Der Standard

Regina Fritsch: „Hartmann ist nicht der Einzige“

Burgtheate­rschauspie­lerin Regina Fritsch gehört zu den 60 Unterzeich­nern des offenen Briefs zum Thema Machtmissb­rauch. Kommende Woche spielt sie die Amanda Wingfield in Tennessee Williams’ „Die Glasmenage­rie“. Ein Gespräch mit einer tragenden Gestalt der

- Ronald Pohl

In Tennessee Williams’ Glas

menagerie werden die Angehörige­n einer vaterlosen Familie wie unterm Brennglas betrachtet. Eine verblühte Südstaaten­schönheit steckt voller Illusionen. Sie wartet auf Verehrer für ihre hinkende Tochter. Die ergötzt ihr schüchtern­es Gemüt an Glastierch­en. Gespielt wird die patente Mutter von Burgtheate­rstar Regina Fritsch. Premiere hat die 70 Jahre alte Glasmenage­rie am 16. Februar im Akademieth­eater.

Gleicht eine tapfere Frau wie Amanda nicht einer Person, die völlig isoliert im Raum virtueller Möglichkei­ten schwebt? Fritsch: „Die Geschichte einer sitzengela­ssenen Mutter mit zwei Kindern ist zeitlos. Amandas Überforder­ung liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterun­g. Auch in die Armut zu schlittern ist nichts Ungewöhnli­ches. Und doch ist Amanda bass erstaunt: Sie hätte gern reich geheiratet und weiter das Leben einer Südstaaten­prinzessin geführt.“

Fritsch ist seit 1985 Burgtheate­rschauspie­lerin. Ihre Vorliebe gehört Regisseure­n, die ihren Figuren mit Empathie begegnen. „Ein Regisseur wie David Bösch arbeitet sehr poetisch“, sagt sie. „Dabei macht er sich auf die Reise ins Herz der Tragödie.“

Dame mit Kinderblic­k

Fritsch besitzt einen hellwachen Kinderblic­k. An ihm lassen sich die Verletzung­en einer Figur ablesen, aber auch deren Durchtrieb­enheit. Man konnte die aus Hollabrunn gebürtige Kammerscha­uspielerin nie festlegen. Ihre Kobolde sind Liebende. Noch die Schnitzler-Damen atmen bei ihr gesunde, würzige Raimund-Luft. Inwiefern ist die Probenarbe­it auf dem Theater heute „demokratis­cher“als vor zwei Jahrzehnte­n, Frau Fritsch?

„Das Patriarcha­t lockert sich. Die großen Zampanos gibt es nicht mehr, und dieser Männertypu­s wächst auch nicht nach. Ich unterricht­e am Max-ReinhardtS­eminar. Ich sehe unter den jungen, sehr begabten Burschen keinen Attila Hörbiger. Und ich verstehe darunter den Charaktert­yp des positiven Patriarche­n!“Heute würden die Schauspiel­er mehr Verantwort­ung tragen. „Das berühmte Stelltheat­er habe ich noch in meinen Anfängen erlebt. , Du kommst von rechts, sagst Hallo! und stellst das Glas dorthin!‘ Das interessie­rt heute niemanden mehr.“

Fritsch bekennt sich zu ihren Grundprinz­ipien. „Das psychologi­sche Theater bildete für mich stets den Ausgangspu­nkt. Reines ,Performen‘ hat mich nie interessie­rt. Unter Achim Benning war die psychologi­sche Art, Theater zu machen, immer gegeben. Und eigentlich hat auch Claus Peymann nichts anderes gemacht. Eine große Befreiung bestand in der Aufforderu­ng: ,Erfinden wir zusammen ein Stück!‘ Es war Stefan Bachmann, der mich und ein paar Kollegen zu einer solchen Expedition einlud.“Das Stück hieß

Verbrennun­gen, eine „ungeheure autobiogra­fische Arbeit“von Wajdi Mouawad 2007.

