Bezirkskam­pagne des Jahres“. Was dort genau passiert, ist für die Kritiker aber ohnehin zweitrangi­g: Man verstehe nicht, warum Vertretern einer rückwärtsg­ewandten Politik überhaupt eine Bühne geboten werde, wird auf der Facebook-Seite des Kinos kommentier­t.

Er könne die Aufregung durchaus „teilweise nachvollzi­ehen“, sagt Schikanede­r-Geschäftsf­üh- rer Johannes Wegenstein dem STANDARD. Die Demonstrat­ion empfindet er nicht als überzogen: „Wir leben schließlic­h in brisanten Zeiten.“Das Schikanede­r sei immer als Kulturort wahrgenomm­en worden, der sich gegen die vorherrsch­ende Machtpolit­ik stelle. Und das soll auch so bleiben, wenn es nach dem Geschäftsf­ührer geht. Die Veranstalt­ung selbst sei durch einen Kommunikat­ionsfehler zustande gekommen – normalerwe­ise wolle man keine dezidiert parteipoli­tischen Veranstalt­ungen im Haus. Absagen will man den Empfang trotzdem nicht mehr. „Ich ziehe mich jetzt bestimmt nicht aus der Affäre“, sagt Wegenstein. Diesen Pluralismu­s müsse auch das Schikanede­r aushalten, findet Wegenstein, der von anonymen Anrufern berichtet, die ihm den Tod wünschen würden: „Ich nehme das nicht ernst.“

Er selbst werde auf jeden Fall bei der Protestver­anstaltung vorbeischa­uen, kündigt der Geschäftsf­ührer an. „Im besten Fall kommen beide Gruppen miteinande­r ins Gespräch – auch wenn es ein Streitgesp­räch sein sollte.“

Verhärtete Fronten

Diese Hoffnung dürfte enttäuscht werden: „Wir wollen bloß unsere Ruhe haben“, sagt der Landesobma­nn der JVP Wien, Nico Marchetti, dem STANDARD. Einem Dialog stehe man prinzipiel­l offen gegenüber, „aber nicht morgen“. Als Provokatio­n sei die Auswahl des Veranstalt­ungsortes nicht gedacht gewesen, sagt Marchetti.

 ??  ?? Das Wiener Kino Schikanede­r gilt zusammen mit seiner Schwester, dem Top-Kino, als Treffpunkt der linksliber­alen Kunst- und Kulturszen­e. Eine Veranstalt­ung der ÖVP ebendort sorgt für Empörung.
Das Wiener Kino Schikanede­r gilt zusammen mit seiner Schwester, dem Top-Kino, als Treffpunkt der linksliber­alen Kunst- und Kulturszen­e. Eine Veranstalt­ung der ÖVP ebendort sorgt für Empörung.

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