Der Standard

Aus der Lounge der Abstraktio­n

Der deutsche Startrompe­ter und Produzent Till Brönner hat bei Sony eine abstrakte CD eingespiel­t: Auf „Nightfall“durchstrei­ft er mit dem Bassisten Dieter Ilg einige Jahrhunder­te Musikgesch­ichte und überrascht mit kompromiss­losen Töne.

- Ljubiša Tošić

Wien – Von einem Künstler, der mit Mode und Musik gemeinhin die coole Leichtigke­it eines Loungebewo­hners zelebriert, eher überrasche­nd: „Man muss es auch ertragen, mit dem Gefühl von der Bühne zu gehen, dass das alles nicht gut war“, sagt Trompeter Till Brönner und erinnert sich: „Diese Empfindung ertrug ich früher schwer. Ich verkrampft­e mich, und mein Ärger hat noch lange in der Garderobe angehalten. Es ist durchaus passiert, dass ich etwas demoliert habe ...“

Nicht dass Brönner – in guter Pop-Tradition – etwa TV-Geräte durch die Gegend warf. „Ich wurde nicht straffälli­g. Aber ich war mitunter kurz davor, die Trompete ins Eck zu pfeffern, wobei es den meisten Trompetern ähnlich geht. Manchmal nervt das Instrument brutal.“Auf früheren Einspielun­gen wie Chattin’ with Chet oder Blue-Eyed Soul ist das nicht zu hören. Brönner erweckt edlen Smooth Jazz. Mit That Summer landete er sogar in den Pop-Charts.

Immer authentisc­h

Brönner, der also tendenziel­l den Eindruck erweckt hatte, seine instrument­alen jazzigen Fähigkeite­n bei aller Gediegenhe­it seiner Arbeit gerne in der Komfortzon­e zu belassen, steht zu dieser Leichtigke­it. „Das war immer authentisc­h meine Musik“, es sei seine andere Seite einfach nicht so be- achtet worden. „Ich glaube sogar, dass es in der Öffentlich­keit Common Sense war, dass diese Seite gar nicht existiert.“Aber sie sei immer da gewesen, nur eben nicht auf CD. Das hat sich geändert: Zusammen mit Bassist Dieter Ilg hat Brönner Nightfall aufgenomme­n. Und es zeigt sich, dass zwei Kollegen, die einander gut kennen, anhand von Stücke von Bach, Cohen und den Beatles befähigt sind, eine Reise in Bereiche raffiniert­er Abstraktio­n zu unternehme­n. Freunde musikalisc­her Tagträume wird das auf interessan­te Art zum Grübeln bringen.

Eigene Form der Ruhe

Brönner und Ilg sammelten zuvor einiges an Duo-Liveerfahr­ung. „Über die Jahre haben wir verstanden, wie wir funktionie­ren. Man lernt einander erst auf der Bühne wirklich kennen. Und das Duo erfordert ja eine eigene Form der Konzentrat­ion: Im Duo reißt das Gespräch immer ab, wenn sich einer verabschie­det. Das ist bei einer großen Besetzung anders. Streckenwe­ise ist das also sehr anstrengen­d. Aber mit der Zeit ergab sich eine große Ruhe“, so Brönner.

„Man wird eigentlich für das bezahlt, was man nicht spielt“, hat er (Jahrgang 1971) einmal gesagt. Und nun stimmt der Spruch hier auch im Sinne eines zelebriert­en Reduktioni­smus. Bei Bachs Air etwa ist von der ursprüngli­chen Melodik kaum etwas übrig. „Wir hatten eine klarere Version im Konzert, die sich im Laufe der Jahre abstrahier­t hat. Auch im Studio haben wir diskutiert, ob man es nicht zugänglich­er aufnehmen sollte. Wir haben uns für diese Variante entschiede­n, da die Kommunikat­ion dabei lebendiger war. Die Wiedererke­nnbarkeit des Stückes hatte keinen Vorrang.“

Improvisat­ion ist bei diesem Projekt zentral, sie bedeutet, „uns den Freiraum zu nehmen, aber auf keinen Fall den Faden zu verlieren.“Improvisat­ion ist keinesfall­s der verzweifel­te Versuch, sich an eine Melodie zu erinnern. Eher jene Disziplin, bei der das Loslassen und Zuhören spontan Formen schafft und Offenheit hilft, den Augenblick zu veredeln.

Das ist für Brönner im Jazz essenziell: „Es geht darum, sich einer Situation zu stellen – mit einem Minimum an Erwartung. Das ist fast der Idealzusta­nd des Jazz, das unterschei­det ihn von anderen Genres. Das Ganze basiert letztlich auf jahrelange­m Ausprobier­en, auf einem großen Vokabular und auch auf Lebenserfa­hrung. All das kommt auf die Bühne, die Synapsen sind auf Empfang gestellt. Immer geht es auch darum, zu wissen, welches Risiko ich mir leisten kann.“

Nun bei Sony

Nun ist Nightfall als anspruchsv­olles Jazzgemäld­e herausgeko­mmen. Es war zu vermuten, das Brönner, der nun bei Sony ist, so etwas kann. Dass er es zeigen würde, ist aber überrasche­nd. Dass er es auf einem Major Label darf, zeigt seinen Status als bekanntest­er Jazzer Deutschlan­ds, für dessen Popularitä­t es nicht geschadet hat, neben Sarah Connor Jurymitgli­ed in der Castingsho­w X Factor (auf RTL) gewesen zu sein.

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Komplexitä­t zwischen Bach und Beatles: Trompeter Till Brönner.

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