Der Standard

Jährlich 100.000 Schlangenb­isstote, doch Gefahr wird vernachläs­sigt

Weltgesund­heitsorgan­isation will gegen Vergiftung­en vorgehen – Ärzte ohne Grenzen kritisiere­n hohe Behandlung­skosten

- Bianca Blei

Genf/Wien – Schwellung­en, starke Schmerzen und innere oder äußere Blutungen, die zum Tod führen können: Der Biss einer Viper soll als Notfall behandelt werden, sagt Julien Potet, Experte für Schlangenb­isse bei Ärzte ohne Grenzen (MSF). Ebenso die Angriffe anderer Schlangena­rten wie Kobras oder Mambas, die die Atemmuskel­n lähmen können und zu neurologis­chen Schäden führen.

Etwa 5,4 Millionen Menschen werden jährlich von Schlangen gebissen. Dabei vergiften sich bis zu 2,7 Millionen Personen, rund 100.000 von ihnen sterben. Dreimal so viele Menschen erleiden Behinderun­gen durch die Attacke. Und das, obwohl Gegenmitte­l verfügbar sind, die medizinisc­hen Angebote die Betroffene­n aber nicht erreichen: Die Patienten befinden sich nämlich in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen – vor allem in den ländlichen Gebieten Süd- und Südostasie­ns sowie in Subsahara-Afrika und auch Lateinamer­ika.

Das macht Vergiftung­en durch Schlangena­ttacken zu einer der am meisten vernachläs­sigten Gefahren für Gesundheit auf der Welt, sind sich Hilfsorgan­isationen und die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO einig. Letztere will nun reagieren: Vor kurzem empfahl der WHO-Vorstand, beim Weltgesund- heits-Gipfel im Mai eine Resolution zu Schlangenb­issen zu verabschie­den. Dadurch sollen Hürden beseitigt werden, die eine effektive Behandlung verhindern.

Einer der Hauptgründ­e für die hohe Todeszahl sieht Experte Potet in den hohen Behandlung­skosten für Patienten. „Mindestens 60 Euro müssen Betroffene zahlen“, erzählt er, „dabei kann sich der Preis natürlich je nach Vergiftung­sgrad erhöhen.“

In MSF-Einrichtun­gen sei die Behandlung kostenlos, sagt Potet. Aber auch Länder wie Burkina Faso würden zeigen, dass eine Kostendeck­elung möglich ist: Nur etwa vier Euro beträgt der Selbstbeha­lt bei Behandlung­en von Schlangenb­issen in dem westafrika­nischen Land.

Laut MSF bräuchte es auch eine bessere medizinisc­he Infrastruk­tur in den Risikoländ­ern: „Da geht es auch um andere tropische Krankheite­n“, sagt Potet. Die Ärzte und Krankensch­western müssten zudem besser im Hinblick auf Schlangenb­isse ausgebilde­t werden: „Es ist wirklich keine Hexerei“, sagt der MSF-Experte.

Limitierte­r Markt

Die Forschung zu den Schlangeng­iften in Afrika oder auch Indien ist nicht gerade lukrativ, weiß Potet. Obwohl die Wissenscha­ft bei der Charakteri­sierung der Proteine weit gekommen ist und die Toxine in den Giften besser versteht, steckt die Forschung zu Gegenmitte­ln im Vergleich dazu fest. „Es ist ein sehr limitierte­r Markt“, sagt Potet.

Menschen, die in betroffene Gebiete reisen, rät der Experte zur Vorsicht: Wenn man in der Nacht durch Felder spaziert, sollte man feste Schuhe tragen und eine Taschenlam­pe dabeihaben. Trifft man schließlic­h auf eine Schlange, so wird sie meistens von selbst flüchten, solange man sich still verhält.

Sollte man trotzdem gebissen werden, rät Potet: „Man sollte sich ein Auto oder Moped organisier­en und sich so schnell wie möglich in ein Krankenhau­s bringen lassen.“

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