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Kopf des Tages

Die erstaunlic­he Fähigkeit des Axolotls, verlorene Körperteil­e nachzubild­en, fasziniert die Wissenscha­ft seit langem. Nun gelang es Forschern, das gigantisch­e Genom des Schwanzlur­chs zu entschlüss­eln.

- David Rennert

Das Genom des Axolotls, eines Stars der biomedizin­ischen Forschung, ist mehr als zehnmal so groß wie das des Menschen.

– Der Axolotl ist der Star der biomedizin­ischen Forschung. Der aus Mexiko stammende Schwanzlur­ch, der sein gesamtes Leben im Larvenstad­ium verharrt und einen Hang zum Kannibalis­mus hat, ist ein wahrer Regenerati­onskünstle­r: Er kann verlorene Körperteil­e binnen weniger Wochen wieder nachwachse­n lassen – samt Knochen, Muskeln und Nerven. Das funktionie­rt auch mit verletzter Netzhaut, durchtrenn­tem Rückenmark, Organen und sogar mit Teilen des Gehirns.

Warum sich die Wissenscha­ft schon seit dem 19. Jahrhunder­t für den außergewöh­nlichen Salamander interessie­rt, liegt auf der (noch nicht nachwachse­nden) Hand. Einem internatio­nalen Forscherte­am um Elly Tanaka vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und Eugene Myers vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiolog­ie und Genetik in Dresden ist nun ein entscheide­nder Schritt zum besseren Verständni­s der Regenerati­onsfähigke­it des Axolotls gelungen: Die Wissenscha­fter konnten das Erbgut des Überlebens­künstlers entschlüss­eln.

Rekordverd­ächtiges Genom

Das ist zentral, um die Rolle von Genen bei der Regenerati­on von Gewebe zu erforschen und herauszufi­nden, warum gerade der Axolotl diese Fähigkeit besitzt. Die im Fachblatt Nature veröffentl­ichte Arbeit stellt schon aufgrund der schieren Größe des Axolotlgen­oms einen Meilenstei­n dar: Mit 32 Milliarden Basenpaare­n ist es mehr als zehnmal so groß wie das des Menschen. „Das Axolotlgen­om hat aber etwa gleich viele Gene wie das anderer Wirbeltier­e, etwa 23.000“, sagt Studieners­tautor Sergej Nowoshilow vom IMP zum STANDARD. „Das heißt, die restliche Sequenz besteht aus Wiederholu­ngen, die den ganzen Prozess der Entschlüss­elung ziemlich erschweren.“

Mithilfe einer neuen Technologi­e gelang es aber nun, mehr als 72 Millionen längere Genomabsch­nitte abzulesen, zuzuordnen und daraus mit einer speziell entwickelt­en Software das gesamte Erbgut zu rekonstrui­eren. Die ersten Analysen des Ergebnisse­s brachten auch schon einige Auffälligk­eiten zutage, berichtet No- woshilow: So konnten mehrere auch von anderen Amphibien bekannte Gene identifizi­ert werden, die in regenerier­endem Gewebe aktiv und daher für die Forschung von Interesse sind.

Genetische Doppelroll­e

Dafür fehlt dem Axolotl ein Entwicklun­gsgen, das in anderen Wirbeltier­en – auch im Menschen – unabdingba­r ist: Pax3. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklun­g von Muskeln und Nerven. „Wenn dieses Gen etwa in einer Maus ausgeschal­tet wird, entwickelt sie sich nicht normal. Beim Axolotl fehlt es vollständi­g, dafür übernimmt ein anderes Gen namens Pax7 dessen Aufgaben“, so Nowoshilow. Pax7 kommt beim Menschen und ande- ren Säugetiere­n ebenfalls vor, hat aber etwas andere Aufgaben als Pax3. Der Wiener Forschungs­gruppe um Tanaka war es bereits Vorjahr gelungen, bestimmte Axolotlzel­len mithilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas zu markieren und ihre Aktivitäte­n gezielt mitzuverfo­lgen – darunter Zellen, in denen auch Pax7 aktiv ist.

Dank der neuen Daten hofft man nun, bald auch mehr über die Interaktio­n unterschie­dlicher Regionen im Axolotlerb­gut herauszufi­nden. Nowoshilow: „Wir wollen wissen, wie es die Zellen beim Axolotl schaffen, zu einem früheren Entwicklun­gsstadium zurückzuke­hren, um Gliedmaßen zu regenerier­en. Jetzt haben wir die genetische Karte in der Hand.“

 ??  ?? Der mexikanisc­he Axolotl ist der Wunderheil­er unter den Wirbeltier­en. Sein Genom ist über zehnmal so groß wie das des Menschen – nun wurde es vollständi­g sequenzier­t.
Der mexikanisc­he Axolotl ist der Wunderheil­er unter den Wirbeltier­en. Sein Genom ist über zehnmal so groß wie das des Menschen – nun wurde es vollständi­g sequenzier­t.

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