Der Standard

Kein Einspruch trotz tausender gestrichen­er Wähler

Wahlreform in Niederöste­rreich führte kaum zu Beschwerde­n – Grüne und Neos: Kurze Fristen sind schuld

- Sebastian Fellner

St. Pölten / Wien – Es ist das Lieblingsa­rgument niederöste­rreichisch­er ÖVP-Politiker, wenn es um die umstritten­e Novelle des Wahlrechts für Zweitwohns­itzer geht: Beim Landesverw­altungsger­icht ist im Zusammenha­ng mit der Landtagswa­hl vom 28. Jänner nur eine Beschwerde eingelangt. Bei der Gemeindera­tswahl 2015 waren es 431. Die Folgerung der ÖVP, die für die Reform verantwort­lich zeichnet: alles glatt gelaufen. So einfach dürfte es dann doch nicht sein.

Blickt man ausschließ­lich auf die formellen Beschwerde­n, scheint die Sache zunächst tatsächlic­h klar: Die eine Beschwerde, auf die sich etwa Landtagspr­äsident Hans Penz und Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) berufen, betrifft nämlich noch dazu einen Bürger mit Hauptwohns­itz. Der ist von der neuen Regelung für Zweitwohns­itzer gar nicht betroffen.

Zur Erinnerung: Seit der Reform des Wahlrechts im Sommer des Vorjahres obliegt es den Bürgermeis­tern, die Zweitwohns­itzer in ihrer Gemeinde daraufhin zu überprüfen, ob sie ausreichen­d an den Ort gebunden sind, um wahlberech­tigt zu sein. Davor waren de facto sämtliche Zweitwohns­itzer bei Landtags- und Gemeindera­tswahlen stimmberec­htigt.

Unbekannte Zahlen

Das Gesetz ist vage, die Umsetzung variiert stark: Wurde etwa in St. Pölten oder Krems an der Donau kein einziger Nebenwohns­itzer aus der Wählerevid­enz gestrichen, entfernten Städte wie Retz Hunderte von ihnen.

Das Landesverw­altungsger­icht ist aber erst die zweite Instanz für Beschwerde­n, erste Anlaufstel­le waren die Gemeinden. Beschwerte­n sich verärgerte Nebenwohns­itzer also zuerst beim Bürgermeis­ter, der bald klein beigab?

Darauf deutet nichts hin, auch direkt bei den Gemeinden dürfte es kaum Beschwerde­n gegeben haben: Ein Rundruf des STANDARD bei Städten und Gemeinden mit besonders vielen „Gestrichen­en“ergab mehrmals: null Beschwerde­n. Wie viele Bürger sich landesweit beschwert haben, wird nicht zentral erhoben – die Landesregi­erung weiß nicht einmal, wie vielen Nebenwohns­itzern das Stimmrecht entzogen wurde.

Insgesamt waren bei der Landtagswa­hl 2018 aber 18.111 Personen weniger stimmberec­htigt als bei der letzten Wahl 2013. Das dürfte zu einem guten Teil auf die neue Zweitwohns­itzerregel­ung zurückzufü­hren sein – und macht es allein schon unwahrsche­inlich, dass jeder der tausenden Bürger, denen das Wahlrecht entzogen wurde, mit dieser Entscheidu­ng auch einverstan­den war.

Eine mögliche Erklärung sind kurze Fristen beim Wählerverz­eichnis: Diese lagen Anfang Dezember nur für fünf Tage auf – und das übers Wochenende. Wähler und solche, die es gerne gewesen wären, hatten dann nur bis zum darauffolg­enden Sonntag Zeit für ihre Beschwerde. Wer in diesem Zeitraum nicht in seiner Nebenwohns­itzheimat war, hatte Pech. Grüne und Neos kritisiert­en die knappen Fristen schon im Vorjahr heftig.

Gestrichen­e nicht informiert

Die grüne Spitzenkan­didatin Helga Krismer vermutet unter anderem darin den Grund für die ausgeblieb­enen Beschwerde­n. Außerdem seien manche, die der Bürgermeis­ter aus der Wählerevid­enz strich, gar nicht darüber informiert worden, obwohl das Gesetz das so vorsieht. Bei Krismer hätten sich Betroffene mit diesem Problem gemeldet.

Krismer hatte ja am Freitag angekündig­t, eine Anfechtung der Landtagswa­hl prüfen zu wollen – der STANDARD berichtete. Dafür sei es nicht notwendig, sich auf eine vorhandene Beschwerde beim Landesverw­altungsger­icht zu stützen, betont sie.

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