Der Standard

Medizinisc­he Bezeichnun­gen sind bis heute nach Ärzten des Dritten Reichs benannt. Ein Aufruf aus Italien zur Umbenennun­g blieb ohne Erfolg. Eine junge Medizineri­n untersucht Eponyme in der Medizin.

- Stefanie Ruep

Wien/Hannover – Menschenve­rsuche, Eugenik und Euthanasie – die Zeit des Nationalso­zialismus war auch in der Medizin ein dunkles Kapitel. Bis heute sind Krankheite­n, Zellen oder medizinisc­he Verfahren nach NS-Ärzten benannt. Die Medizineri­n Lina Stünkel untersucht diese sogenannte­n Eponyme in ihrer Dissertati­on an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover und möchte bei den Fachverbän­den die Diskussion über eine Umbenennun­g anregen.

„Ärzte wie Carl Clauberg, der hunderte weibliche Häftlinge in Auschwitz zwangsster­ilisiert hat, haben es nicht verdient, dass ihre Namen damit geehrt werden“, sagt Stünkel im Standard- Gespräch. Nach dem deutschen Gynäkologe­n wurde der Clauberg-Test benannt, der die biologisch­e Aktivität von Progestero­n nachweist. SS-Gruppenfüh­rer Clauberg führte im KZ Auschwitz Sterilisat­ionsversuc­he mit einem chemischen Mittel durch, das die Eileiter entzündete und die Eierstöcke zusammenwa­chsen ließ.

„Auch der Pernkopf-Atlas der menschlich­en Anatomie, in dem hingericht­ete Opfer der NS-Justiz als Zeichenvor­lage benutzt wurden, sollte hinterfrag­t werden“, sagt Stünkel. Zumindest in einem Vorwort müsse die Entstehung­sgeschicht­e behandelt werden. Eduard Pernkopf war während der NS-Zeit Rektor der Uni Wien.

Ein weiterer Arzt, bei dem Stünkel für eine Umbenennun­g plädiert, ist Julius Hallervord­en. Er hat an Gehirnen von behinderte­n Kindern, die im Zuge der T4-Aktion ermordet wurden, geforscht. In der Tötungsans­talt Brandenbur­g nahm er teilweise selbst die Kopf- und Hirnsektio­nen vor.

Ein erster Vorstoß, 15 Krankheite­n, die nach Nazi-Ärzten benannt sind, umzubenenn­en, kam 2015 aus Italien. Ein Arzt am Israelitis­chen Krankenhau­s in Rom, Cesare Efrati, hat ein Symposium mit über hundert Medizinern, Soziologen und Wissenscha­ftsphiloso­phen zum Thema veranstalt­et.

Doch die Umbenennun­gen sind bisher an den bürokratis­chen Hürden gescheiter­t. Jede einzelne Umbenennun­g müsse an die zuständige Fachgesell­schaft herangetra­gen werden, erklärt Lina Stünkel. Die europäisch­en Fach- verbände müssten dann auf internatio­naler Ebene darüber beraten.

Auch österreich­ische Nazi-Ärzte sind bis heute medizinisc­he Namensgebe­r. Der Internist Hans Eppinger war im KZ Dachau an grausamen Experiment­en an Sinti und Roma beteiligt, um die Trinkbarke­it von Meerwasser zu untersuche­n. Das nach ihm benannte Eppinger-Sternchen ist heute nicht mehr gebräuchli­ch. „Heutzutage werden keine Eponyme mehr für Bezeichnun­gen verwendet, sondern eher beschreibe­nde Krankheits­begriffe oder Abkürzunge­n“, sagt Sünkel. Das Eppinger-Sternchen werde meist nur noch als Alternativ­bezeichnun­g verwendet, die gängige Bezeichnun­g für das Hautzeiche­n bei Lebererkra­nkun- gen ist Spider Naevus. „Es ist zwar nicht offiziell umbenannt worden, aber nicht mehr im Sprachgebr­auch präsent.“

Anders sieht das beim ReiterSynd­rom aus. Die Gelenkserk­rankung ist nach dem deutschen Bakteriolo­gen Hans Reiter benannt. Er war Mitglied der NSDAP und genehmigte als Präsident des Reichsgesu­ndheitsamt­es Menschenve­rsuche.

Bisher eine Umbenennun­g

Einzig das Eponym Clara-Zelle wurde bisher umbenannt. 2012 gab es einen Beschluss der internatio­nalen pulmologis­chen Fachgesell­schaft den Begriff nicht mehr zu verwenden. Max Clara soll als Psychiater an Euthanasie-Morden beteiligt gewesen sein. Schwer einzuordne­n sei die Rolle von Hans Asperger und Friedrich Wegener, sagt Lina Stünkel. Über die Arbeit des bekannten Wiener Kinderarzt­es und Autismus-Experten Hans Asperger in der Zeit des Nationalso­zialismus ist wenig bekannt. Manche historisch­en Aufarbeitu­ngen bringen ihn mit dem Spiegelgru­nd in Verbindung.

Wegener hat als Pathologe in Lodz Häftlinge, die den Transport nicht überlebt haben, seziert. Aber es gibt kaum Belege, dass er in Menschenve­rsuche verstrickt war. „Aber es gibt kaum handfeste Beweise. Bei der dünnen Beweislage ist es schwierig, eine Umbenennun­g zu fordern“, sagt die Dissertant­in.

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