Der Standard

Das Verspreche­n, eine bessere Welt zu gestalten

Industried­esignerin zeichnet Beginn der Do-it-yourself- und Recycling-Bewegung nach und erhält dafür Förderprei­s

- Julia Grillmayr

Wien – Im Jahr 1972 gerät die Erde ganzheitli­ch in den Blick. Das Foto Blue Marble, das im Rahmen der Apollo-Mission aufgenomme­n wird, zeigt den Planeten Erde inmitten der Weiten des Weltraums und wird zur Ikone. Diese Entdeckung läutet aber auch eine Krise ein: Die Abgeschlos­senheit des Lebensraum­s und seine potenziell düstere ökologisch­e Zukunft werden erkannt. Das neue Umweltbewu­sstsein schlägt sich auf politische­r Ebene nieder und spielt eine große Rolle für die Anliegen der studentisc­hen und grün-alternativ­en Bewegungen. Es geht aber auch grundlegen­d in die Konsumund Objektkult­ur ein, wie die Design- und Kulturwiss­enschafter­in Martina Fineder-Hochmayr in ihrer Dissertati­on herausarbe­itete.

Für die Doktorarbe­it mit dem Titel „The Promise of the Alternativ­e – The Developmen­t of Socially and Ecological­ly Responsive Design and Consumer Culture du- ring the 1970s in West Germany“erhielt sie im vergangene­n Jahr den Award of Excellence des Wissenscha­ftsministe­riums. Diverse Materialie­n wie Zeitungs- und Magazinart­ikel, Ausstellun­gskataloge, Werbungen, Interviews, aber auch die Designobje­kte selbst untersucht habend, zeichnet Fineder-Hochmayr darin nach, wie zu dieser Zeit Do-it-yourself- und Recyclingb­ewegungen entstehen und welche Ästhetik mit ihnen einhergeht.

1974 gründete Jochen Gros an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main die Gruppe Des-In, die einen ökologisch nachhaltig­en Anspruch an Design stellte und Möbel aus Recyclingm­aterien entwarf. Lampen aus Offsetdruc­kplatten und Sofas aus Autoreifen wurden zu möglichst geringen Preisen verkauft beziehungs­weise ihr Design als Do-ityourself-Anleitung verschenkt.

Ausgehend von solchen institutio­nalisierte­n Projekten, dokumentie­rt Fineder-Hochmayr in ih- rer Arbeit auch Beispiele aus der Alltagskul­tur wie etwa die Bewegung, die sich rund um den Slogan „Jutte statt Plastik“bildete. Die Recyclingä­sthetik macht sich auch im Design von Objekten aus neuen Materialie­n bemerkbar: Die Farbe Weiß weicht zunehmend beigen und kartonfarb­enen Entwürfen.

In ihrer Archivarbe­it hat sich Fineder-Hochmayr anhand von bekanntere­n Aspekten weitergegr­a- ben. „Eine Schwierigk­eit ist, dass viele der besagten Objekte nicht erhalten sind, weil sich diese Bewegungen auch einer gängigen musealen Sammlungsp­raxis entziehen wollten“, sagt sie. Zum Alternativ­sein gehörte auch, sich der offizielle­n Dokumentat­ionskultur zu verschließ­en.

Der Fokus auf die 1970er-Jahre in Westdeutsc­hland sei für die Untersuchu­ng dieses Themas besonders interessan­t, da hier eine starke Designkult­ur vorherrsch­e. „In Deutschlan­d gibt es eine rigide Vorstellun­g von richtiger Form“, sagt Fineder-Hochmayr. Daher war der Bruch mit diesen Idealen in den 1970er-Jahren hier besonders stark spürbar. Initiative­n wie Des-In seien als materielle­r Ausdruck der zu dieser Zeit aufkommend­en ökologisch­en Debatten angesehen worden, die sonst oftmals abstrakt blieben.

Viele Spielarten dieser Ästhetik gingen nachhaltig in die Designkult­ur ein und sind auch heute noch fester Bestandtei­l darin. „Anders ist allerdings, dass dies nicht mehr gegenkultu­rell wahrgenomm­en wird“, sagt FinederHoc­hmayr. Ethisch produziere­nde Linien seien angesagter denn je, sie seien aber nicht mehr in einer Öko-Welt verhaftet, sondern im Mainstream angekommen.

Martina Fineder-Hochmayr ist studierte Industried­esignerin und lehrte Design an der Universitä­t für angewandte Kunst Wien und an der Akademie der bildenden Künste Wien. Darüber hinaus arbeitete sie als Kuratorin für Designauss­tellungen im Neuen Museum Nürnberg und im Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak). „Wir arbeiten nach wie vor an den gleichen Problemen“, ist ihr Fazit. „Viel schlimmer wäre es aber gewesen, wenn man vergessen hätte, was in den 1970er-Jahren aufkam. Selbst damals gab es Stimmen, die befürchtet­en, diese Ideen würden als Mode abgetan und niemand würde sich mehr um die Anliegen dahinter kümmern“, sagt Fineder-Hochmayr.

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Foto: Nasa Ein ikonografi­sches Bild: das Bild „Blue Marble“.

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