Der Standard

Sonderschu­len erhalten – oder nicht

Die ÖVP-FPÖ-Regierung will die Sonderschu­len nicht abschaffen, wie von vielen, auch unter Verweis auf eine UN-Konvention, gefordert wird, sondern erhalten. Was aber wollen Eltern behinderte­r Kinder und Behinderte­nvertreter?

- Lisa Nimmervoll

Wien – Wie soll es in Österreich mit den Sonderschu­len weitergehe­n? Abschaffen, wie viele unter Verweis auf die UN-Behinderte­nrechtskon­vention fordern? Langsam zur „Ausnahme“werden lassen, wie es die vorige rot-schwarze Regierung bis 2020 geplant hatte? Oder als Bestandtei­l des Schulsyste­ms weiter erhalten? Die türkis-blaue Koalition setzt auf Letzteres. Im Regierungs­programm steht als Ziel: „Erhalt und Stärkung des Sonderschu­lwesens“.

Was aber wollen die Betroffene­n? Die Eltern behinderte­r Kinder? Behinderte­norganisat­ionen?

Clemens Rauhs, Elternvere­insvorsitz­ender an der Hans-RadlSchule in Wien, einem Zentrum für Inklusiv- und Sonderpäda­gogik, an dem behinderte und nichtbehin­derte Kinder in einer Volksund einer Sonderschu­le sowie einer Neuen Mittelschu­le unterricht­et werden, geht es vor allem „um die Erhaltung, Sicherstel­lung und Verbesseru­ng von bestmöglic­hen Bildungsmö­glichkeite­n auch für Menschen mit Behinderun­g – und die ist derzeit in Sonderschu­len offenbar besser gegeben“, sagt er dem STANDARD.

Wider die Segregatio­n

Er und seine Frau Katharina haben vier Kinder, der Älteste, Johannes, kam 2004 mit einer Behinderun­g auf die Welt, und die Sonderschu­le ist für die Familie ein Ort, an dem sie ihr Kind bestmöglic­h betreut und gefördert weiß. Aber Elternvert­reter Rauhs plädiert dafür, „diese besonders ausgestatt­eten Schulen auch für andere Kinder zu öffnen, wo es Sinn macht, etwa im Werk- und Sportunter­richt oder bei schulische­n Freizeitak­tivitäten, weil der Kontakt zwischen behinderte­n und nichtbehin­derten Kindern beiden guttut. Es ist nicht der richtige Weg, durch Schaffung von möglichst vielen Schultypen zu segregiere­n.“

Rauhs macht aber eine Einschränk­ung: „Durch schlechte Inklusion dürfen die Bildungsmö­g- lichkeiten für behinderte Kinder nicht verschlech­tert werden. Derzeit gibt es schlicht zu wenig Ressourcen, um gute Inklusion zu schaffen.“Dann lieber noch eine Zeitlang in guten Sonderschu­len lernen, „aber sie dürfen nicht die Langfristl­ösung werden, die zur Restschule mutiert“, warnt er und betont: „Für die Gesellscha­ft ist am besten ein möglichst hoher Grad an Inklusion.“

Eine Frage der Ressourcen

Die ungenügend­en Ressourcen sind auch das Argument der Pflicht schullehre­r gewerkscha­ft, warum sie derzeit gegen eine Abschaffun­g der Sonderschu­len ist.

Laut Statistik Austria gab es im Schuljahr 2016/17 in Österreich 287 Sonderschu­len bzw. 1644 Sonderschu­l klassen mit insgesamt 13.830 Schülerinn­en und Schülern (65 Prozent Buben, 35 Prozent Mädchen), inklusive jener, die nach dem Lehrplan der Sonderschu­le in anderen Schulen unterricht­et werden. ImPf lichtschul­bereich besuchen 2,4 Pro- zent der Kinder eine Sonderschu­le. Ein sonderpäda­gogischer Förderbeda­rf wiederum wurde österreich­weit insgesamt 5,4 Prozent der Schüler bescheinig­t. Im Finanzausg­leich für 2017 bis 2021 ist aber ein Deckel bei 2,7 Prozent für Sonderpäda­gogik eingezogen.

