Medizinische Bezeichnungen sind bis heute nach Ärzten des Dritten Reichs benannt. Ein Aufruf aus Italien zur Umbenennung blieb ohne Erfolg. Eine junge Medizinerin untersucht Eponyme in der Medizin.
Wien/Hannover – Menschenversuche, Eugenik und Euthanasie – die Zeit des Nationalsozialismus war auch in der Medizin ein dunkles Kapitel. Bis heute sind Krankheiten, Zellen oder medizinische Verfahren nach NS-Ärzten benannt. Die Medizinerin Lina Stünkel untersucht diese sogenannten Eponyme in ihrer Dissertation an der Medizinischen Hochschule Hannover und möchte bei den Fachverbänden die Diskussion über eine Umbenennung anregen.
„Ärzte wie Carl Clauberg, der hunderte weibliche Häftlinge in Auschwitz zwangssterilisiert hat, haben es nicht verdient, dass ihre Namen damit geehrt werden“, sagt Stünkel im Standard- Gespräch. Nach dem deutschen Gynäkologen wurde der Clauberg-Test benannt, der die biologische Aktivität von Progesteron nachweist. SS-Gruppenführer Clauberg führte im KZ Auschwitz Sterilisationsversuche mit einem chemischen Mittel durch, das die Eileiter entzündete und die Eierstöcke zusammenwachsen ließ.
„Auch der Pernkopf-Atlas der menschlichen Anatomie, in dem hingerichtete Opfer der NS-Justiz als Zeichenvorlage benutzt wurden, sollte hinterfragt werden“, sagt Stünkel. Zumindest in einem Vorwort müsse die Entstehungsgeschichte behandelt werden. Eduard Pernkopf war während der NS-Zeit Rektor der Uni Wien.
Ein weiterer Arzt, bei dem Stünkel für eine Umbenennung plädiert, ist Julius Hallervorden. Er hat an Gehirnen von behinderten Kindern, die im Zuge der T4-Aktion ermordet wurden, geforscht. In der Tötungsanstalt Brandenburg nahm er teilweise selbst die Kopf- und Hirnsektionen vor.
Ein erster Vorstoß, 15 Krankheiten, die nach Nazi-Ärzten benannt sind, umzubenennen, kam 2015 aus Italien. Ein Arzt am Israelitischen Krankenhaus in Rom, Cesare Efrati, hat ein Symposium mit über hundert Medizinern, Soziologen und Wissenschaftsphilosophen zum Thema veranstaltet.
Doch die Umbenennungen sind bisher an den bürokratischen Hürden gescheitert. Jede einzelne Umbenennung müsse an die zuständige Fachgesellschaft herangetragen werden, erklärt Lina Stünkel. Die europäischen Fach- verbände müssten dann auf internationaler Ebene darüber beraten.
Auch österreichische Nazi-Ärzte sind bis heute medizinische Namensgeber. Der Internist Hans Eppinger war im KZ Dachau an grausamen Experimenten an Sinti und Roma beteiligt, um die Trinkbarkeit von Meerwasser zu untersuchen. Das nach ihm benannte Eppinger-Sternchen ist heute nicht mehr gebräuchlich. „Heutzutage werden keine Eponyme mehr für Bezeichnungen verwendet, sondern eher beschreibende Krankheitsbegriffe oder Abkürzungen“, sagt Sünkel. Das Eppinger-Sternchen werde meist nur noch als Alternativbezeichnung verwendet, die gängige Bezeichnung für das Hautzeichen bei Lebererkrankun- gen ist Spider Naevus. „Es ist zwar nicht offiziell umbenannt worden, aber nicht mehr im Sprachgebrauch präsent.“
Anders sieht das beim ReiterSyndrom aus. Die Gelenkserkrankung ist nach dem deutschen Bakteriologen Hans Reiter benannt. Er war Mitglied der NSDAP und genehmigte als Präsident des Reichsgesundheitsamtes Menschenversuche.
Bisher eine Umbenennung
Einzig das Eponym Clara-Zelle wurde bisher umbenannt. 2012 gab es einen Beschluss der internationalen pulmologischen Fachgesellschaft den Begriff nicht mehr zu verwenden. Max Clara soll als Psychiater an Euthanasie-Morden beteiligt gewesen sein. Schwer einzuordnen sei die Rolle von Hans Asperger und Friedrich Wegener, sagt Lina Stünkel. Über die Arbeit des bekannten Wiener Kinderarztes und Autismus-Experten Hans Asperger in der Zeit des Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Manche historischen Aufarbeitungen bringen ihn mit dem Spiegelgrund in Verbindung.
Wegener hat als Pathologe in Lodz Häftlinge, die den Transport nicht überlebt haben, seziert. Aber es gibt kaum Belege, dass er in Menschenversuche verstrickt war. „Aber es gibt kaum handfeste Beweise. Bei der dünnen Beweislage ist es schwierig, eine Umbenennung zu fordern“, sagt die Dissertantin.