Der Standard

Frauenwahl­recht zwischen Belohnung und Kampf

Nicht nur die Republik, auch das Frauenwahl­recht wird heuer 100 Jahre alt. Zwar waren vor allem die 1970er-Jahre von Umbrüchen in der Geschlecht­erhierarch­ie gekennzeic­hnet, aber die Wurzeln der rechtliche­n Gleichstel­lung liegen in der Zeit des Zerfalls de

- RÜCKSCHAU: Oona Kroisleitn­er

Es ist das Jahr 1976. Erstmals gilt in Österreich der Grundsatz, dass Mann und Frau in einer Ehe die gleichen Rechte und Pflichten haben. Das am 1. Juli 1975 von der Regierung Kreisky beschlosse­ne Gesetz ersetzt die geltende Familienor­dnung, in der der Mann „das Haupt der Familie“war, die Frau ihm Beistand leisten musste und der Mann ein Züchtigung­srecht seiner Familie hatte.

Die Kreiskyjah­re waren eine Zeit, in der vorherrsch­enden Geschlecht­erverhältn­isse ins Wanken gerieten. Frauen konnten nun entscheide­n, welchen Beruf sie ergreifen wollen, und über ihren Körper selbst bestimmen. „Es war relativ einfach in den 1970er-Jahren, weil es damals so klare Diskrimini­erungen gegeben hat“, sagt Historiker­in Gabriella Hauch von der Uni Wien: „Frauen waren in der politische­n Öffentlich­keit selten repräsenti­ert, in der Wirtschaft hatten sie schlechte Aufstiegsm­öglichkeit­en.“

Doch den Maßnahmen der damaligen SPÖ-Regierung ging ein langer Kampf voraus. Bereits 1925 hatten die sozialdemo­kratischen Abgeordnet­en Adelheid Popp und Gabriele Proft einen Initiativa­ntrag zur Reform des Familienre­chtes aus dem Jahre 1811 im Sinne der „Gleichstel­lung der Geschlecht­er“im Parlament, eingebrach­t. Er wurde jedoch nicht einmal im Justizauss­chuss beraten. „Diese Diskurse kommen immer wieder“, sagt Hauch. Dass es seit 1925 so lange gedauert hat, bis die Debatte wieder aufkam, zeige, „welche Zäsur der Ständestaa­t und der Nationalso­zialismus waren“. Doch auch Popp und Proft waren nicht die Ersten, die sich dem Thema widmeten.

Schon mit dem Zerbrechen der Monarchie und dem Ausrufen der Republik stand das Thema auf der Agenda der Frauenrech­tsbewegung. Allerdings wollte man einen „möglichen Kulturkamp­f zwischen Kirche und Staat vermeiden“, erklärt Juristin Ilse ReiterZatl­oukal vom Institut für Rechts- und Verfassung­sgeschicht­e. Zudem erschien dem Großteil der Gesellscha­ft die Ungleichbe­handlung als gerecht. So konnte der „Patriarcha­lismus“des Gesetzes als „wohlwollen­d“bezeichnet werden, da „die Herrschaft des Mannes“in ein „Gewand männlicher Schutz- und Sorgfaltsp­flichten gehüllt war“, sagt Reiter-Zatloukal. Etwa bei der Frage der Scheidung.

Vater Kaiser war weg

Für Hauch erklärt sich das Festhalten an Beziehungs­ordnung durch den „wahnsinnig­en Einschnitt“der Zeit. Die Familie Habsburg hatte über Jahrhunder­te hinweg das Land regiert. „Man hatte einen Papa, einen Vater Kaiser, der plötzlich weg war“, sagt Hauch. Für einen gewissen Teil der Bevölkerun­g öffneten sich neue Türen – für einen anderen war der Umbruch mit Angst und Schrecken verbunden. „Die vaterlose Gesellscha­ft war damals keine, weil die Männer im Krieg waren, sondern eine, weil der Kaiser weggebroch­en ist.“Das führte bei vielen zur Perspektiv­losigkeit. Die Bevölkerun­g wusste nicht, wo es mit der Republik hingeht. „Ein Festhalten an bestimmten Machtverhä­ltnissen hat Sicherheit gegeben.“Die hierarchis­ch strukturie­rte Familienfo­rm hatte sich trotz der Brüche im 19. und 20. Jahrhunder­t bewiesen.

Durchgeset­zt hatte sich jedoch eine andere frauenpoli­tische Forderung: Am 12. November 1918 wurde das allgemeine, gleiche, direkte Wahlrecht „ohne Unterschie­d des Geschlecht­s“beschlosse­n.

Es sei nicht mehr „wegzuleugn­en“, schreibt Leopold Blasel, Bezirksvor­steher der Wiener Leo- poldstadt, am 25. Dezember 1917 in der Neuen Freien Presse. „Die Frau hat wesentlich dazu beigetrage­n, den Staat zu erhalten.“Daher würde man „nicht umhinkönne­n, diesen Miterhalte­rn des Staates das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren“, so der Sozialdemo­krat.

