Der Standard

Der Gorilla im Zimmer

- Markus Bernath

Österreich­ische Archäologe­n dürfen wieder in Ephesos graben. Es ist eine schöne, versöhnlic­he Geste der Türkei nach zwei hässlichen Jahren in den Beziehunge­n der beiden Länder, die zeigt, wie einfach die Türken in Wahrheit zu gewinnen sind: Man muss auf sie zugehen – nicht einmal sehr weit –, sie ihr Gesicht wahren lassen, Respekt zeigen. Der neuen Außenminis­terin Karin Kneissl ist das nach ihrer Ernennung mit einem Anruf bei ihrem Kollegen und ein paar netten Worten auf Türkisch gelungen. Aber eine schöne Atmosphäre verpufft auch.

Der EU-Beitritt der Türkei ist der 400-Kilo-Gorilla, der im Zimmer steht und den die Außenminis­terin und ihr türkischer Kollege Mevlüt Çavuşoglu im Moment ignorieren wollen. Das ergibt zu einem gewissen Maß auch Sinn. Österreich ist in der EU mit der Regierungs­linie Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en viel zu isoliert, als dass daraus ein einstimmig­er Beschluss in Brüssel werden könnte; die Türkei wiederum hat mit dem Gang in die autoritäre Herrschaft auch die letzten Beitrittsb­efürworter verprellt.

Die österreich­ische Regierung kommt deshalb um das eine wie um das andere nicht herum: Sie wird an einer Ersatzlösu­ng für den Türkei-Beitritt mitarbeite­n müssen, der die gesichtswa­hrende Beitrittsp­erspektive doch noch erhält. Und Wien wird – wie Kneissl es zum Teil in Istanbul auch tat – Verhaftung­en, Arbeitsver­bote und die Auflösung der Demokratie in der Türkei thematisie­ren müssen.

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