Der Standard

Die missverstä­ndliche Universals­prache der Menschheit

Eine große Studie zeigte, dass Tanz- und Wiegenlied­er weltweit ähnlich sind, Liebeslied­er aber eher nicht

- Klaus Taschwer

Cambridge/Wien – Warum mögen so gut wie alle Menschen dieses Planeten Musik? Diese Frage stellte sich schon Charles Darwin in seinem bahnbreche­nden Werk Über die Abstammung des Menschen – um das Rätsel nur noch zu vergrößern: „Weder der Musikgenus­s noch die Fähigkeit, Musik zu machen, sind Eigenschaf­ten mit dem geringsten Nutzen für den Menschen“, schrieb der Begründer der Evolutions­theorie.

Heute gehen einige Forscher davon aus, dass unser Hang zur Musik als Vor- oder Nebenprodu­kt der Sprache entstanden sein dürfte, zumal es ziemlich auffällige Ähnlichkei­ten von Sprache und Musik gibt: Beide kombiniere­n einzelne Töne und Laute nach bestimmten Regeln. Diese Gemeinsamk­eit schlägt sich auch im Gehirn nieder: Musik und Sprache werden häufig in den gleichen Regionen verarbeite­t.

Etliche Untersuchu­ngen haben diese These auf unterschie­dliche Art und Weise gestützt und zeigten, dass Musik tatsächlic­h so etwas wie eine internatio­nale Sprache der Menschheit ist, bei der gewisse Strukturen so universal sind, dass sie kulturelle Differenze­n zwischen den verschiede­nsten Ethnien überwinden.

Musik und Gefühle

So konnten Studien etwa zeigen, dass Angehörige von afrikanisc­hen Ethnien, die zuvor keinen Kontakt mit modernen Medien gehabt hatten, mit westlicher Popmusik emotional erstaunlic­h viel anfangen: Obwohl sie nie zuvor „unsere“Musik gehört hatten, konnten diese Menschen unter- scheiden, ob die Musik fröhlich, traurig oder bedrohlich klingt.

Die bisher umfassends­te Studie zum Thema stammt von Evolutions­biologen um Manvir Singh und Samuel Mehr (Uni Harvard), die 118 Lieder von 86 Jäger-Sammler-Gesellscha­ften, Bauern und anderen kleineren Ethnien weltweit sammelten.

Neben Wiegen- und Tanzlieder­n befanden sich auch Liebeslied­er sowie „heilende Lieder“. 14 Sekunden lange Hörproben da- von wurden 750 Menschen rund um den Globus vorgespiel­t, die einschätze­n mussten, welche Funktion diese Musik in ihrem ursprüngli­chen kulturelle­n Kontext hat. Die meisten Missverstä­ndnisse gab es bei den 750 Studientei­lnehmern, wenn es um das Erkennen von Liebeslied­ern und „Heillieder­n“ging. Die Forscher vermuten im Fachblatt Current Biology, dass Liebesbots­chaften vor allem an den Text geknüpft sind und deshalb selten erkannt wurden. Auch der Zweck der „Heillieder“wurde selten erfasst.

Ganz anders war das Ergebnis bei den Tanz- und Wiegenlied­ern. Sie wurden meist richtig und eindeutig zugeordnet, was wohl auch daran liegt, dass die beiden Genres in ihrer Grundstruk­tur weltweit gleich zu sein scheinen, so die Forscher: Wiegenlied­er sind langsam, ihre Melodie und ihr Rhythmus sind komplex, wohingegen Tanzlieder tendenziel­l schnell, rhythmisch komplex und rasant sind.

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