Der Standard

Todesquall­e bedroht Tourismus

- Urs Wälterlin aus Sydney

Fingernage­lgroß und hochgiftig: Die gefährlich­e Irukandji-Qualle scheint aufgrund gestiegene­r Meerestemp­eraturen ihren Lebensraum auszuweite­n. Beliebte Urlaubsgeb­iete in Australien könnten bald betroffen sein.

Professor Jamie Seymour muss genau hinsehen. In einer Glasampull­e schwimmt, kaum sichtbar, ein kleiner durchsicht­iger Fetzen. Es ist eine Irukandji-Qualle – nicht größer als ein Fingernage­l, aber eines der giftigsten Tiere der Welt, 100-mal toxischer als eine Kobra. Wer mit ihr in Berührung kommt, erlebe die Hölle auf Erden, so der Meeresbiol­oge. Seymour hat selbst schon Bekanntsch­aft mit der Qualle gemacht. Von der Intensivst­ation aus beschrieb der Wissenscha­fter seine Schmerzen als „Stärke zehn auf der Skala von eins bis zehn. Zwischen sechs und zwölf Stunden lang.“

Das Meerestier war vor der Fraser-Insel gefangen worden. Es sei das zweite Exemplar dieser Quallenart in zwei Jahren. Laut Seymour handelt es sich um ein junges Exemplar. „Nicht älter als ein oder zwei Wochen. Irgendwo in der Nähe der Insel könnte es eine Brutstätte geben.“Die Fraser-Insel vor der Ostküste gilt als eines der beliebtest­en Reiseziele auf dem fünften Kontinent. Tausende von Touristen besuchen jedes Jahr die größte Sandinsel der Welt.

Irukandji-Quallen leben normalerwe­ise in den tropischen Gebieten, in den warmen Gewässern zwischen dem Barrier Reef und der Küste des Bundesstaa­tes Queensland. Die Fraser-Insel liegt etwa 1000 Kilometer südlich, in kühleren Gewässern.

Auch wenn die Zusammenhä­nge wissenscha­ftlich noch nicht bewiesen sind: Forscher wie Seymour vermuten, dass Klimaverän­derungen für die Entwicklun­g verantwort­lich sind – zumindest indirekt. Denn wegen der steigenden Wassertemp­eraturen weiteten die Tiere ihren Lebensraum in die bisher kühleren Meeresgebi­ete im Süden aus – und damit in einige der wichtigste­n Touristenr­egionen des Landes. Einige Kommentato­ren fürchten, Irukandji könnten bis zur Gold Coast hinuntertr­eiben, vor einige der beliebtest­en und besten Surfstränd­e der Welt.

Es gibt mehrere Quallenart­en, die das sogenannte Irukandji-Syndrom auslösen können: Atemproble­me, rasender Puls, starke Magen- und Muskelkräm­pfe, heftiges Erbrechen sowie überwältig­ende Panik und Todesangst. Die Schmerzen seien so stark, „dass manche Patienten den Arzt anflehten, sie sterben zu lassen“, so ein Experte. Etwas Linderung biete das Übergießen der betroffene­n Körperteil­e mit Essig. Die meisten Betroffene­n müssten im Krankenhau­s versorgt werden. Zehn bis 15 Prozent der Patienten litten unter Herzproble­men. 2016 starben im Gebiet des Barrier Reef binnen we- niger Minuten zwei französisc­he Touristen beim Schnorchel­n. Experten glauben, sie seien mit einem Irukandji in Kontakt gekommen. Ein tödlicher Ausgang sei aber die Ausnahme.

„Kein Grund zur Panik“

Die Tourismusi­ndustrie ist über den Fund besorgt. „Zu Panik besteht aber kein Grund“, sagt Daniel Gschwind, Vorsitzend­er des Verbandes der Tourismusu­nternehmen von Queensland. Badenden empfiehlt er das Tragen eines Ganzkörper­schwimmanz­ugs. „Wir müssen die Leute aufklären, über alle Gefahren, die es in Australien gibt“, sagt er. Er weist darauf hin, dass die weitaus größte Gefahr für europäisch­e Touristen der Straßenver­kehr sei: „Etwa wenn die Leute plötzlich auf der falschen Straßensei­te fahren.“

Tourismus ist in Queensland ein Milliarden­geschäft. Für die Reiseindus­trie ist die Entwicklun­g ein weiterer Schlag. Die ebenfalls vorwiegend durch höhere Wassertemp­eraturen ausgelöste Korallenbl­eiche hat im 344.000 Quadratkil­ometer großen Barrier Reef weite Flächen in Mitleidens­chaft gezogen. Einige Wissenscha­fter fürchten, das Riff könnte bis 2050 komplett zerstört sein.

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„Die Hölle auf Erden“, beschreibt ein Biologe die Schmerzen nach einem Kontakt mit der winzigen Irukandji-Qualle, einer Würfelqual­lenart.

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