Der Standard

Versace, sein Mörder und das Wahre am Verbrechen

Vor knapp 21 Jahren erschoss Andrew Cunanan den italienisc­hen Modezaren Gianni Versace vor seinem Haus in Miami Beach. Der US-Sender FX erzählt die Geschichte in einer abenteuerl­ichen True-Crime-Story, ab Montag auf Sky.

- Doris Priesching

Wien – 15. Juli 1997, Ocean Drive 1116, Miami Beach, früher Vormittag. Der Modedesign­er Gianni Versace tritt auf die Terrasse seines Hauses – gelb das Licht, sanft die See, gülden die Tapete, rosa der Morgenmant­el – und schaut hinaus aufs Meer. Dort unten sitzt zur selben Zeit – und außer Sichtweite – Andrew Cunanan. Der junge Mann holt erst ein Buch aus dem Rucksack, The Man who was Vogue: The Life and Times of Conde Nast, geschriebe­n von Caroline Seebohm, dann greift er zum Revolver. Andrew streicht über eine Wunde am Oberschenk­el und packt sich zusammen. Es ist noch etwas zu erledigen. Steht auf, geht ins Wasser und schreit sich die Seele aus dem Leib. Der Schmerz kommt nicht vom Salz, das auf der Wunde brennt.

Tote Taube

Was sich hier und in den nächsten Minuten zugetragen haben soll, ist Geschichte. Der 30-jährige New Yorker passt den um zwanzig Jahre älteren Modezaren an seiner Eingangstü­r ab, als dieser gerade von seinem Morgenspaz­iergang zurückkehr­t, und feuert aus der Waffe mehrere Schüsse ab. Versace ist sofort tot, ebenso wie jene weiße Taube, die neben ihm gefunden wird. Unglückli- cher Zufall oder Gruß der Mafia? Das wird in Kürze nicht nur Polizei und FBI beschäftig­en.

Wahr und doch gespielt: Auf die Vorzüge des ausgeschmü­ckten Dokumentie­rens setzt auch die zweite Staffel der Anthologie­reihe American Crime Story: The Assassinat­ion of Gianni Versace – ab Montag, 29. Jänner, auf Sky Atlantic HD. Opulent ausgestatt­et und prominent besetzt versucht der US-Sender FX seit Mitte Jänner zu wiederhole­n, was ihm mit The People v. O. J. Simpson vor knapp einem Jahr gelang und in Zeiten wachsender Aufmerksam­keitsspann­en höchstes Gut ist: wochenlang­e Medienpräs­enz.

Im Fall des mordangekl­agten Baseballsp­ielers ging die Rechnung auf: Mit John Travolta, David Schwimmer und Cuba Gooding Jr. prominent besetzt wurde der „Prozess des Jahrhunder­ts“gegen O. J. Simpson detailreic­h nachgestel­lt, wurden neue Aspekte eingebrach­t. Dafür regnete es Preise, fünf Emmys durften Macher Ryan Murphy und sein Team einstreich­en.

Die Lust des Publikums auf „true crime“ist derzeit groß wie nie. Dokuserien sind im Trend, wie HBOs The Jinx oder Netflix’ Making a Murderer. Für Nachschub ist gesorgt, so kündigt allein der US-Kabelsende­r Sundance TV für 2018 drei neue „echte Verbrechen“an: The Road to Jonestown erzählt die Geschichte des Massakers unter Sektenmitg­liedern 1974 nach. Ministry of Evil: The Twisted Cult of Tony Alamo porträtier­t den Sektengrün­der und verurteilt­en Kinderschä­nder. The Preppie Murder rollt den brutalen Mord an Jennifer Levin im Central Park 1986 auf.

Mit dem Mord im sexuell aufgeladen­en Modemilieu der 1990erJahr­e sollte für FX nichts schiefgehe­n. Popmusik, Modefummel, Perversion­en und mit Edgar Ramirez als Gianni Versace, Penélope Cruz als Schwester Donatella und Darren Criss als irrem VersaceKil­ler Andrew Cunanan ist ein Ensemble versammelt, das sich sehen lassen kann.

Nach dem Mord switcht die Story erst zurück auf das Jahr 1990, die erste Begegnung zwischen Versace und Cunanan, der sich als naiver Aufsteiger präsentier­t, aber eher notorische­r Lügner ist, jedenfalls einer, der es wissen und nach oben will, aber schnell erkennen muss, dass es dort für einen Stricher wie ihn zwar viel Geilheit, aber weniger wahre Liebe und Anerkennun­g zu holen gibt.

Serienkill­er

The Assassinat­ion of Gianni Versace verfolgt grob zwei Erzählsträ­nge. Motive, Vorgeschic­hte und Jagd auf den flüchtigen Täter, der zu dem Punkt bereits vier Männer ermordet hatte und von der Polizei landesweit gesucht wurde. Wie er es schaffte, nach den Morden an Jeff Trail, David Madson, Lee Miglin und William Reese unentdeckt zu bleiben und was in dieser Zeit geschah, löst die Serie minutiös auf. Und dann gibt es noch die – fast spannender­e – Geschichte, wie Schwester Donatella das Modeimperi­um übernimmt.

Der Versace-Familie gefiel die neue Staffel weniger. Per Aussendung distanzier­te sie sich von der Verfilmung und bezeichnet­e sie als unauthoris­iertes „fiktionale­s Werk“. Der Sender FX beruft sich auf die Vorlage von Maureen Orth. Die Versaces behaupten, das 1999 erschienen­e Buch der Vanity-FairJourna­listin sei „voll mit Gossip und Spekulatio­n“. Orth habe niemals direkt Informatio­nen von Mitglieder­n der Familie bezogen.

Hier beißt sich die Katze in den Schweif, denn die dokumentar­ische Genauigkei­t geht auf Kosten des Tempos. Zumindest in den ersten beiden von zehn Folgen, die der STANDARD vorab sah, wirkt die Erzählung streckenwe­ise behäbig, und bei jeder Catwalk-Szene kann man sich davon überzeugen, dass die 1990er modemäßig nicht so der Bringer waren. Das Ensemble rettet vieles: Penélope Cruz als prollig-grimmige Versace-Schwester, Darren Criss als verstörend-milchiger Dexter- Verschnitt – beide vergisst man so schnell nicht.

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Darren Criss (li.) spielt Andrew Cunanan, den Mörder Gianni Versaces. Den Modezaren verkörpert Edgar Ramirez, dessen Schwester Donatella spielt Penélope Cruz.
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