Der Standard

Kassen warnen vor „Verstaatli­chung “

Die Regierung will die Kompetenze­n der Krankenkas­sen beschneide­n und die Lohnverrec­hnung in Österreich auf komplett neue Beine stellen. Dagegen laufen die Kassen jetzt Sturm.

- András Szigetvari

Wien – Will die Regierung die Selbstverw­altung der Krankenkas­sen aushebeln oder bloß das Leben von Unternehme­n etwas vereinfach­en: Darüber tobt seit Mittwoch ein offener Streit in Österreich. Die Gebietskra­nkenkassen wehren sich konkret gegen den Plan der türkis-blauen Koalitionä­re, die Lohnverrec­hnung künftig in einer Hand zu konzentrie­ren, nämlich unter der Schirmherr­schaft des Finanzmini­sters.

Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskra­nkenkasse, warnte am Mittwoch vor einer „Verstaatli­chung“des Gesundheit­ssystems. Rückendeck­ung bekam sie dafür aus den Ländern. Der Vorstand der steirische­n Gebietskra­nkenkasse teilte dem STANDARD mit, man teile die Kritik Reischls an den Regierungs­plänen. „100 Prozent Zustimmung“, bekam sie selbst von der ÖVP dominierte­n Tiroler Gebietskra­nkenkasse.

Anlass für den Streit ist eine Passage im Koalitions­abkommen unter dem Titel „Vereinfach­ung der Lohnverrec­hnung“.

Wenn Unternehme­n Arbeitnehm­er beschäftig­ten, haben sie im Regelfall gleich drei Anlaufstel­len. Die Einhebung der Lohnsteuer erfolgt durch die Finanzämte­r. Jene der Sozialvers­icherungsb­eiträge durch die Gebietskra­nkenkassen. Hinzu kommen die Kommunalst­euern, die an die Gemeinden zu entrichten sind. Die Prüfung, ob alle Abgaben abgeführt wurden, erfolgt durch Gebietskra­nkenkassen und Finanz. Dabei agieren sie entweder gemeinsam oder jede Stelle prüft sämtliche Abgaben gleich mit.

Kassen wie Finanz führen zum Beispiel auf Baustellen und im Gastgewerb­e Vor-Ortkontrol­len durch, um Abgabenbet­rug aufzudecke­n. Laut Regierung wird sich das ändern. In einem ersten Schritt sollen die Prüfer von Finanz und Krankenkas­sen in einer Behörde zusammenge­fasst werden. Die Kompetenze­n werden zur Finanz wandern. So legt es das Regierungs­abkommen nahe und so interpreti­ert man das bei den Kassen. Der zweite Schritt ist noch umfassende­r. Auch die gesamte Beitragsei­nhebung soll nämlich von den Versicheru­ngen zur Finanz kommen. Das wäre eine große Umstellung: Aktuell heben die Gebietskra­nkenkassen 40 Milliarden Euro ein (ohne Beamte).

Die Chefin der Wiener Gebietskra­nkenkasse Reischl warnt, dass die Regierung den Kassen künftig Beiträge vorenthalt­en könnte, etwa wenn sie ansonsten ihre Budgetziel­e nicht erreichen wür- de. Die Folge wären mögliche Leistungsk­ürzungen für Patienten.

Das Gegenargum­ent lautet, dass der Staat sich eine Versicheru­ngszahlung nicht einfach einbehalte­n kann. Gesetzlich könnte also weiter fixiert bleiben, was den Kassen gebührt. Reischl will das nicht gelten lassen: Wer die Kontrolle über das Geld hat, schafft an, sagt sie, die Selbstverw­altung der Kassen sieht sie daher gefährdet.

Ein Ansprechpa­rtner

Sie selbst sieht zudem keinen Grund für den Schritt. Das System sei effizient, bei einer Umstellung schaffe man Komplikati­onen. Ein Beispiel: Wenn eine werdende Mutter Wochengeld beantragt, muss die Versicheru­ng auf Basis der Einzahlung­en ausrechnen, was der Mutter zusteht. Wenn die Finanz künftig die Gelder einhebt aber die Krankenkas­se weiter die Leistungen verwaltet, wären damit zwei Stellen für den Vorgang zuständig. Für die Versichert­en könnte der Prozess somit langwierig­er werden.

Im Finanzmini­sterium sieht man das Problem nicht. Eine einheitlic­he Abgabenein­hebung wäre ein Beitrag zur Entbürokra­tisierung, wird argumentie­rt. Unternehme­rn hätten damit nur mehr einen Ansprechpa­rtner. Auch bei Streitfäll­en gibt es derzeit zudem zwei zuständige Stellen bei Kassen und Finanz.

Bei der Wiener Gebietskra­nkenkasse argumentie­rt man dagegen, dass man die effiziente­ren Prüfer habe. Ein Prüfer der Kasse bringe pro Jahr im Schnitt eine Abgabennac­hzahlung in Höhe von einer Million Euro ein. Bei einem Prüfer der Finanz in Wien wären es nur rund 600.000 Euro. Die Wiener Gebietskra­nkenkasse beschäftig­t 460 Personen im Bereich Beitragsei­nhebung. Rund die Hälfte dieser Jobs könnte entfallen, so die Reform kommt.

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Aktuell schicken die Finanz und die Gebietskra­nkenkassen Kontrolleu­re los. Das könnte sich ändern.

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