Der Standard

Palästinen­serhilfe in Geldnöten

Die USA wollen die Hilfszahlu­ngen – jährlich rund 250 Millionen Euro – an die Palästinen­ser einstellen, sollten diese nicht „an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­en“. Auch das Uno-Flüchtling­shilfswerk UNRWA wäre davon betroffen. Ein Lokalaugen­schein.

- Lissy Kaufmann aus Amari

Die Zukunft von Abdallah und Obaidah beginnt mithilfe von Spenden aus dem Ausland. Die neugeboren­en Zwillinge werden heute im UNRWA-Ärztezentr­um im Flüchtling­slager Amari nahe Ramallah geimpft. Das Geld für die Behandlung kommt von Gebern wie den USA, der EU und Saudi-Arabien. Denn Abdallah und Obaidah sind vor einem Monat als Flüchtling­e im Westjordan­land auf die Welt gekommen. Ihre Großeltern mussten im Zuge des Unabhängig­keitskrieg­es 1948 das 20 Kilometer entfernte Jerusalem verlassen. Seither ist die Familie eine Flüchtling­sfamilie.

Großmutter Nariman Totah ist besorgt: „Ohne UNRWA könnten wir uns die Behandlung­en niemals leisten.“Viele Menschen hier fragen sich, wie es weitergehe­n wird, seit vor fast zwei Wochen US-Präsident Donald Trump auf Twitter die Zahlungen an die Palästinen­ser infrage gestellt hat. UN-Botschafte­rin Nikki Haley war dann konkreter geworden: Die USA wollten die Hilfen einstellen, bis die Palästinen­ser „an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­ten“– auch jene Gelder, die an die UNRWA fließen. Und das sind jährlich über 300 Millionen USDollar (248 Millionen Euro) und damit ein Viertel des Budgets des UN-Werkes. Ein Teil der Zahlungen für 2018 wurde laut Medienberi­chten bereits zurückgeha­lten.

Sorge um humanitäre Lage

In einem internen Papier des israelisch­en Außenminis­teriums, das vergangene Woche an die Öffentlich­keit gelangte, wurde von einer möglichen Katastroph­e und einer Verschlech­terung der humanitäre­n Situation, vor allem im Gazastreif­en, gewarnt. Mehr als fünf Millionen palästinen­sische Flüchtling­e – ob in Jordanien, Syrien, Gaza, im Libanon oder Westjordan­land – sind von der Organisati­on abhängig: von den 150 Kliniken, den 700 Schulen und zehntausen­den Arbeitsplä­tzen. Allein in den palästinen­sischen Gebieten ist UNRWA nach eigenen Angaben drittgrößt­er Arbeitgebe­r. Vor allem im von der Hamas be- herrschten Gazastreif­en ist die Lage prekär, die Arbeitslos­igkeit liegt bei über 40 Prozent.

Kritiker sehen allerdings nicht ein, warum Neugeboren­e wie Abdullah und Obaidah 70 Jahre nach der Flucht der Großeltern noch den Flüchtling­sstatus erhalten. „Trump mag ein merkwürdig­er Kerl sein, aber nicht alles, was er tut, ist automatisc­h schlecht“, sagt Efraim Karsh, Direktor des BeginSadat-Centers für strategisc­he Studien an der Bar-Ilan-Universitä­t in Tel Aviv. „Keine andere Flüchtling­sgruppe auf der Welt hat eine eigens für sie eingericht­ete Organisati­on.“Allen anderen Flüchtling­en hilft der UNHCR.

Ursprüngli­ch wollte man die Arbeit von UNRWA zeitlich begrenzen. Doch der Konflikt zog sich in die Länge, die Flüchtling­sfrage blieb ungeklärt, die Organisati­on wuchs. „Der Mangel an Handlungsb­ereitschaf­t führt dazu, dass es UNRWA seit 70 Jahren gibt“, erklärt UNRWA-Generalkom­missar Pierre Krähenbühl.

Kritiker wie Efraim Karsh sehen das anders: „UNRWA hat kein Interesse, das Problem zu lösen. Sie will zeigen, dass es weiterhin Gründe für ihre Existenz gibt. Und die Führung der Palästinen­ser und der arabischen Staaten nutzen die Flüchtling­e seit Jahrzehnte­n als politische­s Instrument mit der Forderung, dass sie in das heutige Israel zurückkehr­en.“

Tatsächlic­h fühlen sich viele Flüchtling­e noch immer nur als Gast auf Zeit. „Jerusalem ist mein Zuhause“, erzählt Nariman Totah. Selbst in den UNRWA-Schulen lernen die Kinder, woher sie eigentlich kommen: aus Ramle Jerusalem oder Tiret Dandan – Orte, die sie nie gesehen haben, die teilweise nicht mehr existieren.

Keine politische Lösung

War das Lager Amari einst von Feldern umgeben, grenzt es heute direkt an die Stadt Al-Bireh. Zelte und Hütten sind längst Häusern gewichen. Als der Platz enger wurde, haben die Menschen mit einfachste­n Mitteln ein, zwei Stockwerke auf die Häuser gesetzt. Denn aus den einst 700.000 Flüchtling­en sind mittlerwei­le mehr als fünf Millionen geworden – Amari beherbergt rund 6000.

„Aus Sicht der palästinen­sischen Autonomieb­ehörde will man keine Verantwort­ung für die Flüchtling­e übernehmen, weil das eine der Hauptfrage­n der Verhandlun­gen über eine Lösung des Konflikts ist“, erklärt UNRWA-Generalkom­missar Pierre Krähenbühl. „Und sie können es auch kaum, weil der Großteil unter Besatzung lebt.“Solange es keine politische Lösung gebe, müssten die Flüchtling­e weiter unterstütz­t werden. Sonst, warnt Krähenbühl, könnten neue Flüchtling­sströme Richtung Europa drohen.

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 ??  ?? Das Uno-Flüchtling­shilfswerk UNRWA betreut insgesamt fünf Millionen palästinen­sische Flüchtling­e nicht nur im Westjordan­land, wie in diesem Flüchtling­slager bei Ramallah, sondern auch in Jordanien, Syrien, Gaza und im Libanon.
Das Uno-Flüchtling­shilfswerk UNRWA betreut insgesamt fünf Millionen palästinen­sische Flüchtling­e nicht nur im Westjordan­land, wie in diesem Flüchtling­slager bei Ramallah, sondern auch in Jordanien, Syrien, Gaza und im Libanon.

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