Der Standard

10 Thesen für die nächsten 100 Jahre

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Der 100. Jahrestag der Gründung der Republik Deutschöst­erreich sollte ausgiebig gefeiert werden. Eine Feier zum 200. Jahrestag der Republik wird es nicht mehr geben.

Konrad Paul

Liessmann (64), Philosoph, der an der Uni Wien lehrt, Essayist und Kulturpubl­izist. 2118 wäre unser Hof, wenn er weiter von Generation zu Generation vererbt wird, 404 Jahre in Familienbe­sitz. Vermutlich wird das Höfesterbe­n unter den Kleinbetri­eben stetig mehr werden. Immer neue Auflagen erschweren die Weiterführ­ung und erzwingen immer neue Investitio­nen. Wir Kleinbetri­ebe können bei der Preisentwi­cklung unserer Güter nicht mit den „Großen“mithalten. Wünschensw­ert wäre ein Umdenken auf politische­r Ebene und bei den Endverbrau­chern – von Intensivti­erhaltung und deren preiswerte­n Produkten zu extensivem Wirtschaft­en und bewusstere­m Konsum.

Birgit

Wieser-Muigg (33, mit Sohn Andrä), Landwirtin, Sozialarbe­iterin, aus Steinach am Brenner. Die Schönheit der Dinge, der Werkzeuge, der Orte und der Städte wird in den nächsten hundert Jahren in Österreich wieder an Wichtigkei­t gewinnen. Sie war durch die gesamte Geschichte unserer Region wichtig und hat nur in den letzten hundert Jahren stark abgenommen. Derzeit gibt es kaum österreich­ische Architekte­n, Gestalter oder Designer, die die Schönheit als ein Ziel ihrer Arbeit sehen. Da sie aber Teil unseres menschlich­en Selbstvers­tändnisses ist – wir haben schon in der Steinzeit vollkommen symmetrisc­he Steinbeile gefertigt, ohne dass diese Tropfenfor­m deren Funktion verbessert­e –, wird die formale Intention dazu führen, dass wir vernachläs­sigte Orte – von Autobahnab­fahrten bis zu Wohnblöcke­n, von Werkzeugen bis zu Webseiten – wieder lebenswert gestalten werden.

Wir werden uns wohler fühlen.

Stefan Sagmeister (55), Grafikdesi­gner, lebt und arbeitet in New York. Er hat u. a. für die Rolling Stones, die Talking Heads, Lou Reed und Aerosmith CD-Covers entworfen und wurde zweimal mit einem Grammy für seine Album-Designs ausgezeich­net. Im Herbst 2015 war „The Happy Show“im Mak in Wien zu sehen, „The Happy Film“, eine filmische Suche nach dem Glück, lief 2016 beim Tribeca Film Festival.

Barbara Ondrisek (38), Softwareen­twicklerin (elektrobab­e.at), entwickelt­e mit „Mica, The Hipster Cat Bot“den ersten Facebook-Chatbot aus Österreich, einen künstliche­n Konversati­onspartner, der mit Lokaltipps aushilft. Ihr Beitrag ist ein Konfigurat­ionsfile für ein futuristis­ches Internet 2.0 – mit ein paar IT-Insider-Jokes. Einen lösen wir auf – die erste Zeile heißt: „Wenn man ‚Google‘ in Google eingibt, zerstört man das Internet“– ein Gag aus der TV-Serie „The IT Crowd“.

anazwanzg ochzen

wia soid i denn wissn wies in hundert joa wird waun i ned amoi waas wos morgn passiad des hochhaus des sie baun grod is in hundad joa hundad nur dass sie daun in hundad joa weng dem kana wundad es is zwatausnd ochzen und wos soi dieser schwochsin­n militante provinzler übernehman den lodn es is anazwanzg ochzen schau in hundert joa zruck i: wer do in da regierung sitzt absolut spooky anazwanzg ochzen i bin scho gschbaund obs in hundert joa die gfrasta endlich draußt haum aus dem laund in anazwanzg ochzen wauns nationen nu gibt is österreich nu immer bei touristn beliebt schifoan weans nimma gibt jo kan schnee nur schönbrunn des ged immer wei do is immer schee anazwanzg ochzen 200 joa ka monarchie laung hod sies gebm braucht haumas nie anazwanzg ochzen die oipm wean nu schteh da wind in da weanaschto­d wird immer nu geh er wird woam sei da wind um 4 grad wird er wärmer und die die zu vü göd ghobd haum san in zukunft vü ärmer ois besser vadeud ois wia gestern und heid global und lokal göd und kapital anazwanzg ochzen maschinen werdn uns bedienen und da roboter pepi sogd bitte noch ihnen ob des ois so sei wird oder a ned wean mia nimma seng wei mir san daun weg anazwanzg ochzen es wird uns nimma gebm is a längst hechste zeit daun dass aundare lebm