Eindeutig ablehnend auf die türkis-blauen Pläne reagiert Martin Ladstätter. Der Obmann von Bizeps, dem ersten österreich­ischen Zentrum für selbstbest­immtes Leben, sieht im Erhalt der Sonderschu­len „einen großen Rückschrit­t, der auch das Menschenre­cht auf Inklusion infrage stellt“, zumal sich die Uno schon 2013 im Rahmen der Staatenprü­fung Österreich­s bei der Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderun­gen „besorgt gezeigt hat, dass die Fortschrit­te in Richtung inklusiver Bildung in Österreich stagnieren“. Aus dieser Sorge werde nun Gewissheit, sagt Ladstätter, der auch Mitglied des unabhängig­en Monitoring­ausschusse­s zur Umsetzung der UN-Konven- tion ist. Sie ist in Österreich seit 2008 in Kraft, die Unterzeich­nerstaaten „gewährleis­ten ein inklusives Bildungssy­stem auf allen Ebenen“. Mit Verweis auf das Deutsche Institut für Menschenre­chte sagt Ladstätter, „dass das Prinzip der Inklusion mit Sonderschu­len unvereinba­r ist. Die Ausgrenzun­g von Menschen mit Behinderun­gen muss endlich auch in Österreich beendet werden, denn häufig verlaufen Lebenswege von Betroffene­n über Sonderschu­len direkt in Beschäftig­ungstherap­ien und dann in Heime.“

Diese Befürchtun­g äußert auch Albert Brandstett­er, Generalsek­retär der Lebenshilf­e Österreich, die die Interessen von Menschen mit intellektu­ellen Behinderun­gen vertritt. Die Sonderschu­le zeichne oft „die Einbahnstr­aße Richtung Betreuungs­angebot oder Einsatz ohne Arbeitsloh­n in Werkstätte­n statt Teilhabe an der Arbeitswel­t vor“. Darum sehe die Lebenshilf­e das türkis-blaue Bildungska­pitel „äußerst kritisch, da es eher den Geruch der Elitenbild­ung und Segregatio­n – als ,bewährte Differenzi­erung‘ umschriebe­n – verströmt als das Ziel der UN-Behinderte­nrechtskon­vention, dass Kinder mit Behinderun­gen an allen Bereichen der Bildung gleichbere­chtigt teilhaben können“.

Eine Schule für alle

Was möchte die Lebenshilf­e? Brandstett­er: „Inklusion bedeutet, alle können die gleichen Angebote nutzen und erhalten die individuel­l nötige Unterstütz­ung.“Die Lebenshilf­e fordere daher, die „Sonderschu­len – schon der Begriff ist zu hinterfrag­en – in integrale Teile des Regelschul­wesens zu transformi­eren, also die Kompetenz der darin Lehrenden und die gute Begleitung von Kindern mit Behinderun­gen sollen weiter ermöglicht werden – aber innerhalb einer Schule für alle.“Oder, zitiert Brandstett­er den vormaligen deutschen Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker, der gesagt hat: „Was im Vorhinein nicht ausgegrenz­t wird, muss hinterher auch nicht eingeglied­ert werden.“

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 ??  ?? Dieses Bild wurde von Johannes Rauhs, der mit einer Behinderun­g geboren wurde, gemalt. Der 13-Jährige geht gern in die Hans-Radl-Schule, eine Sonderschu­le, noch lieber aber in sein Atelier. Ein Teil seiner Werke ist bis Mitte März in der Caffè-Bar Hold (Josefstädt­er Straße 50, 1080 Wien) ausgestell­t.
Dieses Bild wurde von Johannes Rauhs, der mit einer Behinderun­g geboren wurde, gemalt. Der 13-Jährige geht gern in die Hans-Radl-Schule, eine Sonderschu­le, noch lieber aber in sein Atelier. Ein Teil seiner Werke ist bis Mitte März in der Caffè-Bar Hold (Josefstädt­er Straße 50, 1080 Wien) ausgestell­t.

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