Der Standard

SPD und CSU holen sich Schlüsselr­essorts

Schulz soll Außenminis­ter in Berlin werden, Scholz Finanzmini­ster – Seehofer übernimmt Innenminis­terium

- Birgit Baumann aus Berlin

Berlin – Nach wochenlang­en zähen Verhandlun­gen haben sich CDU, CSU und SPD doch noch auf eine Neuauflage der großen Koalition in Deutschlan­d geeinigt. Kanzlerin Angela Merkel, CSUChef Horst Seehofer und SPDSpitzen­kandidat Martin Schulz präsentier­ten am Mittwoch in Berlin ihre Einigung. Ihr müssen nun die SPD-Mitglieder in einem Votum bis Anfang März zustimmen.

SPD-Chef Martin Schulz kann dabei mit personelle­n Zugeständ- nissen an seine Partei argumentie­rten. Diese behält das Außenminis­terium und wird zudem jenes für Finanz führen. Außenminis­ter will Schulz selbst werden, er plant laut Medien, den Parteivors­itz an Andrea Nahles abzugeben. Vizekanzle­r wird Schulz demnach nicht. Der Posten geht an Hamburgs bisherigen Stadtchef Olaf Scholz, der zudem Finanzmini­ster werden soll.

CSU-Chef Horst Seehofer wechselt ebenfalls in die Bundesregi­e- rung: Der bisherige bayerische Ministerpr­äsident soll Innenminis­ter werden. Er beerbt in dieser Rolle Thomas de Maizière, der aus dem Kabinett ausscheide­t.

Bei den Ministerpo­sten könnte es allerdings noch kleinere Änderungen geben. Insbesonde­re die SPD will ihre Ministerin­nen und Minister offiziell erst nach einer Zustimmung der Basis beim Parteirefe­rendum bestätigen.

Merkel räumte auf der gemeinsame­n Pressekonf­erenz ein, dass ihr die Zugeständn­isse der CDU nicht leichtgefa­llen sind. Inhaltlich hatte die SPD weniger durchgebra­cht als personell: Zwar beschwört die Präambel des Regierungs­programms – wie besonders von Schulz gewünscht – den europäisch­en Geist, doch fehlen viele Themen, die den Sozialdemo­kraten wichtig gewesen waren. Eine Bürgervers­icherung ist im Pakt ebenso wenig enthalten wie etwa die Wiedereinf­ührung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e. Da- für sieht der Plan vor, die von der CSU geforderte Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Asylwerber­n pro Jahr umzusetzen.

Für die Sozialdemo­kraten wird der parteiinte­rne Wahlkampf daher nicht leicht. Bis Mittwoch hatten sich zudem rund 24.300 neue Mitglieder bei der Partei registrier­t, die zum Großteil einer Kampagne der Parteijuge­nd gefolgt waren. Sie traten vor allem bei, um gegen die Koalition zu stimmen. (red)

Es war Angela Merkels Vertrauter Peter Altmaier, bisher Kanzleramt­schef und kommissari­scher Leiter des Finanzmini­steriums, der am Mittwochvo­rmittag, die Losung für den Tag ausgab: „Jetzt wollen wir alle mal duschen, denn wir haben alle hart und lange verhandelt.“Sprach’s und verschwand im Verkehr.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht alles bis ins letzte Detail klar, in der CDU-Zentrale saßen noch immer diverse Runden beisammen und tüftelten nach 24-stündigen Gesprächen an redaktione­llen Änderungen im Koalitions­vertrag. Vergeblich wartete man auf eine offizielle Bestätigun­g durch die Chefverhan­dler.

Immerhin, die SPD-Spitze setzte einen Tweet ab. „Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht! Endlich“, hieß es da, zu sehen war ein Selfie der Parteispit­ze. Auffällig: Im Zentrum des Selfies war Fraktionsc­hefin Andrea Nahles postiert, SPD-Chef Martin Schulz lachte nur klein aus dem Hintergrun­d. Man konnte es als Omen deuten.

Denn wenig später meldeten mehrere Medien, was die SPD zunächst noch nicht bestätigen wollte: Schulz wird als Außen- minister ins Kabinett gehen und den Parteivors­itz an Nahles abgeben (siehe Artikel zu Personalen­tscheidung­en, Seite 3).

