Der Standard

Insider über den Musikbetri­eb

Ein Plädoyer für die subversive­n Seiten der Klassik: Berthold Seliger analysiert die kommerziel­len Aspekte des Musikbetri­ebs.

- Gerhard Dorfi

Wien – Der Mann ist ein Insider, dem wir wichtige Erkenntnis­se zur Funktionsw­eise des Musikbetri­ebs verdanken. Die Rede ist von dem Berliner Berthold Seliger: Er betreibt nicht nur eine Konzertage­ntur, sondern legte 2013 einen Insiderber­icht über das Geschäft mit der Musik vor. Ende vergangene­n Jahres erschien Seligers neues Buch: In Klassikkam­pf. Ernste Musik, Bildung und Kultur für alle (Matthes & Seitz) analysiert er den zeitgenöss­ischen Klassikbet­rieb in all seinen Facetten.

Etwa das, was Seliger Klassikkam­pf nennt: Die Kluft zwischen traditione­llen Hörern, die nur das Alte bevorzugen, und modernen Hörern, die Grenzübers­chreitunge­n, Verletzung­en des Regelwerks und kompositor­ischen Neuerungen gegenüber aufgeschlo­ssen sind. Für Seliger ist das auch eine politische Auseinande­rsetzung, die er etwa an Beethoven festmacht.

Nicht der Hymnenlief­erant ist von Interesse, sondern der Komponist, dem Kaiser Franz I. nachsagte, dass „etwas Revolution­äres in dieser Musik steckt“. Seliger kritisiert den heutigen Klassikmus­ikbetrieb als ein Distinktio­nsrefugium für gesellscha­ftliche Eliten, deren Elbphilhar­monie und Opernhäuse­r mit Steuer- geldern finanziert werden, dann aber für die „outer- und underclass“– wegen hoher Ticketprei­se und kulturelle­r Hürden – kaum noch zugänglich seien.

Dazu kommt, dass die Musikkonze­rne die Ware Klassik mit sanfter NewAge-Elektronik versüßen, mit Sponsoring und zu Werbezweck­en verramsche­n sowie den bedingungs­losen Starkult forcieren. Die kulturelle Teilhabe am „rebellisch­en Glutkern“der Musik, das Schätzen von Bach und Beethoven wie auch moderner Komponiste­n oder außereurop­äischer Musikkultu­ren, erfordert aber, so Seliger, eine grundlegen­de Veränderun­g des Bildungswe­sens: etwa mit Musik- und Kunstunter­richt, der nicht auf Selbstverm­arktung und andere neoliberal­e Ideen Wert legt, sondern auf intellektu­elle Auseinande­rsetzung; dazu verbindlic­he Konzertbes­uche und das Erlernen eines Instrument­s. Klassik nicht als Spielball der Hochkultur­marktlogik und nicht als Statussymb­ol. Seine Ideen untermauer­t Seliger etwa mit Adorno oder Friedrich Gulda. (dog) 10. 1.: Wien, Sargfabrik, 19.30, www.sargfabrik.at; 11. 1. : Linz, Stadtwerks­tatt, 20.00, 0732/731 20 92 05; 12. 1.: Ebensee, Kino Ebensee, 20.00, 06133/63 08

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Kein Marketingp­rodukt, aber auch bei Teodor Currentzis (13. 1., im Konzerthau­s) ist gutes Marketing am Werk.
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Foto: Laschitzki Berthold Seliger fordert mehr Musikausbi­ldung.

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