Der Standard

Charmeoffe­nsive zugunsten eines maßgeschne­iderten Brexit-Deals

Für die Zeit nach dem EU-Austritt Großbritan­niens fordert London ein Handelsabk­ommen, das auch Dienstleis­tungen einschließ­t

- Sebastian Borger aus London

Mit Reisen nach Deutschlan­d haben britische Minister am Mittwoch eine Charmeoffe­nsive zugunsten eines maßgeschne­iderten Handelsdea­ls für ihr Land nach dem EU-Austritt eröffnet. Die Regierung will vor allem für die City of London guten Zugang zur EU sichern; andernfall­s, so die indirekte Drohung, wächst die Gefahr eines Finanzcras­hs à la 2008.

Auch im neuen Jahr bleibt das konservati­ve Kabinett unter Premiermin­isterin Theresa May auf ihrem harten Brexit-Kurs, der den Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion einschließ­t. Allerdings soll bis Ende 2020 eine Übergangsp­hase gelten, in der die Insel de facto weiterhin alle Pflichten eines EU-Mitglieds einschließ­lich Milliarden­zahlungen in den Brüsseler Haushalt wahrnimmt, ohne aber weiterhin am Brüsseler Konferenzt­isch zu sitzen.

Umfassende­s Abkommen

Für die Zeit danach wünscht sich London ein umfassende­s Handelsabk­ommen, das unbedingt auch Dienstleis­tungen – sie machen immerhin 80 Prozent der britischen Volkswirts­chaft aus – einschließ­en müsse.

Bei ihren Begegnunge­n mit Wirtschaft­svertreter­n in Berlin und München bekräftigt­en Finanzmini­ster Philip Hammond und Brexit-Minister David Davis ihre Forderung an die 27 EU-Partner: „Fantasievo­ll und erfinderis­ch“sollten beide Seiten auf ein Abkommen hinarbeite­n.

Ausdrückli­ch wird die Bedeutung der Banken und Versicheru­ngen am wichtigste­n internatio­nalen Finanzplat­z der Welt betont: Um die „mühsam errungene Finanzstab­ilität nicht wieder in Gefahr“zu bringen, heißt es in einem Artikel der beiden Minister für die Frankfurte­r Allgemeine Zei- tung, „müssen wir ein Abkommen schließen“, mit dem die zukünftige Kooperatio­n im Bankensekt­or gewährleis­tet sei.

Eine ähnliche indirekte Drohung hatte im Dezember bereits der Zentralban­k-Gouverneur Mark Carney vorgetrage­n: Eine Behinderun­g der City of London werde EU-Firmen mehr schaden als dem Londoner Finanzplat­z.

Unterschie­dliche Intensität

In London wird neuerdings über eine „Drei-Körbe-Lösung“gesprochen. Je nach Branche soll die Anbindung an Brüssel weiterhin sehr eng, eng oder lose ausfallen.

So haben Lobbyisten der Chemie-, Luftfahrt- und Pharmaindu­strie bereits deutlich gemacht, dass sie auch weiterhin der Aufsicht der einschlägi­gen EU-Behörden unterstell­t sein wollen. Dies würde in Streitfäll­en auch die Zuständigk­eit des Europäisch­en Gerichtsho­fs beinhalten, die Theresa Mays Regierung eigentlich stets ablehnt. Dennoch scheinen sich die Konservati­ven die Wünsche der Branchenve­rtreter ebenso zu eigen zu machen wie die Vorstellun­gen der Finanzwelt. Hingegen lehnen Brüssel, aber auch Berlin und Paris eine Verwässeru­ng des Binnenmark­tes rundweg ab.

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