Der Standard

ZITAT DES TAGES

Das Verfahren gegen Expräsiden­t Lula könnte sein politische­s Comeback verhindern

- Susann Kreutzmann

„Es wurde bereits vorher mit der Türkei viel Porzellan zerschlage­n. Das will ich hinter mir lassen.“

Porto Alegre / São Paulo – Über dem Gerichtsge­bäude im südbrasili­anischen Porto Alegre kreisen Hubschraub­er. Rings herum haben sich schwer bewaffnete Polizisten postiert. Die Millionens­tadt ist im Ausnahmezu­stand. Alle Wege ins Stadtzentr­um sind gesperrt, Militär und Polizei haben Straßenspe­rren errichtet. Sogar die Marine ist im Einsatz.

Vor einem Berufungsg­ericht sollte am Mittwoch nicht nur über das politische Schicksal von Expräsiden­t Luiz Inácio Lula da Silva entschiede­n werden, sondern auch über die kommenden Präsidents­chaftswahl­en. Bei einer Verurteilu­ng drohte dem 72-Jährigen Gefängnis – und das Verbot, als Präsidents­chaftskand­idat anzutreten. Dabei liegt Brasiliens Volkstribu­n in allen Umfragen weit vor seinen Kontrahent­en. Brasiliani­sche Medien sprachen deshalb vom „D-Day“und der „Schlacht von Porto Alegre“.

Links-Ikone

Vor einem halben Jahr wurde Lateinamer­ikas Links-Ikone zu neuneinhal­b Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Es geht um ein Luxusappar­tement im Küstenort Guarujá, das er als Gegenleist­ung bei der Hilfe von Auftragsve­rgaben an den Baukonzern OAS erhalten ha- ben soll. Er habe das Apartment zwar besichtigt und „500 Fehler dort festgestel­lt“, betonte Lula. Deshalb habe er es nicht gekauft, und er sei auch nie wieder dort gewesen.

Die Beweislage gegen Lula ist dünn. Brasiliens oberster Korruption­sjäger Sérgio Moro stützt sich auf Annahmen und auf abgehörte Telefonate der vor einem Jahr verstorben­en Ehefrau Lulas, Marisa Letícia. Schriftstü­cke, etwa eine Kaufurkund­e der Immobilie, liegen nicht vor.

Somit kommen nicht nur Lula-Anhänger zu dem Schluss, dass es sich um einen politische­n Prozess handelte, der den aussichtsr­eichen Kandidaten der Wahl von einer weiteren Präsidents­chaft abhalten soll.

Entspreche­nd aufgeheizt war die Stimmung im Land. In Porto Alegre sind mehrere Hundert Busse mit Anhängern des Expräsiden­ten angereist. Diese errichtete­n Mahnwachen und warten stundenlan­g vor den Absperrgit­tern auf die Verkündung des Urteils. „Ich stehe mit der Ruhe des Unschuldig­en vor euch. Ich habe kein Verbrechen begangen und kann deshalb auch nicht verurteilt werden“, sagte Lula am Tag zuvor bei einem Besuch im Unterstütz­ercamp.

An einen Freispruch glaubten indes nicht einmal Lulas engste Vertraute. Die drei Berufungsr­ichter hatten schon im Vorfeld die rund 800 Seiten umfassende Anklage von Moro als „technisch einwandfre­i“gelobt. Allerdings war klar: Lula würde auch nach dem Berufungsu­rteil, das zu Redaktions­schluss noch ausstand, nicht in Handschell­en abgeführt werden. Dafür ist sein Fall zu brisant. Seine Anwälte kündigten bereits an, in Revision zu gehen. Eine endgültige Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fes dürfte kaum vor den Wahlen am 7. Oktober fallen. Allerdings muss das Oberste Wahlgerich­t über die Annahme der Kandidatur entscheide­n. Bei einer Bestätigun­g des Urteils würde Lula sein passives Wahlrecht verlieren.

Doch auch Lula will seinen Wahlkampf ungeachtet des Richterspr­uchs weiterführ­en und durchs Land reisen. „Es geht doch nicht um Lula, es geht um die Verteidigu­ng der Demokratie“, sagte er jüngst. „Ich bin 72 und habe die Energie eines 30-Jährigen.“Wie sehr der soziale Friede gefährdet ist, das ließ die Vorsitzend­e von Lulas Arbeiterpa­rtei, Gleisi Hoffmann, durchblick­en: Wenn sie Lula festnehmen wollen, werde es Tote geben, ist sie sicher.

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Foto: AP / Wesley Santos Lula will auf jeden Fall weiter Wahlkampf führen.

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