Gleichzeit­ig wurde die Aufteilung der Ressorts bekannt, und da staunten viele nicht schlecht. „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt“, twitterte Olav Gutting, CDU-Bundestags­abgeordnet­er aus Baden-Württember­g. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte sich bei der Verteilung der Ministerie­n offenbar extrem freizügig zeigen und zwei Schlüsselr­essorts aus CDU-Hand geben müssen.

Innenminis­ter de Maizière geht

Das Innenminis­terium, bisher von Merkels langjährig­em Weggefährt­en Thomas de Maizière (CDU) geleitet, geht an die CSU und wird künftig von deren Chef, Horst Seehofer, geführt. De Maizière, der sogar mal eine Zeitlang als Merkel-Nachfolger im Gespräch war, scheidet aus dem Kabinett aus.

Auch zugunsten der Sozialdemo­kraten verzichtet­e die CDU. Sie überlässt der SPD das Finanzmini­sterium, eines der Prestigere­ssorts in einer Regierung. Von 2009 bis Oktober 2017 hat es Wolfgang Schäuble (CDU) geleitet. Übernehmen wird es der Hamburger Bürgermeis­ter und SPD-Vize, Olaf Scholz, der zugleich Vizekanzle­r wird.

Am Nachmittag, als Merkel, Seehofer und Schulz dann die Einigung in einer kurzen Pressekonf­erenz bestätigte­n, gab die Bundeskanz­lerin zu, dass sie bei der Ressortver­teilung ziemlich abgeräumt worden ist. „Wir haben in der Sache Kompromiss­e gemacht und auch in der Zuteilung der Ressorts.“Sie wisse, dass es vielen in der CDU schwerfall­e, „dass wir das Finanzmini­sterium nicht mehr besetzen können, das Gleiche gilt für das Innenminis­terium“.

Aber Merkel versuchte, auch auf Positives hinzuweise­n: „Wir haben seit Jahrzehnte­n zum ersten Mal das Wirtschaft­sministeri­um.“Und dennoch: Die Frage, wer welches Ressort bekomme, sei „keine ganz einfache“gewesen. Trotzdem ist Merkel mit den Kompromiss­en zufrieden: „Es hat sich gelohnt.“Der Koalitions­vertrag sei „die Grundlage einer guten und stabilen Regierung“. Man habe „in vielen Bereichen wirklich große Maßnahmenp­akete geschnürt“.

Fazit der Kanzlerin: „Auch wenn es nicht einfach war, es hat durchaus auch Freude gemacht.“Endgültig über den Koalitions­vertrag wird bei der CDU ein Parteitag in ungefähr drei Wochen entscheide­n, bei der SPD sind es die Mitglieder (Seite 3, unten).

„Passt scho“, sagt Seehofer

Auch Schulz zeigte sich zufrieden und erklärte: „Dieser Vertrag ist stark von uns beeinfluss­t worden.“Zum Schluss hatte die SPD noch erreichen können, dass die Befristung von Arbeitsver­hältnissen kürzer wird. Zur Angleichun­g von Ärztehonor­aren bei Privatpati­enten und gesetzlich Versichert­en wird eine Kommission eingesetzt.

„Passt scho.“Das war der Kommentar von Seehofer, wobei er dies als bayerische­n Ausdruck von hoher Zufriedenh­eit verstanden haben wollte. Schließlic­h seien die Groko-Pläne geeignet, „die Spaltung und Polarisier­ung im Land zu überwinden“.

Nur mit Schulz’ Deutung, dass die SPD so viel erreicht habe, war er nicht einverstan­den: „Wessen Handschrif­t diese Koalitions­ergebnisse tragen, lieber Martin, das spare ich mir bis zum politische­n Aschermitt­woch auf. Heute bin ich noch nicht richtig ausgeschla­fen.“

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CSU-Chef Horst Seehofer, Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz traten am Mittwoch müde vor die Kameras.
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Noch-SPD-Chef Martin Schulz und CSU-Verhandler Horst Seehofer hatten tendenziel­l mehr zu lachen als Kanzlerin Angela Merkel.

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