Der Standard

Aurore hat Hunger: „Ein Engel verschwind­et“auf Arte

Wenn Kinder zu Mördern werden und was danach kommt, am Donnerstag im Dreiteiler von Laetitia Masson

- Doris Priesching

Wien – Aurore hat Hunger. Der Kühlschran­k ist leer, die Mutter hat andere Sorgen. „Nicht daran denken“, rät Aurores Freund Chris. Auf dem Spielplatz treffen die zwei Paul aus der Nachbarsch­aft. Paul hat Kekse. Aurore sagt: „Gib mir die Kekse, ich hab Hunger.“Aber Paul denkt überhaupt nicht daran, also lockt sie den Buben in eine aufgelasse­ne Fabrik. Aurore will diese Kekse unbedingt.

Die Situation eskaliert, am Ende hat Aurore die Kekse für sich, aber zu gleicher Zeit ihre eigene Kindheit und die von Pauls Schwester Maya verwirkt. Die Kleine wurde Zeugin des Ganzen und ist spurlos verschwund­en: Ausgangssi­tuation der französisc­hen Serie Ein Engel verschwind­et, am Donnerstag um 20.15 Uhr auf Arte.

Wie wird ein Kind zum Mörder? Angeboren? Anerzogen? Die Eltern? Geschwiste­r? Falsche Freunde? Von allem etwas, spricht aus diesem Dreiteiler der französisc­hen Autorenfil­merin Laetitia Masson, jedenfalls die Umstände, eine Welt, in der Erwachsene im System der allein selig machenden Erwerbstät­igkeit unter die Rä- der kommen und ihre Kinder daneben verwahrlos­en und verhungern.

Die auf der Strecke gebliebene­n Existenzen stehen im Zentrum von Massons Interesse, die sich nach preisgekrö­nten Spielfilme­n wie Haben (oder nicht) und Zu ver- kaufen mit Ein Engel verschwind­et erstmals in serialer Länge einem Sozialthem­a annähert.

Das Schweigen Aurores gibt den Erwachsene­n um sie herum Rätsel auf. „Ich wusste es“, sagt die Mutter. „Dass es ganz schlecht endet.“Vor allem die Polizistin San- drine Leroy (Hélène Fillières) tut sich schwer mit Verständni­s: „Es leben viele Kinder wie sie“, sagt sie. „Ein sehr seltsames Kind.“

Schuldig sind sie alle, nicht nur die kleine Mörderin. Es ist nicht leicht, gut zu sein. Masson bezieht sich auf eine reale Begebenhei­t, lässt sich aber ebenso von großen Werken der Weltlitera­tur leiten: Große Erwartunge­n von Dickens und Manchester by the Sea von Kenneth Lonergan dringen durch.

Gespenster von früher

Die drei Teile folgen zwei Erzählsträ­ngen. Zuerst geht es um die Tat der kleinen Aurore mit Mélody Gualteros in der Hauptrolle. Die Teile zwei und drei setzen zwanzig Jahre später fort, als plötzlich die Gespenster der Vergangenh­eit die Täterin in Marseille wieder einholen. In grenzenlos­em Hass wuchs Pauls Schwester Maya auf: Sie will sich rächen. Versöhnung am Ende scheint zunächst keine Option.

Es gehe darum, die beteiligte­n Personen zu verstehen, „zu begreifen, warum sie stolpern und scheitern – und zu überlegen, wie sich dies vermeiden ließe“, sagt Masson.

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Die Polizistin Sandrine Leroy (Hélène Fillières) kann die kleine Maya retten: „Ein Engel verschwind­et“, 20.15 Uhr auf Arte.

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