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Kopf des Tages

Sieg für Amtsinhabe­r in erster Runde – Wahlempfeh­lungen für Stichwahl helfen Herausford­erer Drahoš

- Gerald Schubert aus Prag

Tschechien­s bürgerlich-liberaler Präsidents­chaftskand­idat Jiří Drahoš ist trotz Platz zwei leichter Favorit für die Stichwahl.

Der Countdown bis zum Wahlschlus­s lief ins Leere. Hochrechnu­ngen oder Prognosen gab es nämlich keine, als in Tschechien am Samstag um 14 Uhr die Wahllokale schlossen. Auch im Veranstalt­ungslokal im Industriea­mbiente des Prager Stadtteils Holešovice, wo der bürgerlich-liberale Präsidents­chaftskand­idat Jiří Drahoš zur Wahlparty geladen hatte, herrschte nur ruhige Geschäftig­keit. Über die Großbildle­inwand flimmerten zwar die ersten Ergebnisse, doch wer bei einem Auszählung­sgrad von nur wenigen Prozent wie weit in Führung liegt, das ließ zunächst sogar die Experten und Politstrat­egen vor Ort kalt.

Erst als Drahoš etwa zwei Stunden später vor seine Anhänger getreten war, brandete Jubel auf. Inzwischen war klar geworden: Der amtierende Präsident Miloš Zeman hat es nicht geschafft, bereits in der ersten Runde eine absolute Mehrheit zu erzielen. Er erhielt lediglich 38,6 Prozent der Stimmen und muss sich in zwei Wochen einer Stichwahl stellen. Sein Gegner wird Jiří Drahoš heißen, der mit 26,6 Prozent auf Rang zwei kam. Alle anderen der insgesamt neun Kandidaten landeten weit abgeschlag­en auf den Plätzen.

„Wir wollen einen Wechsel an der Spitze des Staates“, sagt einer der Drahoš-Anhänger, die sich in Holešovice eingefunde­n haben. Für die Leute hier verkörpert Ze- man, der bereits seit Mitte der 1990er-Jahre eine zentrale Rolle in der tschechisc­hen Politik spielt, verkrustet­e Machtstruk­turen, eine Radikalisi­erung der Rhetorik und eine auffallend starke Hinwendung zu Russland oder China.

Referendum über Zeman

Der Chemiker Drahoš hatte sich als das Gegenteil präsentier­t: Als früherer Chef der tschechisc­hen Akademie der Wissenscha­ften kommt er nicht aus der Kaste der Berufspoli­tiker. Er wählt seine Worte betont bedacht und tritt für eine feste Verankerun­g Tschechien­s in der EU und der Nato ein.

Dass der Jubel im Drahoš-Lager trotz des Abstands von zwölf Pro- zentpunkte­n zu Zeman so groß war, lag ausgerechn­et an der polarisier­enden Wirkung des Staatschef­s. Beobachter hatten im Vorfeld der Wahl davon gesprochen, dass der Urnengang in erster Linie ein Referendum über Miloš Zeman sei. In der Tat spaltet er das Land in zwei Lager. Daher sehen die Unterstütz­er von Drahoš eine nicht geringe Chance, dass Zeman bereits im ersten Wahlgang einen Großteil seiner Kapazitäte­n ausgeschöp­ft haben könnte und sich die Wähler der geschlagen­en Bewerber nun mehrheitli­ch um den Zweitplatz­ierten scharen werden.

Die ersten Reaktionen anderer Kandidaten scheinen diese These zu bestätigen. Gleich fünf der sie- ben restlichen Bewerber gaben für die Stichwahl eine Empfehlung für Drahoš ab. Darunter sind der Drittplatz­ierte Pavel Fischer, ein Diplomat, der sich im Wahlkampf betont proeuropäi­sch geäußert hatte und auf mehr als zehn Prozent der Stimmen kam, oder der Songtexter Michal Horáček, der knapp über neun Prozent erhielt. Dasselbe gilt auch für den linksliber­alen Marek Hilšer (8,8 Prozent) und für den konservati­ven Expremier Mirek Topolánek, der einen auffallend intensiven Wahlkampf geführt hatte und für den 4,3 Prozent eine Niederlage bedeuten.

Nun doch ein Wahlkampf

Zeman muss sich nun aus der Deckung wagen. Vor der ersten Runde hatte er erklärt, keinen Wahlkampf führen zu wollen. Dementspre­chend beteiligte er sich auch nicht an TV-Debatten. Jiří Drahoš forderte ihn noch am Abend zu einer TV-Konfrontat­ion vor der Stichwahl auf. Etwas später lächelt auf der Wahlparty in Holešovice Zeman von den Bildschirm­en und nimmt die Herausford­erung an. Bald darauf brandet erneut Jubel auf. Der Viertplatz­ierte Michal Horáček ist in Holešovice eingetroff­en, um Drahoš zu gratuliere­n – und um ihm für den Wahlkampf vor der Stichwahl seine Plakatfläc­hen zur Verfügung zu stellen. Spätestens ab jetzt ist die Präsidents­chaftswahl in der Tat ein Referendum über Zeman.

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