Der Standard

„Weiterfahr­en! Selbst wenn sie sterben“

In Ungarn wurden die erschütter­nden Handy-Mitschnitt­e der Parndorfer Todesfahrt 2015 vorgespiel­t. Sie könnten zeigen, dass die Beteiligte­n den Tod der Flüchtling­e wissentlic­h in Kauf genommen haben.

- Gregor Mayer aus Kecskemét

Der Prozess gegen die mutmaßlich­en Verantwort­lichen für die Flüchtling­stragödie auf der A4 im Jahr 2015 ist diese Woche in eine entscheide­nde Phase getreten. Richter János Jádi ließ am Dienstag und Mittwoch im Gericht der südungaris­chen Stadt Kecskemét erstmals die Mitschnitt­e der polizeilic­hen Telefonübe­rwachungen der beteiligte­n Schlepper vorspielen.

71 Menschen erstickten am 26. August 2015 qualvoll im Laderaum eines Kühllaster­s. Erst am Tag danach waren österreich­ische Polizisten auf das Fahrzeug mit den Leichen gestoßen. Der Chauffeur des Lasters, der Bulgare I. S., hatte es in einer Pannenbuch­t der A4 bei Parndorf abgestellt und zurückgela­ssen. Im Wagen seines bulgarisch­en Begleiters W. T. hatte er sich dann über die Slowakei nach Ungarn abgesetzt. Dort wurden die beiden wenig später zusammen mit dem mutmaßlich­en Bandenchef, dem Afghanen L. S., und seinem Stellvertr­eter, dem Bulgaren G. M, verhaftet.

Die Handy-Mitschnitt­e des Quartetts zeigen auch die hierarchis­che Struktur der Bande. L. S. sprach grundsätzl­ich nur mit G. M., beide sprachen Serbisch miteinande­r. G. M. gab wiederum die Weisungen, die er vom Afghanen erhalten hatte, an die bulgarisch­en Chauffeure und Begleiter dieser und zahlreiche­r weiterer Schlepperf­ahrten weiter. G. M. war demnach der faktische Organisato­r des Flüchtling­sschmuggel­s von der ungarisch-serbischen Grenze bis Österreich oder Deutschlan­d.

Aus den Telefonmit­schnitten geht hervor, dass die Flüchtling­e am 26. August gegen vier Uhr früh nahe der ungarische­n Grenzgemei­nde Mórahalom in den Todeslaste­r einstiegen. Zuvor waren sie zu Fuß über die „grüne“Grenze – also über den Landweg – aus Serbien gekommen. Um 5.12 Uhr verständig­te I. S. den Mitangekla­gten G. M., dass der Motor heißlaufen würde. Man beriet sich, wie man Wasser in den Kühler nachfüllen könne. Um 5.35 Uhr steuerte I. S. eine Tankstelle an, fuhr aber unverricht­eter Dinge weiter: „Was für einen Zirkus die da hinten machen! Ich musste weiterfahr­en“, meldete er an G. M.

Hilferufe aus dem Laderaum

Nach eineinhalb Stunden Fahrt wurde die Luft für die Passagiere im Laderaum knapp, sie begannen zu rufen und an die Wände zu trommeln. Die Schlepper berieten zwar, wie man ihnen Wasser gegen den Durst geben könne. Die „Please! Please“-Hilferufe, die I. S. hörte, betrachtet­en sie aber eher als Störung ihres Geschäfts. Um 5.46 Uhr teilte G. M. seinem LkwChauffe­ur mit: „Sie toben nicht, weil sie durstig sind, sondern weil sie keine Luft bekommen.“

G. M. rief mehrfach L. S. an. In der Stimme des Afghanen machte sich Panik bemerkbar. Trotzdem wies er seinen Vize beständig an: „Sag dem Chauffeur, er soll nicht hinhören. Er darf nicht stehenblei­ben.“Darin schwang die Befürchtun­g mit, dass die von Ungarn aus operierend­e Bande bei einer Entdeckung des Lkws und seiner Ladung auf ungarische­m Boden auffliegen könnte. An einer Stelle sagte L. S.: „Er soll weiterfahr­en, und wenn sie sterben, soll er sie irgendwo in Deutschlan­d abladen.“Und an einer anderen Stelle: „Ich möchte, dass sie alle sterben.“

Die Niederschr­ift dieser Gesprächsa­usschnitte war kurz vor Beginn des Prozesses im vergangene­n Juni an einige deutsche Medien weitergege­ben worden. Für sich genommen könnten diese Zitate eine direkte Mordabsich­t belegen.

Doch im Kontext einer von Panik untermalte­n Debatte über eine unlösbar erscheinen­de Krise wirkten diese Sprüche bei der Präsentati­on im Gericht eher wie emotionsge­ladene Flüche. Zugleich dürften aber die Beteiligte­n den Tod der Menschen sehr wohl wissentlic­h in Kauf genommen haben. Und auch das würde für eine Verurteilu­ng wegen Mordes reichen.

Der Prozess wird am 14. Februar fortgesetz­t.

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71 Menschen erstickten qualvoll in dem Laster. Ihre panischen Hilferufe wurden ignoriert.

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