Der Standard

Pass als Wiedergutm­achung

Der Plan der Regierung, den Nachkommen von NS-Opfern den Erwerb eines österreich­ischen Passes zu ermögliche­n, entspricht der heutigen Judikatur. Allerdings muss der Gesetzgebe­r noch wichtige Fragen regeln.

- Heinrich Vana HEINRICH VANA ist Rechtsanwa­lt in der Kanzlei Breiteneck­er Kolbitsch Vana und Gründungsm­itglied des European Immigratio­n Lawyers Network (EILN). vana@vana.cc

Wien – Viktor Matejka, Häftling in Dachau, von 1945 bis 1949 Wiener Stadtrat für Kultur und Volksaufkl­ärung, bemühte sich um die Rückholung von Vertrieben­en: „Um es auf gut Österreich­isch zu sagen: Da holte ich mir die kältesten Füße meines Lebens.“Ebenfalls kalte Füße holte sich noch vor zehn Jahren ein Gesetzesvo­rschlag im Parlament, der die Staatsbürg­erschaft für NS-Vertrieben­e und deren Nachkommen sichern sollte. Im Parlaments­protokoll finden sich Zweifel an der Notwendigk­eit eines solchen Gesetzes („Der Opfergener­ation schon genüge getan … 64 Jahre danach … Beifall bei ÖVP und FPÖ“).

Ende 2017 schlägt die Bundesregi­erung im Regierungs­programm nun – neben jener für Südtiroler — eine „Doppelstaa­tsbürgersc­haft für Nachfahren der Opfer des Nationalso­zialismus aus Österreich“vor. Laut Historiker­kommission war aus den Protokolle­n des Ministerra­ts 1945 bis in die Achtzigerj­ahre kein politische­r Wille erkennbar, die Vertrieben­en zurückzuho­len. Vor diesem Hintergrun­d ist das Vorhaben ein guter Plan.

120.000 Menschen sind in der NS-Zeit aus Österreich geflüchtet. Sie haben die Staatsbürg­erschaft nicht durch Vertreibun­g verloren, da die vom NS-Regime getätigten Ausbürgeru­ngen 1945 nicht mehr österreich­isches Gesetz waren. Wenn sie auf ihrer Flucht eine neue Staatsbürg­erschaft annehmen mussten, wurde dies von den österreich­ischen Behörden als „Verlusttat­bestand“für ihre österreich­ische Staatsbürg­erschaft ausgelegt. Damit wurden die Opfer ein zweites Mal ausgebürge­rt – diesmal begründet mit österreich­ischem Recht. Erst 1993 tritt der Verwaltung­sge- richtshof (VwGH) diesem Unrecht entgegen: „Hinsichtli­ch des – nach dem Akteninhal­t 1938 vor nationalso­zialistisc­her Verfolgung nach Palästina geflüchtet­en – Vaters der Beschwerde­führer, kann (...) von einem freiwillig­en Verlassen Österreich­s bzw. damit korrespond­ierend von einem freiwillig hergestell­ten Naheverhäl­tnis zu einem fremden Staat (Israel) nicht die Rede sein.“

Klarstellu­ng notwendig

Wenn die Regierung sicherstel­lt, dass Opfer des Nationalso­zialismus auf ihrer Flucht durch den Erwerb einer fremden Staatsbürg­erschaft die österreich­ische nicht verloren und daher deren Kinder diese durch Geburt erworben haben, entspricht das dem geltenden Recht im Sinne der Judikatur des VwGH. Das große Interesse der Nachkommen der NS-Opfer an einem österreich­ischen Reisepass erfordert jedoch dringend eine Klarstellu­ng durch den Gesetzgebe­r in einigen Fragen:

Seit dem VwGH-Erkenntnis von 1993 stellen NS-Opfer oder ihre Nachkommen Anträge auf Fest- stellung, dass der Erwerb einer fremden Staatsbürg­erschaft nicht freiwillig erfolgt ist. Wenn die Behörde prüft, ob beispielsw­eise durch einen Militärdie­nst ein Verlusttat­bestand gesetzt wurde, ist ein oft jahrelange­s „Feststellu­ngsverfahr­en“zu erwarten.

Bis zum Geburtstic­htag 1. 9. 1983 war der Erwerb der Staatsbürg­erschaft für ehelich geborene Kinder nur möglich, wenn der Vater österreich­ischer Staatsbürg­er war. Diese Ungleichbe­handlung von vor 1983 geborenen ehelichen Kindern, die nur eine Mutter mit österreich­ischer Staatsbürg­erschaft hatten, ist zu beseitigen – nicht nur für Opfer des NS-Regimes.

Art. 80 des Staatsvert­rags von St. Germain gab Bürgerinne­n und Bürgern der früheren Habsburger­monarchie das Recht, jenen Staat durch Optionen zur Heimat zu wählen, dem sie nach „Sprache und Rasse“angehören. Im Juni 1921 wurde der Deutschnat­ionale Leopold Waber Innenminis­ter. Mit Amtsantrit­t veranlasst­e er die schriftlic­he Weisung, dass Optionen für Österreich von polnischen Staatsbürg­ern dann abzulehnen sind, wenn sie jüdischen Glaubens sind. Die Ausweisung der„ ost jüdischen“Flüchtling­e ware in zentrales Anliegende­r Deutsch nationalen– eine Forderung, mit der das soziale Problem von deutlich mehr als 100.000 Flüchtling­en aus Polen erledigt werden sollte.

Diese große Zahl von nicht Heimat berechtigt­en und damit oft Staatenlos­en erklärt, warum noch heute österreich­ische Gerichte die Frage zu entscheide­n haben, ob „dieentsp rechende Optionserk­lärung ein rechts begründend­er Akt ist und dass der darüber auszuferti­genden Bescheinig­ung der Behörde nur deklarativ­e Bedeutung zukommt“, wie dies Art. 7 des Brünner Vertrags 1920 wörtlich festschrei­bt. Zur gegenteili­gen VwGHJudika­tur zitiert die Historiker­kommission aus einer Schrift des Gerichtsho­fs, in der bemerkt wurde, „dass für die staatsbürg­er schaftsrec­htlichen Folgen, die der Zerfall der Monarchie mit sich brachte, Art. 80 Staatsvert­rag von St. Germain, der nicht nur auf die sprachlich­e, sondern auch auf die rassische Zugehörigk­eit abstellte, besonders problemati­sch war und na- mentlich bei den jüdischen Flüchtling­en, die nach Österreich kamen, zu einer ausgesproc­hen antisemiti­schen Judikatur des VwGH führte“.

Diese Fragen könnten gelöst werden, wenn der Gesetzgebe­r nicht auf die Staatsbürg­erschaft vor 1945 abstellen würde. Die Bundesregi­erung spricht in ihrem Programm von „Opfern des Nationalso­zialismus aus Österreich“. Auch das geltende Recht bietet einen Ansatz: In § 10 Abs. 4 Staatsbürg­erschaftsg­esetz ist von der „Staatsange­hörigkeit eines Nachfolges­taates der ehemaligen österreich­isch-ungarische­n Monarchie oder staatenlos und NS-Verfolgung oder Verfolgung wegen des Einsatzes für die demokratis­che Republik Österreich“die Rede.

Für NS-Opfer und ihre Nachkommen könnte Österreich mit einer Neuregelun­g der Staatsbürg­erschaft einen wichtigen Schritt zur Wiedergutm­achung leisten.

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Nachkommen von NS-Vertrieben­en werden regelmäßig in Wien empfangen – zuletzt im Oktober von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen.

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