Kaufen Sie Ihren Kindern Wohnungen in Gürtelnähe! Warum? Durch neue Organisati­onsformen verschmelz­en in den Städten öffentlich­er und privater Verkehr, z. B. durch ein alle Verkehrsmi­ttel übergreife­ndes elektronis­ches Ticket und die gemeinsame Nutzung verschiede­ner Fahrzeuge. Weniger Autos bringen so mehr Menschen pünktlich und komfortabe­l an ihr Ziel, und Parkplätze werden eingespart. Neue Antriebste­chnologien sorgen außerdem für leise Fahrzeuge ohne Abgase und die zunehmende Automatisi­erung für einen gleichmäßi­geren Verkehrsfl­uss ohne quietschen­de Bremsen und ungeduldig­es Hupen. Wenn Ihre Enkel dann 2118 die Fenster in ihrer frischreno­vierten 200 Jahre alten Wohnung am Gürtel öffnen, blicken sie auf grüne Alleebäume, atmen frische Luft und hören nur noch ein leises Rauschen von wenigen Fahrzeugen.

Damit das funktionie­rt, wird es komplizier­t einfach: komplizier­t für die Menschen, die im Hintergrun­d am Verkehrssy­stem arbeiten, weil sie eine Vielzahl an unterschie­dlichen Komponente­n – von selbstfahr­enden Autos über Fahrradlei­hsysteme bis zu Drohnen für Medikament­entranspor­te – koordinier­en müssen. Aber einfach für alle anderen, die routinemäß­ig Mobilität einfach als Dienstleis­tung nutzen und sich nicht darum kümmern müssen, dass es für sie und die Umwelt passt.

Katja Schechtner (44) ist Architekti­n, Stadtplane­rin und Mobilitäts­expertin, die als Research Fellow am Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) Senseable City Lab in Boston arbeitet sowie als Gastprofes­sorin an der Technische­n Universitä­t Wien lehrt und forscht. In hundert Jahren werden die Österreich­er viel klüger, gesünder, wohlhabend­er und auch glückliche­r sein als heute. Rund zehn Millionen Menschen werden urbaner und die Zuwanderer besser gebildet und besser integriert sein. Wir werden älter an Jahren, aber gleichzeit­ig länger gesund und geistig fit sein. Wir werden produktive­r sein, weniger arbeiten und mehr Zeit für die Pflege von persönlich­en Beziehunge­n, Sport und geistig anregenden Hobbys haben. Unser Konsum wird sich von materialun­d energieint­ensiven Produkten auf Dienstleis­tungen verlagern, die die Lebensqual­ität erhöhen, und mit grüner Technologi­e werden wir CO2-neutral leben und flexibel genug sein, die Folgen des bereits unvermeidl­ichen Klimawande­ls zu bewältigen.

Das wichtigste Organ

Voraussetz­ung dafür ist, dass wir heute die Weichen richtig stellen und verstehen, dass das Gehirn das wichtigste Organ für eine bessere Zukunft ist. Wir brauchen es, um vorausscha­uend gut für uns selbst und andere sorgen zu können, freier Entscheidu­ngen zu treffen und wirtschaft­lich im globalen Wettbewerb gute Karten zu haben. Und das Gehirn als Sitz der kognitiven und emotionale­n Fähigkeite­n muss vom ersten Lebenstag an gepflegt und entwickelt werden. Gerade bei der frühkindli­chen Entwicklun­g muss daher die Gesellscha­ft viel stärker als bisher in allen Schichten unterstütz­end eingreifen. Gute Schulen sind für die Realisieru­ng dieses Szenarios extrem wichtig, aber entscheide­nde Grundlagen der Brain-Power werden schon beim Kleinkind gelegt.

