ZITAT DES TAGES
Das Verfahren gegen Expräsident Lula könnte sein politisches Comeback verhindern
„Es wurde bereits vorher mit der Türkei viel Porzellan zerschlagen. Das will ich hinter mir lassen.“
Porto Alegre / São Paulo – Über dem Gerichtsgebäude im südbrasilianischen Porto Alegre kreisen Hubschrauber. Rings herum haben sich schwer bewaffnete Polizisten postiert. Die Millionenstadt ist im Ausnahmezustand. Alle Wege ins Stadtzentrum sind gesperrt, Militär und Polizei haben Straßensperren errichtet. Sogar die Marine ist im Einsatz.
Vor einem Berufungsgericht sollte am Mittwoch nicht nur über das politische Schicksal von Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva entschieden werden, sondern auch über die kommenden Präsidentschaftswahlen. Bei einer Verurteilung drohte dem 72-Jährigen Gefängnis – und das Verbot, als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Dabei liegt Brasiliens Volkstribun in allen Umfragen weit vor seinen Kontrahenten. Brasilianische Medien sprachen deshalb vom „D-Day“und der „Schlacht von Porto Alegre“.
Links-Ikone
Vor einem halben Jahr wurde Lateinamerikas Links-Ikone zu neuneinhalb Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Es geht um ein Luxusappartement im Küstenort Guarujá, das er als Gegenleistung bei der Hilfe von Auftragsvergaben an den Baukonzern OAS erhalten ha- ben soll. Er habe das Apartment zwar besichtigt und „500 Fehler dort festgestellt“, betonte Lula. Deshalb habe er es nicht gekauft, und er sei auch nie wieder dort gewesen.
Die Beweislage gegen Lula ist dünn. Brasiliens oberster Korruptionsjäger Sérgio Moro stützt sich auf Annahmen und auf abgehörte Telefonate der vor einem Jahr verstorbenen Ehefrau Lulas, Marisa Letícia. Schriftstücke, etwa eine Kaufurkunde der Immobilie, liegen nicht vor.
Somit kommen nicht nur Lula-Anhänger zu dem Schluss, dass es sich um einen politischen Prozess handelte, der den aussichtsreichen Kandidaten der Wahl von einer weiteren Präsidentschaft abhalten soll.
Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung im Land. In Porto Alegre sind mehrere Hundert Busse mit Anhängern des Expräsidenten angereist. Diese errichteten Mahnwachen und warten stundenlang vor den Absperrgittern auf die Verkündung des Urteils. „Ich stehe mit der Ruhe des Unschuldigen vor euch. Ich habe kein Verbrechen begangen und kann deshalb auch nicht verurteilt werden“, sagte Lula am Tag zuvor bei einem Besuch im Unterstützercamp.
An einen Freispruch glaubten indes nicht einmal Lulas engste Vertraute. Die drei Berufungsrichter hatten schon im Vorfeld die rund 800 Seiten umfassende Anklage von Moro als „technisch einwandfrei“gelobt. Allerdings war klar: Lula würde auch nach dem Berufungsurteil, das zu Redaktionsschluss noch ausstand, nicht in Handschellen abgeführt werden. Dafür ist sein Fall zu brisant. Seine Anwälte kündigten bereits an, in Revision zu gehen. Eine endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes dürfte kaum vor den Wahlen am 7. Oktober fallen. Allerdings muss das Oberste Wahlgericht über die Annahme der Kandidatur entscheiden. Bei einer Bestätigung des Urteils würde Lula sein passives Wahlrecht verlieren.
Doch auch Lula will seinen Wahlkampf ungeachtet des Richterspruchs weiterführen und durchs Land reisen. „Es geht doch nicht um Lula, es geht um die Verteidigung der Demokratie“, sagte er jüngst. „Ich bin 72 und habe die Energie eines 30-Jährigen.“Wie sehr der soziale Friede gefährdet ist, das ließ die Vorsitzende von Lulas Arbeiterpartei, Gleisi Hoffmann, durchblicken: Wenn sie Lula festnehmen wollen, werde es Tote geben, ist sie sicher.