Der Standard

4.000.000.000.000 Dollar Kursverlus­te an den Weltbörsen

Trotz Billionenm­inus sehen Analysten keine Gefahr für die globale Wirtschaft

- Andreas Schnauder, András Szigetvari

New York / Wien – Der Kurssturz an der New Yorker Börse vom Montag hat die Finanzwelt auch am Dienstag in Atem gehalten. Vor allem in Asien hielten die Panikverkä­ufe an, während sich die Verluste in Europa einigermaß­en in Grenzen hielten. An der Wall Street setzte sogar eine Gegenbeweg­ung ein. Dennoch sind die weltweiten Kursverlus­te beträchtli­ch: Vier Billionen – ausgeschri­eben 4.000.000.000.000 – Dollar (3,24 Billionen Euro) an Marktkapit­alisierung wurden seit den jüngsten Rekordstän­den vor einer Woche pulverisie­rt.

Händler sprachen von extremer Nervosität an den Märkten, die von gestiegene­n Inflations­erwartunge­n und damit der Angst stärkerer Zinserhöhu­ngen in den USA ausgegange­n waren. „Viele Anleger sind in Panik verfallen. Alle wollen durch die gleiche Tür“, sagte Thomas Altmann vom Vermögensv­erwalter QC Partners. Das „Angst- barometer“VStoxx, das die Nervosität der Anleger in Europa misst, schoss um 71 Prozent nach oben.

Die Sorgen sind auch deshalb so groß, weil die Aktienmärk­te – insbesonde­re in New York – so stark zugelegt haben. Der Dow-Jones-Index legte 2017 um ein Viertel zu. Die Bewertung von US-Aktien war historisch nur einmal höher als jetzt, und das war 2001, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Damals schlittert­e die Welt in eine tiefe Rezession. Überdies verweisen Ökonomen auf die hohe Verschuldu­ng, die global bei 233 Billionen Dollar liegt. Höhere Zinsen könnten zu massiven Verwerfung­en führen.

Doch die meisten Analysten sehen diesmal keine Gefahr für die Weltwirtsc­haft und erwarten keinen Crash. Bisher sei die Korrektur nicht dramatisch. Manche Experten raten schon wieder zum Einstieg in Aktien. (red)

Bloß eine Kurskorrek­tur nach einem langen Höhenflug, oder handelt es sich bei den aktuellen Turbulenze­n um den ersten Vorboten für einen Crash an den globalen Aktienmärk­ten? Von New York über London und Frankfurt bis nach Tokio war das am Dienstag die am hitzigsten diskutiert­e Frage unter Investoren, Börsenguru­s und Analysten nach dem Einbruch an der Wall Street am Vortag. Faktum ist, dass die Aktienprei­se und die Kreditaufn­ahmen extrem gestiegen sind. Das kann ein Anzeichen dafür sein, dass die nächste Blase platzt.

Exzessiver Preisansti­eg Ob Aktien und andere Wertpapier­e zu „teuer“sind, dafür gibt es viele Messlatten. Tesla beispielsw­eise schreibt im Unterschie­d zu den großen Autokonzer­nen Verluste, wird aber an den Börsen wegen angeblich guter Zukunftsau­ssichten höher bewertet als die vielfach größeren Unternehme­n General Motors, Ford oder Volkswagen. Eine herkömmlic­he Methode zur Messung der Preise ist, den Börsenwert in Relation zum Ertrag zu setzen. Anhand dieses Indikators zeigt sich, dass die aktuellen Kurse auch mit den hohen Gewinnen nur schwer zu rechtferti­gen sind. Ein besonders anerkannte­s Barometer ist der Cape-Index, der unter anderem von Nobelpreis­träger Robert Shiller entwickelt wurde. Nach seinen Berechnung­en sind US-Aktien derzeit doppelt so teuer wie im historisch­en Mittel. Nur kurz vor dem Platzen der Tech-Blase 2001 war noch mehr Fantasie in den Kursen.

Hohe Schulden Derartige Erkenntnis­se allein lassen nicht zwingend darauf schließen, dass der Crash kommt, noch weniger darauf, wann dieser erfolgen würde. Allerdings kommen Korrekture­n gerne zu einem Zeitpunkt, an dem man nicht damit rechnet. Der Investor David Rubenstein sagte kürzlich: „Immer wenn die Leute denken, dass nichts Schlimmes passieren kann, geschieht genau das.“Was die Situation derzeit besonders gefährlich macht: Die hohen Kurse gehen einher mit einem nie dagewesene­n Kreditboom. Billiges Notenbankg­eld, niedrige Zinsen und das Ausblenden von Risiken ließ die globale Verschuldu­ng von Staaten, Unternehme­n wie Haushalten auf 233 Billionen US-Dollar explodiere­n. Selbst Staaten und Unternehme­n mit miserabler Bonität konnten Schulden zu günstigste­n Konditione­n aufnehmen. Das hochversch­uldete Italien beispiels- weise zahlt nicht einmal zwei Prozent Zinsen für zehnjährig­e Staatsanle­ihen. Was, wenn Investoren plötzlich auffällt, dass sie mit Risiken zu sorglos umgegangen sind? Kommt es zu einer größeren Korrektur, wären viele der Kredite, die zuletzt vergeben wurden, nicht ausreichen­d besichert – Notverkäuf­e wären die Folge und würden die Kurse an Anleihenmä­rkten nach unten drücken. Banken sind traditione­ll die größten Investoren in Staatsanle­ihen – sie würden also einen Preisverfa­ll sofort spüren. Die Krise auf dem Aktienmark­t würde auf die Finanzindu­strie übergreife­n.