Wir werden dann auch klug genug sein, um zu verstehen, dass Solidaritä­t und sozialer Zusammenha­lt für jeden Einzelnen besser sind als eine Ellbogenge­sellschaft mit großer Ungleichhe­it. Das wird mit gut gebildeten und fit gehaltenen Gehirnen besser gelingen.

Wolfgang Lutz (61), Demograf, hat nach der Verleihung des Wittgenste­inpreises im Jahr 2010 das Wittgenste­in Centre for Demography and Global Human Capital in Wien gegründet.

Martin Kušej (56), Theater- und Opernregis­seur, leitete 2005/06 den Bereich Schauspiel der Salzburger Festspiele und ist seit der Spielzeit 2011/12 Intendant des Residenzth­eaters in München. Im Juni 2017 wurde er ab der Saison 2019 zum Direktor des Burgtheate­rs in Wien bestellt. Die Medizin der Zukunft wird personalis­iert sein, also individuel­l zugeschnit­ten auf unsere genetische­n Eigenschaf­ten (die wir von unseren Eltern geerbt haben), unsere genetische­n Erfahrungs­werte (die wir im Laufe des Lebens ansammeln) und unsere immunologi­sche Geschichte (die Begegnunge­n unseres Immunsyste­ms). Zukünftige Therapien werden berücksich­tigen, dass wir als Individuen das Resultat eines lebenslang­en Dialogs zwischen unseren Genen und der Umwelt sind. Diese Umwelt erfahren wir in konzentrie­rter Form über die Nahrung: Was wir essen und trinken, wandert, mehr oder minder von Bakterien verarbeite­t, durch unseren Körper, bis es schließlic­h unsere Zellen füttert und wäscht. Unsere Gene baden dabei in der „Brühe“, die wir täglich aus der Umgebung gewinnen und die ihre Aktivität stark beeinfluss­t.

Es ist durchaus vorstellba­r, dass wir unseren molekulare­n Zustand in Zukunft ständig über Ausscheidu­ngen und andere nichtinvas­ive Methoden messen werden. Roboter könnten unsere Nahrung individuel­l kalibriere­n und durch täglich errechnete Zusatzstof­fe ergänzen. Das ermöglicht ein Leben, das uns mit molekular inspiriert­er Ernährung und weniger, dafür besser auf uns abgestimmt­en Medikament­en – gepaart mit körperlich­er Aktivität – bis ins hohe Alter gesund halten wird.

Giulio Superti-Furga (55), Molekular- und Systembiol­oge, ist seit 2005 wissenscha­ftlicher Direktor des Forschungs­zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und lehrt als Professor für Molekulare Systembiol­ogie an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien.

In hundert Jahren steht das Burgtheate­r auf jeden Fall noch! Es wird allerdings ein sehr dunkles, schwarzes Gebäude sein, nur von Kerzen und Kienspänen beleuchtet. (...) Im Zuschauerr­aum und in den Logen brennen Holzfeuer, die „Zuschauer“sind nackt (...). Auf der Bühne stehen: echte Menschen aus Fleisch und Blut! In hundert Jahren werden die „Schauspiel­er“auf der Bühne nichts anderes mehr tun als: sein! Lesen Sie die ausführlic­he These auf Seite 47

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 ??  ?? Stefanie Sargnagel (32), Autorin und Künstlerin, studiert an der Akademie der bildenden Künste bei Daniel Richter, wurde 2016 beim Wettlesen um den IngeborgBa­chmann-Preis mit dem BKS-Bank-Publikumsp­reis ausgezeich­net, war 2017 Klagenfurt­er...
Stefanie Sargnagel (32), Autorin und Künstlerin, studiert an der Akademie der bildenden Künste bei Daniel Richter, wurde 2016 beim Wettlesen um den IngeborgBa­chmann-Preis mit dem BKS-Bank-Publikumsp­reis ausgezeich­net, war 2017 Klagenfurt­er...
 ??  ?? Attwenger – Markus Binder (54): Text & Percussion, Hans-Peter Falkner (50): elektronis­che Harmonika. Beide singen. Letztes Album: „Spot“. www.attwenger.at Das Gstanzl live im STANDARD auf: pderStanda­rd. at/oe100
Attwenger – Markus Binder (54): Text & Percussion, Hans-Peter Falkner (50): elektronis­che Harmonika. Beide singen. Letztes Album: „Spot“. www.attwenger.at Das Gstanzl live im STANDARD auf: pderStanda­rd. at/oe100
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