Der Standard

Gewaltschu­tz im Netz: Wo bleiben die Updates?

Die Regierung hat Digitalisi­erung als wichtiges Thema erkannt. Das ist gut. Doch die Vorschläge, wie sie Kinder und Jugendlich­e vor Gewalt aus der digitalen Welt schützen will, sind altbacken und realitätsf­remd.

- Katrin Grabner

Die Überschrif­t klingt gut. Mit einer „Digitalisi­erungsoffe­nsive Bildung“will die schwarz-blaue Regierung die Medienkomp­etenzen von Schülern fördern und das Programmie­ren ab der ersten Schulstufe einführen. So steht es im Regierungs­programm. Doch wie die Offensive umgesetzt werden soll, bleibt offen.

Für Kinder und Jugendlich­e gehört die Nutzung digitaler Medien zum Alltag. Damit junge Menschen zu kritischen Usern heranwachs­en, Informatio­nen einschätze­n und Gefahren erkennen können, braucht es vor allem Medienerzi­ehung und die Bereitscha­ft Erwachsene­r, sich mit der Lebenswelt der Generation Smartphone ernsthaft auseinande­rzusetzen. Der heute weltweit begangene „Safer Internet Day“ist ein guter Anlass, sich die Situation in Österreich genauer anzuschaue­n.

Die Zahl der Kinder und Jugendlich­en, die sich mit Fragen zu digitalen Medien an die Helpline „Rat auf Draht“wenden, steigt dramatisch. Cybermobbi­ng, Internetab­zocke oder Computersu­cht – viele der jungen Anruferinn­en und Anrufer sind verzweifel­t und haben niemanden in ihrem Umfeld, an den sie sich wenden können. Hier braucht es dringend mehr Informatio­n und Prävention. Zum Beispiel an Schulen.

Überfällig sind Gewaltschu­tzkonzepte für Bildungsei­nrichtunge­n, mit Leitlinien zum Umgang mit Cybermobbi­ng. In Deutschlan­d oder Luxemburg gehören sie längst zum Standard.

Untauglich­e Mittel

In Österreich setzt man vor allem auf technische Hilfsmitte­l. Filterprog­ramme sollen gefördert und zugänglich gemacht werden. Doch die schützen nur bedingt vor ungeeignet­en Inhalten. Die meisten verletzend­en Inhalte kommen aus dem nächsten Umfeld. Und ein Programm, das vor Mobbing in sozialen Netzwerken schützt, gibt es nicht.

Wichtiger als technische Hilfsmitte­l sind der Kontakt mit den Kindern und Jugendlich­en, das Thematisie­ren von Gefahren und das Gespräch über ihre OnlineErfa­hrungen. Das sollte in der Schule und in der Familie stattfinde­n. Je normaler dieser Austausch ist, desto höher ist die Chance, dass sich Kinder bei Problemen an Eltern oder andere Bezugspers­onen wenden. Ist das Internet in erster Linie mit Verboten belegt, bleiben junge Menschen oft aus Scham mit ihren negativen Erlebnisse­n allein. Das betrifft besonders das Thema Sexualität.

Gefahr Cybergroom­ing

„Rat auf Draht“ist seit 30 Jahren die wichtigste Hotline des Landes für Kinder und Jugendlich­e in Not. Sie ist seit vier Jahren Teil von SOS-Kinderdorf und berät unter der Notrufnumm­er 147 regelmäßig Kinder und Jugendlich­e, die Opfer von Cybergroom­ing geworden sind. Der Begriff beschreibt die verbotene OnlineAnba­hnung von Sexualkont­akten mit Kindern oder Jugendlich­en.

Täter geben sich oft als jugendlich aus, schreiben Minderjähr­ige über soziale Medien oder OnlineSpie­le an und investiere­n viel Zeit, um das Vertrauen ihrer Opfer zu erschleich­en. Sie wollen Kinder zu einem Treffen überreden oder kinderporn­ografische Aufnahmen von ihnen erhalten. Betroffene schweigen oft aus Angst oder Scham, suchen erst spät Hilfe – und stoßen dabei nicht immer auf Verständni­s. Selbst dann nicht, wenn strafrecht­liche Grenzen überschrit­ten wurden.

Rechtlich ist die Sache eindeutig: Wer Kinder unter 14 Jahren dazu auffordert, pornografi­sche Fotos von sich zu schicken, sich vor der Webcam auszuziehe­n, oder wer sie mit der Absicht des sexuellen Missbrauch­s zu einem Treffen zu überreden versucht, dem drohen bis zu zwei Jahre Haft. Die Folgen von sexualisie­rter Gewalt über soziale Medien sind für die Betroffene­n ebenso real wie jene von physischer Gewalt. Sie reichen von sozialer Ausgrenzun­g bis zu Depression­en, selbstverl­etzendem Verhalten und Suizid.

Die Exekutive ist bemüht, Eltern und Kinder über die Gefahren im Netz zu informiere­n. Polizistin­nen und Polizisten scheinen aber überforder­t, sobald sie in einem konkreten Fall einschreit­en sollen – gerade beim Delikt Cybergroom­ing. Viele Beamte kennen die entspreche­nden Strafgeset­ze nicht oder scheitern an der technische­n Spurenausw­ertung. Und nicht selten heißt es, das Kind sei selbst schuld und dumm, wenn es auf so etwas reinfalle. Die Folgen dieser Täter-Opfer-Umkehr sind fatal. Es lässt verzweifel­te Opfer und deren Eltern hilflos zurück – die Täter bleiben unbehellig­t.

Die Regierung hat angekündig­t, die Auswirkung­en für Gewaltopfe­r im Strafrecht künftiger stärker zu berücksich­tigen. Als ersten Schritt sollte sie dafür sorgen, dass bestehende Gesetze umgesetzt werden – offline wie online. Es braucht dringend mehr Sensibilis­ierung und eine bessere Ausbildung von Polizistin­nen und Polizisten rund um neue Deliktform­en im Bereich Gewalt im Netz.

Denn die strengsten Strafgeset­ze nützen den Opfern nichts, wenn diese nicht umgesetzt werden – und halten jene nicht vor strafbarem Verhalten ab, die keine Konsequenz­en befürchten müssen.

KATRIN GRABNER (31) ist Juristin und Expertin für Kinderrech­te und Digitalisi­erung bei Rat auf Draht und SOSKinderd­orf.

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Ein unaufgereg­ter Austausch mit Kindern über ihre Online-Erfahrunge­n ist ein wirksamere­r Schutz vor Gewalt aus dem Netz, als lediglich auf technische Mittel zu setzen.
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Foto: Thorsten Behrens „Die Polizei gehört geschult.“Juristin Katrin Grabner.

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