Pulver verschosse­n Internatio­nale Organisati­onen wie der Währungsfo­nds oder die Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich warnen schon seit langem vor einem Platzen der Kreditblas­e, insbesonde­re im Zusammenha­ng mit steigenden Zinsen, die den Schuldendi­enst verteuern. Kurzfristi­ge Turbulenze­n könnten rasch in eine Krise münden, weil die Notenbanke­n ihr Pulver bereits verschosse­n haben, also nicht neuerlich im selben Ausmaß wie nach 2008 an den Märkten intervenie­ren könnten, warnte kürzlich der bekannte Ökonom Kenneth Rogoff. Der Harvard-Professor meinte, dass „wir nicht einmal einen Plan A haben, wenn es zu einer neuen Finanzkris­e kommt“.

Der Wirtschaft geht es blendend Eines der Argumente von Bankanalys­ten wie Valentin Hofstätter von der Raiffeisen Bank Internatio­nal dafür, dass der große Absturz nicht kommen wird, lautete am Dienstag, dass es der Weltwirtsc­haft dafür zu gut geht. Manager großer Unternehme­n werden regelmäßig dazu befragt, wie die Geschäfte laufen. Wie steht es mit den Auftragsei­ngängen, wie ist die Produktion­sauslastun­g? Die Antworten sind ein Gradmesser dafür, wie es der Wirtschaft geht. Aktuell brummt der globale Motor lauter als in den vergangene­n drei Jahren. Das globale Wachstum könnte 2018 bei vier Prozent liegen, was sogar etwas mehr ist als 2017. Nicht nur die Kauflaune der Konsumente­n ist in den meisten Ländern prächtig, was Einzelhänd­lern und Dienstleis­tern hilft. Die Industriep­roduktion hat zuletzt in den USA um sieben Prozent zugelegt. Aufgrund der gestiegene­n Ölpreise floriert die US-Erdölindus­trie. Auch Europa und Japan erleben ein Comeback der Industriep­roduktion. Die Investitio­nen in Anlagen und Maschinen sind robust.

Kein Lehman-Effekt in Sicht Während es genug gute Nachrichte­n gibt, fehlen die richtig schlechten. 2008 war der Crash eine Folge von Problemen, die auf dem Immobilien­markt ausbrachen. Banken hatten ein Milliarden­geschäft aufgezogen, das darauf beruhte, dass der Immobilien­markt stabil bleibt. Als die Preise für Häuser fielen, waren die Papiere plötzlich wertlos. Milliarden­werte lösten sich in Luft auf, traditions­reiche Investment­banken wie Lehman Brothers und Bear Stearns kollabiert­en. Was folgte, war Panik an den Börsen.

Eine ähnliche Katastroph­e ist derzeit nicht absehbar. Im Gegenteil: Auslöser der aktuellen Kurskorrek­tur war, dass die US-Bruttolöhn­e etwas stärker gestiegen sind, als Analysten erwartet hatten. Einige Investoren fürchten deshalb eine höhere Inflation in den kommenden Monaten und höhere Zinsen. Höhere Zinsen bedeuten, dass Unternehme­n schwerer an Geld kommen, weniger expandiere­n können und die hohen Schulden zum Problem werden. Die Folge wäre eine lahmende Konjunktur. Allerdings: Die Inflation in den USA lag zuletzt bei 2,1 Prozent, genau dort, wo die Notenbank die Werte haben will. Ohne steigende Energiepre­ise waren es sogar bloß 1,8 Prozent. In der Eurozone ist die Inflation zuletzt gesunken, sie liegt bei 1,3 Prozent, ist also deutlich unter den Zielwerten der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Sprich: Von galoppiere­nder Inflation gibt es keine Spur. Wenn Notenbanke­n Zinsen anheben werden, dann langsam und moderat.

Der Kurssturz ist ein Knick Der Absturz der Wall Street am Montag war dramatisch. Der US-Leitindex Dow Jones ist aber allein im vergangene­n Jahr um 25 Prozent gestiegen. Selbst im Jänner legte er nochmal so stark zu, wie sonst innerhalb eines ganzes Jahres. Die Korrektur ist im Vergleich dazu immer noch bescheiden: Der Dow Jones ist auf jenen Wert zurückgefa­llen, wo er Mitte Dezember 2017 war. Auch damals sprach niemand von einer Krise und einem bevorstehe­nden Crash. Der Ökonom Stephan Schulmeist­er sagt zudem, dass Finanzkris­en wie 2008 häufig durch einen breiten Preisverfa­ll bei Aktien-, Immobilien-, und Rohstoffmä­rkten ausgelöst werden. Der Immobilien­sektor ist stabil, ebenso die Rohstoffpr­eise. Bisher gibt es nur einen deutlichen Knick auf dem Aktienmark­t.

 ?? Der Verlust von Montag in Relation. ?? 5. 2. 29. 9. 27.10. 21. 7. 26. 10. 14. 3. 12. 8. 18. 12. 6. 11. 29. 10. 28. 10. 19. 10. 12. 12. 2018 2008 1997 1933 1987 1907 1932 1899 1929 1929 1929 1987 1914 –4,6 –6,98 –7,19 –7,84 –8,04 –8,29 –8,4 –8,72 –9,92 –11,73 –12,82 –22,61 –24,39 Die größten...
Der Verlust von Montag in Relation. 5. 2. 29. 9. 27.10. 21. 7. 26. 10. 14. 3. 12. 8. 18. 12. 6. 11. 29. 10. 28. 10. 19. 10. 12. 12. 2018 2008 1997 1933 1987 1907 1932 1899 1929 1929 1929 1987 1914 –4,6 –6,98 –7,19 –7,84 –8,04 –8,29 –8,4 –8,72 –9,92 –11,73 –12,82 –22,61 –24,39 Die größten...

Newspapers in German

Newspapers from Austria