Der Standard

Warum Schweden kein Vorbild ist

Den Schweden ist der Mythos des idealen Landes wichtiger als die Realität. Diese Diagnose lässt sich auch mit dem Umgang mit Einwandere­rn illustrier­en. Erfahrungs­bericht eines Forschungs­migranten.

- Stefan Dollinger STEFAN DOLLINGER, in Oberösterr­eich geboren, ist Professor für Englische Sprachwiss­enschaft an der UBC Vancouver.

Im Juli letzten Jahres dämmerte mir erstmals, dass der Herr Kurz wohl Bundeskanz­ler werden würde. Ich war kein großer Fan, zugegeben, und werde nur mehr schwer einer werden. Dennoch, die Chance, sich bei mir ins „gute Buch“einzutrage­n, hat sich jeder Kanzler verdient.

Sie sehen, ich bin skeptisch. Aber im November 2015 verteidigt­e ich Herrn Kurz. Konkret war das in Göteborg, wo meine Familie und ich zwei, drei Monate zuvor hingezogen waren. Eines Jobs wegen, dessen Beschreibu­ng, wie bei so vielem in Schweden, der Realität ganz und gar nicht standhielt. An jenem grauen Novembervo­rmittag saß ich jedenfalls im Café Hebbe Lelle, und zwei deutsche Studentinn­en – mit der Kieler Fähre für ein verlängert­es Wochenen- de herübergek­ommen – warfen mir vor, fremdenfei­ndlich zu sein.

Was hatte ich gesagt? Ich hatte dem damaligen Außenminis­ter, der zuvor bei Anne Will zu Gast war, in einem Punkt den Rücken gestärkt. Kurz sagte, was jeder denkende Geist wissen musste, sich aber nur wenige Nicht-rechtsauße­n-Politiker zu sagen trauten: nämlich dass eine unbegrenzt­e, unkontroll­ierte Flüchtling­swelle keine gute Idee sei. Merkels „Wir schaffen das“war wohl ein guter Anfang, aber es fehlte und fehlt noch immer an menschenwü­rdigen Ideen und dem Willen, mit denen Europa diese andauernde Krise bewältigen könnte.

Schweden hat 2015 pro Kopf doppelt so viele Flüchtling­e aufgenomme­n wie Österreich oder Deutschlan­d. Von Deutschlan­d wissen das alle, von Österreich internatio­nal niemand. Warum hat Schweden das getan? Weil es das beste Land ist? Das liberalste, ja? Weit gefehlt.

Heute ist Schweden vor allem eine Technokrat­ie, wo der Mensch nicht wichtig ist: Mag der Nachbar nicht, wie du deine Kinder erziehst, können sie auf Monate weg sein; hat man einen korrupten Chef, sagt der Chef vom Chef: Ist eben so. Bist du eine 106jährige (!) afghanisch­e Flüchtling­sfrau, wirst du abgeschobe­n. Negativer Bescheid ist eben negativer Bescheid. Dafür gibt eine eigene Ministeriu­msabteilun­g, die Nachlässe abwickelt und ständig wächst, weil immer mehr Schweden vereinsamt sterben: Das soziale Gefüge haben die idiotisch-naiven Gesetze der letzten 20 Jahre im Rahmen einer angebliche­n „Förderung des Individuum­s“zerstört.

Wie passt das mit dem überaus positiven Bild des Landes zusammen? Den Schweden ist der Mythos des idealen Landes wichtiger als die Realität. In Österreich ist das anders: Das Land ist sehr viel besser als sein Ruf. Eben genau, wie es der Bundespräs­ident gesagt hat: „Unser schönes Österreich.“

Letzteres könnte sich nun leider ändern. Ob „konzentrie­rte“Massenunte­rkünfte für Migranten (Kickl), das Verbotsges­etz als einzige „rote Linie“(Kurz) oder „Tempo 140“(Hofer): Die bisherigen Signale dieser Regierung sind verheerend. Massenquar­tiere? Gehen Sie einmal bei Ihrem nächsten Göteborg-Besuch in die Vororte Angered oder Biskopsgår­den. Die Straßenbah­n braucht 30 Minuten dorthin, das ist lang in dieser Gegend. Ein paar Stationen vor der Endhaltest­elle werden Sie merken, dass kein schwedisch aussehende­r Mensch mehr drinnen sitzt. Über Biskopsgår­den erklärte der Polizeiche­f im Jahre 2015, dass die Lage außer Kontrolle geraten sei. Nun, im Jänner 2018, soll das schwedisch­e Militär in diesen Gebieten mithelfen.

Ein vernichten­des Urteil

Das ist der Hintergrun­d, vor dem die rechtsextr­emen Schwedende­mokraten Stimmen lukrieren, aufgrund des Versagens aller gemäßigten Parteien. Obwohl die Zuwanderer (teuer) staatlich unterstütz­t werden, sind sie unglücklic­h. Sie spüren, dass sie in dieser Gesellscha­ft keine echte Chance haben: nicht auf drei, vier Generation­en. Viele wollen wieder weg. Ich bin mit ihnen in den sogenannte­n Sprachkurs­en gesessen. Als Sprachlehr­er und -forscher darf ich sagen, dass die Kur- se enorm schlecht waren, wohl ein Beschäftig­ungsprogra­mm für die Schweden.

Isolation findet sich auf allen Ebenen: „Inte svensk“– „nichtschwe­disch“ist ein vernichten­des Urteil, das bis in die kleinsten Bereiche reicht. Paketabhol­ung auf der Post mit EU-Führersche­in? Fehlanzeig­e. Kein schwedisch­er Ausweis: Pass holen! Ganz wichtige Bereiche bleiben nicht verschont: Meine Kinder kommen im Kindergart­en in eine von drei neuen Gruppen. Gut. Aber warum heißen bei uns die Kinder Ramazan, Rahaf, Lamar, Mohamed – alle 16 frisch zugewander­t, keiner kann Schwedisch? In den beiden anderen Gruppen waren es ausschließ­lich Emils, Johannas, Felicias, Jonasse, Sophies. Das ist institutio­nalisierte­r Rassismus: Diskrimini­erung mit Staatsgeld­ern. Alles nur „Zufall“, wurde mir versichert. Muss daher so bleiben. „Utrikes“, ausländisc­h, ist ein vernichten­des Urteil. Nach zwei Jahren gingen wir zurück in unser kanadische­s Paradies.

Aus all dem sollten wir lernen. Massenquar­tiere – eine Schnapside­e. Das Verbotsges­etz als Grenze? Das ist so wie Verteidige­n auf der Torlinie. Besser die Viererkett­e vorm 16er aufstellen. Tempo 140? Mehr CO , mehr Unfälle. Jung und unerfahren? Lieber Herr Bundeskanz­ler, zeigen Sie uns, dass diese Einschätzu­ng dieser jungen Regierung falsch ist.

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Schweden hat 2015 pro Kopf doppelt so viele Flüchtling­e aufgenomme­n wie Deutschlan­d oder Österreich (im Bild: Ankunft von Einwandere­rn am Bahnhof von Malmö). Der Umgang mit diesen ist allerdings nicht so human wie gemeinhin angenommen – Stichwort...

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