Druck auf Kroatien und Skepsis einer Handballikone
Als Handballmacht steht Kroatien bei der Heim-EM unter Erfolgsdruck. Der legendäre Torhüter Abas Arslanagic (78) glaubt nicht an den Titel. „Ohne starke Goalies gibt es keine Medaillen.“Im Torwartspiel herrsche insgesamt Stagnation.
Porec/Zagreb/Wien – Man konnte in Porec fragen, wen man wollte, man kann in Zagreb fragen, wen man will. Ganz Kroatien gibt dieselbe Antwort: „Wir werden Europameister.“Es herrscht Ausnahmezustand, der Erwartungsdruck bei der Handball-EM im Land ist enorm. Das Volk fordert und glaubt an Gold. Ganz Kroatien? Abas Arslanagic schüttelt den Kopf. „Die Leute erwarten immer den Sieg. Das liegt an der Mentalität. Ich glaube, es wird für Kroatien nicht zum Titel reichen“, sagt Arslanagic zum STANDARD.
Abas Arslanagic ist 78 Jahre alt und eine Handballlegende. Als Torwart gewann er 1972 in München mit Jugoslawien das erste olympische Handballgold, als Trainer wurde er 1986 Weltmeister. Er ist Begründer der jugoslawischen Torwartschule, reiste nach seiner Spielerkarriere als Handballprofessor und Trainer durch die Welt. 2001/02 war er für den österreichischen Spitzenklub West Wien tätig, nach einem halben Jahr trat er aus persönlichen Gründen zurück.
„Ohne starke Goalies gibt es keine Medaillen“, sagt Arslanagic. „Wenn einer 15 oder 16 Bälle hält, können wir über einen Titel reden.“Kroatien ist eine Handballmacht, zwei Olympiatitel (1996, 2004) und der WM-Titel (2003) belegen das. In den vergangenen sieben Jahren wurde aber kein Finale bei einem Großevent er- reicht, Europameister war Kroatien noch nie. „Welche Argumente haben wir, um als Favorit zu gelten? Ich sehe nur den Heimvorteil“, sagt Teamchef Lino Cervar, der „Mago di Umago“genannt wird, „Magier von Umag“.
Der gebürtige Bosnier Arslanagic verbringt seinen Lebensabend in Porec, wo er nach wie vor im Nachwuchsbereich arbeitet. Er sieht, „dass junge Handballer in Kroatien gut ausgebildet werden. Dieses Land hat viele tolle Handballlehrer auf lokaler Ebene, es wird viel Wert auf Technik und Taktik gelegt, der Fokus auf Krafttraining kommt später.“Unabhängig davon kam es aus kroatischer Sicht schon im Auftaktspiel zum Drama, als Domagoj Duvnjak, der Welthandballer 2013, Rückraum- spieler und Kapitän, mit einem Muskelfaserriss in der Wade auf der Strecke blieb.
„Die Kroaten haben Duvnjak kaputtgemacht“, sagte Alfred Gislason, Trainer des Kroaten beim THW Kiel, wo auch Österreichs Toptalent Nikola Bylik unter Vertrag steht. Der Isländer warf dem kroatischen Verband vor, Duvnjak bei Olympia 2016 und bei der WM 2017 trotz Knieproblemen eingesetzt und so verheizt zu haben. Erst im Dezember spielte Duvnjak nach monatelanger Pause wieder für Kiel, nun folgte der nächste Rückschlag.
Die Kroaten steigerten sich aber auch ohne ihren Star, mit Erfolgen gegen Weißrussland (25:23) und Norwegen (32:28) gelang bereits vor dem letzten Zwischenrundenmatch gegen Frankreich (Mittwoch, 20.30) ein großer Schritt Richtung Halbfinale.
„Der Gigant mit sieben Armen“wurde Abas Arslanagic genannt, oder auch „Oktopus“. „Ich war meiner Zeit wohl voraus, habe einen Spielstil erfunden, der damals undenkbar war.“Arslanagic hat mehrere Bücher über das Torwartspiel geschrieben, er sagt Sätze wie: „Handball ist Geometrie, es geht um Winkel und Räumlichkeit.“Arslanagic war einer der ersten Tormänner, der Arme und Beine in die Höhe brachte.
Aktuell hat Kroatien tatsächlich ein Torwartproblem, die Abwehrquote lag in der Gruppenphase gerade einmal bei 26 Prozent – einer der schlechtesten Werte aller EM-Teilnehmer. Was Arslanagic insgesamt vermisst, ist Innovation. „Seit meiner aktiven Zeit hat sich das Torwartspiel so gut wie gar nicht verändert. Die heutigen Keeper zeigen gute Reaktionen, aber man muss die Angreifer immer wieder aufs Neue ärgern.“