Der Standard

DES TAGES

Der Wahlerfolg der Partei Ano bei den tschechisc­hen Parlaments­wahlen im vergangene­n Oktober war überwältig­end. Dennoch steht Premiermin­ister Andrej Babiš immer noch ohne Regierungs­partner da.

- ANALYSE: Gerald Schubert

„Mit der EU hatten wir nie Probleme – bis zum Beschluss verpflicht­ender Flüchtling­squoten.“

Tschechien­s Premiermin­ister Andrej Babiš ist es gewohnt, die Zügel fest in der Hand zu halten. Mit seiner Holding Agrofert hat der gebürtige Slowake einst ein Milliarden­imperium aufgebaut, und auch sein Einstieg in die Politik war ein durchschla­gender Erfolg: Bei der Parlaments­wahl 2013 schaffte er mit seiner erst zwei Jahre alten Bewegung Ano – auf Tschechisc­h heißt das Ja und ist gleichzeit­ig die Abkürzung für Aktion unzufriede­ner Bürger – auf Anhieb Platz zwei und den Sprung in eine Koalitions­regierung mit Sozial- und Christdemo­kraten. Babiš selbst, dessen Vermögen die Zeitschrif­t Forbes auf 4,6 Milliarden Dollar schätzt und der damit als zweitreich­ster Tscheche gilt, wurde Finanzmini­ster.

Nur vier Jahre später, im Oktober 2017, war Ano ganz oben angekommen. Mit knapp 30 Prozent der Stimmen – fast dreimal so viele wie die zweitplatz­ierten Bürgerdemo­kraten (ODS) – landete die Partei einen fulminante­n Erfolg. Die guten Wachstumsr­aten und die niedrigste Arbeitslos­igkeit in der EU hatten die Wähler offenbar ausschließ­lich Babiš gutgeschri­eben. Dass der damalige sozialdemo­kratische Premier Bohuslav Sobotka diesen kurz vor der Wahl abberufen hatte, schadete lediglich Sobotka selbst: Die Sozialdemo­kraten (ČSSD) stürzten auf sieben Prozent ab – und das, obwohl Sobotka für seinen Schritt durchaus seine Gründe hatte.

Unschuldsv­ermutung

Gegen Babiš nämlich ermittelt die Polizei wegen des Verdachts des EU-Subvention­sbetrugs. Dabei geht es um das mittelböhm­ische Freizeitar­eal Čapí hnízdo (Storchenne­st). Babiš soll dieses vorübergeh­end aus seiner Holding ausgeglied­ert haben, um dafür Förderunge­n zu kassieren, die eigentlich für Klein- und Mittelbetr­iebe bestimmt sind. Viele Tschechen aber folgen Babiš, wenn er von einer politisch konstruier­ten Causa spricht und sich auf die Unschuldsv­ermutung beruft. Oder sie nehmen die Angelegenh­eit als Kavaliersd­elikt wahr. Die Summe, um die es geht, beträgt zudem weniger als zwei Millionen Euro. Für Babiš, so eine weitverbre­itete und jüngst auch von Staatspräs­ident Miloš Zeman vertretene These, seien das Peanuts. Soll heißen: Er hätte diesen Betrug nicht nötig.

Die tschechisc­hen Strafverfo­lgungsbehö­rden sehen das weniger locker. Bereits vor der Wahl hat Babiš seine parlamenta­rische Immunität verloren, der Weg für Ermittlung­en wurde frei. Durch die Wahl im Oktober erlangte Babiš seine Immunität wieder – und verlor sie mittlerwei­le erneut.

Seither will es für den 63-Jährigen nicht mehr so recht klappen mit dem Fahren auf der politische­n Überholspu­r. Der vor einer Woche wiedergewä­hlte Präsident Zeman ernannte ihn zwar zum Premier einer Ano-Minderheit­sregierung, doch diese fiel bei der Vertrauens­abstimmung im Abgeordnet­enhaus durch. Nun ist Babiš erneut auf der Suche nach einer Parlaments­mehrheit.

Politik „für alle“

Die bürgerlich-liberalen Parteien gehen auf Distanz zu Babiš. Hingegen gilt es als wahrschein­lich, dass die Kommuniste­n (KSČM) ihn im zweiten Anlauf unterstütz­en werden. Für eine Mehrheit würde das jedoch noch nicht reichen. Die Sozialdemo­kraten wollen Babiš wegen der Causa Storchenne­st derzeit nicht in der Regierung sehen. Babiš wartet daher zunächst ab: Ein ČSSD-Parteitag Mitte Februar könnte durchaus einen Sinneswand­el bringen.

Außerdem steht noch die mögliche Duldung einer Ano-Minder- heitsregie­rung durch die fremdenund EU-feindliche Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) im Raum, die Babiš selbst als extremisti­sch bezeichnet hat. Ihr Chef, der Tschechoja­paner Tomio Okamura, steht unter anderem wegen radikaler Äußerungen zum Islam in der Kritik. So hat er etwa dazu aufgeforde­rt, Schweine vor Moscheen „Gassi zu führen“. Für den Pragmatike­r Babiš, der zwar gegen Flüchtling­squoten ist, sich aber im Prinzip zur EU bekennt und sich im europäisch­en Mainstream sichtlich wohlfühlt, wäre die Abhängigke­it seiner Regierung von Okamura keine rosige Aussicht.

Ausgeschlo­ssen hat Babiš jedoch auch diese Variante nicht. Ebenso wenig wie Neuwahlen. Dabei stützt er sich auf seine ungebroche­ne Popularitä­t. Das Rezept, sich weder links noch rechts zu positionie­ren, sondern einen effektiven Staat zu fordern, der für Steuersenk­ungen ebenso Spielräume schafft wie für Sozialpoli­tik, hat bisher funktionie­rt. Babiš brachte es jüngst in einem Interview in der für ihn typischen, wenngleich umstritten­en Art auf den Punkt: „Wir sind für alle.“

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Tschechien­s Premier Andrej Babiš hat die Unterstütz­ung des Präsidente­n und eines großen Teils der Bevölkerun­g. Bei der Regierungs­bildung tritt er dennoch auf der Stelle.

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