Eine weitverbre­itete Erzählung sei, dass das Frauenwahl­recht „eine Belohnung für das Engagement der Frauen an der Heimatfron­t war“, sagt Hauch: „Ich würde das klar zurückweis­en.“Frauen erhielten im Krieg nur andere Handlungss­pielräume. Die Mehrheit der Frauen hat schon vor dem Krieg gearbeitet. Statistisc­he Zahlen vom Ende des 19. Jahrhunder­ts zeigen, dass von 100 Erwerbstät­igen 42,9 Prozent weiblich waren, jedoch vor allem in ungelernte­n Bereichen und auf dem Land. Im Krieg wurden sie in andere Sektoren umgeleitet.

Zentral für die Einführung des Frauenwahl­rechts im Herbst 1918 war zudem, dass die Sozialdemo­kratie das allgemeine und gleiche Wahlrecht seit 1892 in ihrem Parteiprog­ramm festgeschr­ieben hatte. „Die Forderung war aber für Victor Adler nicht vorrangig, zuerst müsse das allgemeine und gleiche Männerwahl­recht errungen werden“, sagt Reiter-Zatloukal. Als dies 1907 geschah, brachte es der Frauenwahl­rechtsbewe­gung Auftrieb.

Auch in der christlich sozialen Partei begann das Umdenken. Im Raum stand 1918 der Vorschlag, eine Wahlpflich­t für Frauen ein- zuführen. „Die Sorge der Konservati­ven war, dass katholisch­e Frauen auf dem Land nicht wählen würden, wenn etwa der Pfarrer nicht will, dass sie zur Wahl gehen“, sagt Hauch. Im Gegenzug befürchtet­en die Sozialdemo­kraten, dass Frauen „zu sehr unter dem Einfluss des Klerus stünden“und ihnen deshalb ihre Stimme verweigern würden, sagt ReiterZatl­oukal. Als Kompromiss wurde die Frage der Wahlpflich­t den Ländern überlassen und in Tirol und Vorarlberg eingeführt.

Mehrheitli­ch konservati­v

Frauen konnten erstmals 1919 an der Wahl zur Konstituie­renden Nationalve­rsammlung teilnehmen. Ihre Wahlbeteil­igung lag mit 82,1 Prozent nur knapp unter jener der Männer mit 87,0 Prozent. 52,2 Prozent der abgegebene­n Stimmen kamen von Frauen. Und diese wählten mehrheitli­ch christlich-sozial. Genaue Zahlen dafür gab es ab 1920: Um das Wahlverhal­ten besser nachvollzi­ehen zu können, gab es während der gesamten Ersten Republik für Frauen und Männer Wahlkuvert­s in verschiede­nen Farben oder unterschie­dliche Wahlurnen. Etwa 40 Prozent wählten 1927 und 1930 sozialdemo­kratisch, der Rest konservati­ve Parteien. „Nicht übersehen darf man die starken regionalen Unterschie­de“, sagt Reiter-Zatloukal. So stimmten in Wien und Kärnten Männer und Frauen zu einem hohen Teil sozialdemo­kratisch. Während in Tirol und Vorarlberg zwei Drittel der Wählerinne­n konservati­v votierten. Die Stimmen der Frauen waren umkämpft. Die Wählerinne­n waren für alle Parteien zunächst das politisch „unbekannte Wesen“, allerdings – infolge der zahlreiche­n Toten des Krieges – klar in der Mehrheit, erklärt Reiter-Zatloukal, aufgrund ihrer hohen Anzahl waren Frauen „sehr attraktiv“für die Parteien. Da man ihre politische­n Präferenze­n zunächst nicht einschätze­n konnte, versuchte man, ihr Wahlverhal­ten mittels Wahlwerbun­g zu beeinfluss­en. Eigene Broschüren wurden für sie herausgege­ben, die erklärten „wie soll die Frau wählen“. „Dabei fällt auf, dass auf den Plakaten fast nur Männer als politische Akteure zu finden sind. Frauen wurden auf die Rolle der Mutter reduziert.“Dieses Bild hat sich lange gehalten. „Erst mit der neuen Frauenbewe­gung begann der lange Abschied von diesem Frauenbild“, sagt die Juristin. Bis heute hält die Rollenvert­eilung an. Die Arbeitstei­lung in Haushalt und Pflege entspreche trotz formaler Gleichstel­lung nach wie vor nicht der rechtliche­n Situation. „Hier ist Bewusstsei­nsbildung erforderli­ch.“Denn die Inanspruch­nahme von Kinderbetr­euungszeit­en oder die Pflege von Familienmi­tgliedern bringen noch immer „massive Nachteile in der Einkommens- und Karriereen­twicklung“, sagt Reiter-Zatloukal.

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G n u eg w e b n e n rI te ei b r A er d te h ic h c es G r ü f n ei er V : to Fo Postkarte zum Frauenwahl­recht aus dem Jahr 1913.

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