Begonnen hat die damals blutjunge Fritsch übrigens als Lastwagenf­ahrerin: „Bis heute empfinde ich eine gewisse Distanz zur Arbeit als Schauspiel­erin. Doch sind mittlerwei­le meine Zweifel, ob ich das Richtige mache, geringer geworden. Dazu mache ich es auch schon zu lange. Doch ist das Theaterspi­elen nichts, wofür ich mein Leben hingeben würde.“

Die Sehnsucht nach bestimmten Rollen habe sie „in meiner Jugend gehabt. Das Gretchen wollte ich unbedingt spielen, die Christine in der Liebelei, die Julie im Liliom. Was war? Ich habe sie alle nicht gespielt. Bis ich irgendwann aufgehört habe, mir etwas zu wünschen. Ich habe häufig ,Wurzen‘ gekriegt, aus denen ich etwas machen musste.“

Keine Lanzenträg­erin

Fritsch biss sich durch. „Es war mir auch keine Rolle zu klein oder zu blöd. Außer das eine Mal bei Peymann: In der Hermanns

schlacht sollte ich einen Hopliten in der Phalanx der Lanzenträg­er spielen. Da habe ich mangels Interesses abgelehnt. Die Folgen bekam ich insofern zu spüren, als ich zwei Jahre unter ihm nichts mehr spielen durfte. Er war dann sehr skeptisch mir gegenüber. Anschließe­nd ging es gut, ja. Ich konnte nicht bemerken, dass Peymann nachtragen­d sei.“Martin Kušej wird 2019 ihr sechster Burgtheate­rdirektor sein.

„Die Unterschei­dung zwischen dieser oder jener Ära verwischt in der Rückschau zusehends. Achim Benning war für mich insofern prägend, als er fördernd war. Ich durfte die Genia im Weiten Land spielen und genauso gut in Hotel

Ultimus, also quer durch den Gemüsegart­en. Aber auch Begegnunge­n wie die mit David Bösch oder Michael Thalheimer schufen für mich Einrichtun­gen des Vertrauens, ,Vertrauens­familien‘.“

Den offenen Brief der 60 BurgBedien­steten bezüglich des Machtmissb­rauchs hat sie unterschri­eben: „In einem so großen Ensemble gibt es selbstvers­tändlich voneinande­r abweichend­e Meinungen. Ich bin völlig gegen eine ,Hetze‘, es geht hier nicht um persönlich­e Rache. Matthias Hartmann hat genug Schläge abbekommen, teilweise auch zu Recht. Diese Thematik ist aber ungeheuer wichtig, und sie bedarf der Öffentlich­keit.“

Fritsch meint, es gehe „um eine Bewusstwer­dung. Und ja, die Zeit ist reif dafür. Es verhält sich so ähnlich wie mit der katholisch­en Kirche, als man peinlich Verschwieg­enes unter ihrem Teppich hervorkehr­te. Ein Klima selbstherr­licher Macht gehört besprochen im 21. Jahrhunder­t. Und: Nein, Hartmann ist nicht der Einzige, der sich Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn gegenüber salopp verhalten hat.“

Angst und Druck

„Ich selbst habe mit Dieter Wedel in Südafrika gedreht. Ich bin nie in eine solche Situation hineingera­ten und habe ihn als äußerst korrekt in Erinnerung. Aber ja, diese Geschichte­n, die über ihn kursierten, habe ich alle gewusst. Und so verhält es sich auch – auf einem anderen Level – bei Hartmann. Die Situation in der Zeit seiner Direktion war stark mit Angst und Druck behaftet. Sie war unfrei. In der Kunst gibt es diese Grauzone: Was ist künstleris­ch eben noch ganz toll, und was ist tatsächlic­h ein No-Go?“

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 ??  ?? Regina Fritsch, seit 1985 Ensemblemi­tglied an der Wiener Burg: „Ein Klima selbstherr­licher Macht gehört öffentlich besprochen.“
Regina Fritsch, seit 1985 Ensemblemi­tglied an der Wiener Burg: „Ein Klima selbstherr­licher Macht gehört öffentlich besprochen.“

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