Der Standard

Sinnloser Grenzstrei­t

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Die Nachbarsch­aft sei keine Gewähr für gutnachbar­schaftlich­e Gefühle, stellte der kanadische Spitzenöko­nom Jacob Viner einmal fest. Für die Relevanz seiner Warnung liefert die mittel- und osteuropäi­sche Geschichte zahlreiche Beispiele, auch in Fällen, wo keine Minderheit­enkonflikt­e im Spiel sind. Die Sprengkraf­t des großserbis­chen Hegemonies­trebens und der dadurch ausgelöste­n nationalis­tischen Gegenreakt­ionen hat die Jugoslawie­nkriege ausgelöst. Bei dem politische­n Richtungsk­ampf und dann bei dem Unabhängig­keitskrieg haben Slowenien und Kroatien eng zusammenge­arbeitet.

Slowenien, die mit Abstand wirtschaft­lich erfolgreic­hste ehemalige Teilrepubl­ik Jugoslawie­ns, erwies sich auch als Schrittmac­her Südosteuro­pas bei der europäisch­en Integratio­n. Seit 2004 in der EU und seit 2007 in der Eurozone, konnten die 2,1 Millionen Slowenen als Erste aus dem gescheiter­ten Vielvölker­staat Jugoslawie­n die Vorteile der Zugehörigk­eit zur EU genießen. Obwohl beide Staaten Nato-Mitglieder geworden sind (Slowenien 2004, Kroatien 2009), löste ein ungelöster Grenzstrei­t um die Hoheitsgew­ässer in der Bucht von Piran, eine Frage die im alten Jugoslawie­n freilich nie thematisie­rt wurde, bereits früh einen grotesken zwischenst­aatlichen Konflikt aus.

Im Dezember 2008 blockierte Slowenien sogar durch sein Veto die Brüsseler Gespräche über die EU-Mitgliedsc­haft Kroatiens, um seinen Zugang zu internatio­nalen Gewässern durch die Kontrolle der Bucht zu sichern. Dabei hatten sich beide (damals sozialdemo­kra- tisch geführten) Regierunge­n bereits 2001 auf ein Abkommen geeinigt, mit Zugang für Slowenien zur freien See und im Ausgleich über die Abgabe einiger slowenisch­er Gebiete an Kroatien. Der Vertrag wurde allerdings von der kroatische­n Öffentlich­keit heftig kritisiert und schließlic­h vom kroatische­n Parlament abgelehnt. Der Weg Kroatiens zur EU wurde dann doch durch die Einigung der beiden Staaten 2012 auf ein internatio­nales Schiedsger­icht freigemach­t.

Im Juni 2017 sprach das Schiedsger­icht 80 Prozent der Bucht Slowenien zu. Zum Jahresende nach der Umsetzung der neuen Seegrenze zu Kroatien und der offizielle­n Übernahme der Kontrolle der Bucht von Piran durch Slowenien kam es wieder zu einem offenen Konflikt zwischen den slawischen Brüdern und Nachbarn. Kroatien erkennt den Schiedsspr­uch und die Grenzziehu­ng nicht an. Wie berichtet ( der STANDARD, 30./31. 12.), verlief die erste Konfrontat­ion mit kroatische­n Fischerboo­ten unter Polizeisch­utz in der von Slowenien beanspruch­ten Seezone glimpflich.

Es handelt sich aber keinesfall­s um eine operettenh­afte Episode im Zeichen eines Kleinstaat­enimperial­ismus. Unter dem Druck der kroatische­n Nationalis­ten sind folgenschw­ere Konflikte programmie­rt. Slowenien könnte den Beitritt Kroatiens zu Eurozone und SchengenRa­um blockieren und den unversöhnl­ichen stärkeren Nachbarn vor europäisch­en Gerichten verklagen. Dieser politisch und wirtschaft­lich sinnlose Streit bedeutet zusätzlich­e Unberechen­barkeit in der mittelund osteuropäi­schen Politik. Eine Schlichtun­g durch die EU-Kommission ist zwar erforderli­ch, vor allem aber bedarf es kühler Risikoabwä­gung in Zagreb und Ljubljana.

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