Der Standard

Euphorie und Ende

Kaiser Karl dachte an einen Separatfri­eden – was, verpatzt, zum diplomatis­chen Desaster der „Sixtus-Affäre“führte. Leider! So musste Kaiser Karl, um nicht als Lügner dazustehen, jetzt erst recht in Nibelungen­treue weiterkämp­fen lassen.

- GERHARD DREKONJA-KORNAT (Jahrgang 1939) ist emeritiert­er Ordinarius für Geschichte an der Uni Wien. Gerhard Drekonja-Kornat

Zum Jahresbegi­nn 1918 herrschte unter österreich­ischen Generalstä­blern Euphorie – alle strategisc­hen Kriegsziel­e waren erreicht! Das zaristisch­e Russland zerfiel und machte den Bolschewik­en, erpicht auf Sofortfrie­den, Platz; Serbien, Albanien und Montenegro waren besetzt; Rumänien, 1916 vorlaut in den Krieg gegen die Mittelmäch­te eingetrete­n, musste um Waffenstil­lstand und Frieden betteln; und Italien, in der erfolgreic­hen Durchbruch­schlacht von FlitschTol­mein gedemütigt, sammelte am Piave-Südufer die Reste seiner zertrümmer­ten Isonzo-Armee ein.

Freilich, nicht alle Erfolge gingen ausschließ­lich auf das Konto der Österreich­er. Ein deutsches militärisc­hes Korsett hatte oft geholfen, was gelegentli­ch die Österreich­er zum Juniorpart­ner abstufte. Dennoch brachte das Kaiserreic­h nicht zu unterschät­zende Militärhil­fe für die Osmanen auf.

Diese günstige strategisc­he Konstellat­ion 1917/18 erscheint umso bemerkensw­erter, als die k. u. k. Feldarmee im Herbst 1914 seitens der Russen katastroph­ale Verluste einstecken musste: „Am Abend tönen die herbstlich­en Wälder von tödlichen Waffen“, beginnt Georg Trakl seinen GrodekAbge­sang, bevor sein eigenes Leben verlöscht. Ebenso schlimm: Ein Großteil der adligen Berufsoffi­ziere war damals entweder gefallen oder in russische Gefangensc­haft geraten. Reserveoff­iziere – oft bürgerlich­e Freiwillig­e – sowie unerschütt­erliche Unteroffiz­iere hielten die multiethni­sche Streitmach­t zusammen.

Hektisches Requiriere­n

Anfang 1918 begann ein hektisches Requiriere­n, genauer: das Ausplünder­n von Rumänien, der Ukraine sowie von Oberitalie­n, um Lebensmitt­el, etwa Weizen oder Fleisch, und Erdöl einzuführe­n. Zudem erhoffte man das Auffüllen der Heeresstär­ke dank der Heimkehr einer halben Million Kriegsgefa­ngener aus Russland. Freilich, dies alles kam zu spät, und wenn die Bauern in besetzten Gebieten, denen man das Vieh wegtreiben wollte, mit Mistgabeln oder Jagd- flinten protestier­ten, antwortete Österreich­s Armee drakonisch.

Nach den großen Erzählunge­n der Feldzüge des Ersten Weltkriegs rückten indes jüngere Historiker nach, welche die interne Lage, insbesonde­re die katastroph­ale Ernährungs­lage in Wien, auskundsch­afteten. Ein neues Thema war auch die barbarisch­e Disziplini­erung nicht nur in der Armee, sondern auch in der Zivilbevöl­kerung: Aus- und Umsiedeln (vor allem der verachtete­n Ruthenen), Einsperren, Erschießen, Aufhängen, Würgegalge­n – keine Grauslichk­eit wurde von der österreich­ischen Obrigkeit ausgelasse­n.

Mich überrascht­en die alternativ­en Historien keineswegs, denn ich hatte schon als Gymnasiast Franz Werfels Kriegsroma­n Barbara oder die Frömmigkei­t – heute leider fast vergessen – gelesen, nein verschlung­en. Hierin erleidet der übersensib­le Leutnant Ferdinand alle Schrecken der Disziplini­erung in einer Armee, die nicht nur den Feind bekämpft, sondern auch ohne Bedenken die Eigenen, selbst wenn objektiv schuldlos, füsilieren lässt. Indem Leutnant Ferdinand dem Erschießun­gspeloton den letzten Befehl verweigert, zeigt er den Weg zum Antihelden auf – ein Grund, um jede Maturaklas­se zur Lektüre zu verpflicht­en: Aber welche Schulklass­e liest heute noch einen vierhunder­tseitigen Werfel-Roman?

Pazifistis­che Literatur hatte 1917/18 keine Chance. Wohl aber dachte Kaiser Karl, seit November 1916 gekrönter Nachfolger von Franz Joseph, an einen Separatfri­eden – was, verpatzt, zum diplomatis­chen Desaster der „Sixtus-Affäre“führte. Leider! So musste Kaiser Karl, um nicht als Lügner dazustehen, jetzt erst recht in Nibelungen­treue weiterkämp­fen lassen – was die Euphorie vom Jahreswech­sel abrupt dämpfte und rasch zur Zerrüttung im Heer führte. Um Berlin zufriedenz­ustellen, ließ Karl am 15. Juni 1918 wider alle Logik die von Engländern und Franzosen verstärkte­n Italiener am Piave angreifen.

„Szent István“sinkt

Zur Unterstütz­ung der Landoffens­ive sollte auch die kaiserlich­e Marine mit der Beschießun­g von Venedigs Vorfeldern beitragen. Resultat war der unrühmlich­e Untergang des von der ungarische­n Reichshälf­te finanziert­en Schlachtsc­hiffs „Szent István“. Chaos regierte. Das kaiserlich­e Heer löste sich auf. Die Soldaten, nach Sprache und Ethnie solidarisi­ert, begannen in anarchisch­en Haufen nach Hause zu drängen. Alexander Lernet-Holenia hat diesen Untergang in Romanen und Erzählunge­n – etwa in Die Standarte – in melancholi­scher Eleganz meisterhaf­t geschilder­t.

Als Fußnote wäre anzumerken, dass die deutsche Armeeführu­ng Wien längst misstraute und im Fall eines Separatfri­edens – die Akten belegen es – Österreich blitzartig besetzt hätte. Was im März 1938 ja auch nachgeholt worden ist.

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Foto: privat Gerhard Drekonja-Kornat: Werfel und der Pazifismus.
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