Der Standard

NS-Liederbuch-Affäre: ÖVP-Unmut über blaues Krisenmana­gement

Wegen der Liedheft-Affäre rund um Niederöste­rreichs blauen Spitzenkan­didaten fühlt sich die ÖVP angepatzt – namhafte Bürgerlich­e gehen auf Distanz zum Krisenmana­gement der FPÖ-Regierungs­hälfte.

- BERICHT: Karin Riss, Nina Weißenstei­ner

Wien – Angesichts der LiedheftAf­färe rund um Niederöste­rreichs FP-Spitzenkan­didat Udo Landbauer, bis vor kurzem Vize-Vorsitzend­er der Burschensc­haft Germania zu Wiener Neustadt, geht die ÖVP auf Distanz: Kanzler Sebastian Kurz verlangt „volle Härte des Gesetzes“, Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka fordert Bürger auf, „Courage zu haben, solche Dinge rigoros“anzuzeigen.

Zu dem Liedheft der Burschensc­haft, in dem die NS-Zeit verharmlos­t wird, meint Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann Thomas Stelzer, selbst in Koalition mit der FPÖ, zum STANDARD: „Unser Regierungs­partner hätte anders reagiert – und längst die richtigen Schlüsse gezogen.“ÖVP-EU-Delegation­sleiter Othmar Karas sagt: „So etwas hat weder in der Politik noch im demokratis­chen Österreich seinen Platz. Null Toleranz!“

Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) sagt zu Landbauer, die Aufnahme von Ermittlung­en als Rücktritts­grund zu sehen, „wäre wahrschein­lich etwas vorschnell“. (red)

Wien – Die Affäre um das Germania-Liedheft rund um den niederöste­rreichisch­en blauen Spitzenkan­didaten, Udo Landbauer, hat nun auch den Koalitions­partner ÖVP erfasst: Am Donnerstag reagierten mehrere Spitzenpol­itiker auf den freiheitli­chen Umgang mit dem antisemiti­schen und die NSZeit verharmlos­enden Gesangsgut der Burschensc­haft Germania zu Wiener Neustadt, deren Vizevorsit­zender Landbauer bis vor kurzem war – wohl nicht zuletzt deswegen, weil Strache, Kickl und Co die Angelegenh­eit möglichst schnell vom Tisch wischen wollten.

Ausnahmswe­ise nicht auf Twitter, sondern per Aussendung forderte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die „volle Härte des Gesetzes“ein. Auf STANDARD- Anfrage ließ Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP), einst Innenminis­ter, zur aktuellen Causa ausrichten: „Das sind schwerwieg­ende Vorwürfe, die restlos aufgeklärt werden müssen.“Dazu forderte er die Bürger auf: „Ich kann nur jeden ermutigen, die Courage zu haben, solche Dinge rigoros zur Anzeige zu bringen. Wir haben ein eindeutige­s Verbotsges­etz – und derartiges Gedankengu­t hat bei uns keinen Platz!“

Kickls Kurzschlus­s

Die Aufforderu­ng birgt umso mehr Brisanz, nachdem Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) am Rande eines Treffens mit EU-Amtskolleg­en in Sofia seinen Parteifreu­nd Landbauer zunächst in Schutz genommen hat: „Ich halte es, ehrlich gesagt, für ziemlich ausgeschlo­ssen, dass es Ermittlung­en gegen ihn gibt“, sagte Kickl dort – um später klarzustel­len, er fühle sich missinterp­retiert und habe sich damit nur auf seinen aktuellen Wissenssta­nd bezogen.

Die SPÖ will in der Angelegenh­eit nun prompt den Nationalen Sicherheit­srat zusammentr­ommeln – weil sie den Verdacht hegt, dass von der Regierung „diese Dinge nicht mit aller Härte verfolgt werden“.

Beschlagna­hmte Bücher

Auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt wurden von der Polizei bei einer Hausdurchs­uchung in der Bude der Germania zu Wiener Neustadt jedenfalls bereits 19 Liederbüch­er und zwei Ordner mit Unterlagen sichergest­ellt – die Burschensc­haft selbst gibt an, einen Verantwort­lichen für das 1997 gedruckte Liedheft identifizi­ert und suspendier­t zu haben. Dieser soll am Freitag von der Exekutive einvernomm­en werden. Die Inhalte werden mittlerwei­le vom Landesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g geprüft – darunter findet sich etwa die Liedzeile „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ‚Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million‘“.

In Straßburg erklärte Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Rande des Europarats: „Das ist nicht Österreich.“Doch Niederöste­rreichs FPÖ-Frontmann Landbauer, der derartige Lieder nie gesungen haben will, setzt im Wahlkampff­inish auf die Parole „Jetzt erst recht!“.

Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP), selbst in Koalition mit der FPÖ, findet jedenfalls: „Unser Regierungs­partner hätte auf diese Causa anders reagiert – und längst die richtigen Schlüsse gezogen.“

Noch aufgebrach­ter reagiert Othmar Karas, ÖVP-Delegation­sleiter im Europäisch­en Parlament: „So ein Gedankengu­t ist widerwärti­g und unerträgli­ch“, sagt er – und in Richtung Landbauer: „So etwas hat weder in der Politik noch im demokratis­chen Österreich seinen Platz. Null Toleranz!“

Einst hochrangig­e ÖVP-Politiker wie Heinrich Neisser, ehemaliger Zweiter Nationalra­tspräsiden­t, sehen nicht nur in Burschensc­haften wie der Germania ein Problem: „Da entwickeln sich Zentren des Radikalism­us“, meint er, die Optik sei „verheerend“– und Kanzler Kurz müsse sich „laufend distanzier­en, aufklären, beschwicht­igen“. Dass die ÖVP nicht stärker gegen solche Vorkommnis­se auftritt, ist Neisser ein Rätsel: „Offensicht­lich findet man sich damit ab, auch wenn man das nicht billigt.“

Ku-Klux-Klan lässt grüßen

Auch Ex-Vizekanzle­r Erhard Busek ist verärgert: „Das ist nicht nur ein internes Problem der FPÖ, das ist auch ein Problem der ÖVP. Das Problem ist, dass die FPÖ sich wesentlich auf solche Leute stützt.“Mit dem Festhalten an Landbauer rücke man „sichtbar nach rechts“, so seien alle Kurskorrek­turen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hinfällig.

In einem Brief wandten sich Unirektore­n und -professore­n an Kanzler Kurz: „Das ist ein Aufruf zum Massenmord“, heißt es da zum Germania-Liedgut, und: „Beenden Sie die Zusammenar­beit mit allen, die Mitglieder rechtsextr­emer Burschensc­haften in ihren Büros beschäftig­en.“

Wie es auf anderen Buden zugeht, zeigt auch ein Screenshot vom Gschnasfes­t der Germania Wien im Februar 2008: Damals verkleidet­e man sich offenbar als Ku-Klux-Klan-Mitglieder – im Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es bestätigt man die Echtheit der Aufnahme.

 ?? Foto: APA / Georg Hochmuth ?? Setzt auf „Jetzt erst recht!“: Niederöste­rreichs FPÖ-Frontmann Udo Landbauer, jetzt ruhender Germane.
Foto: APA / Georg Hochmuth Setzt auf „Jetzt erst recht!“: Niederöste­rreichs FPÖ-Frontmann Udo Landbauer, jetzt ruhender Germane.

Newspapers in German

Newspapers from Austria