Der Standard

„Im Dienst von Kräften, die gehört werden sollten“

Am Sonntag findet im Volkstheat­er die Premiere von „Gutmensche­n“statt. Regisseuri­n Yael Ronen bearbeitet darin nebst anderem die Geschichte eines Flüchtling­s. Ein Gespräch über Politik und wie Theater wirken kann.

- Michael Wurmitzer

INTERVIEW: Wien – Bei der Nestroy- Gala vorigen November sorgte die als beste Nebendarst­ellerin ausgezeich­nete Volkstheat­er-Schauspiel­erin Birgit Stöger für stille Momente im sich feiernden Saal. Sie erzählte vom irakischen Flüchtling Yousif A., dessen Asylantrag gerade abgelehnt worden sei. 2015 nach Österreich gekommen, habe er inzwischen Deutsch gelernt, mehrere Jobangebot­e, und „wenn der österreich­ische Staat Yousif abschiebt, dann kommt das einem Todesurtei­l gleich“. Die Berufung gegen den erstinstan­zlichen Bescheid läuft zurzeit. Bereits 2015 tauchte Yousif, er ist der Cousin eines Ensemblemi­tglieds, in Yael Ronens am Volkstheat­er entwickelt­en Stück Lost and Found auf. Nun erzählt die Regisseuri­n seine Geschichte und die der anderen Figuren in Gutmensche­n weiter.

Standard: Sie entwickeln Ihre Stücke zusammen mit dem Ensemble während der Proben. Wie kann man sich den Prozess vorstellen? Ronen: Am Anfang treffen wir uns und bringen all die Themen auf, die uns interessie­ren und über die wir gerne etwas sagen würden. Egal ob das private oder politische Angelegenh­eiten sind. Die ersten Proben schauen also immer mehr nach einem Beisammens­ein aus als nach etwas anderem. Sobald wir dann aber eine Richtung gefunden haben, beginnen wir gemeinsam zu graben. In unseren eigenen Leben oder indem wir zu Themen recherchie­ren. Das führt zur Entwicklun­g einer Storyline, von Charaktere­n

Standard: Und dann kommt der Punkt, wo Sie sagen: Ich bin die Regisseuri­n, so wird’s gemacht? Ronen: Ich würde nicht sagen, dass es einen Moment gibt, in dem meine Rolle umschlägt. Denn es ist immer klar, dass so ein Stück zu entwickeln ein Prozess ist, der jemanden braucht, der ihn anführt. Standard: Diesmal haben Sie beschlosse­n, eine frühere Arbeit am Volkstheat­er fortzusetz­en. Warum? Ronen: Das hat mit den Entwicklun­gen in der wahren Geschichte hinter dem Stück zu tun. Bei einer der ersten Proben kam von den Schauspiel­ern die Idee, das zu machen. Wir haben zwar noch etwas anderes versucht, aber nach einer Woche war die Entscheidu­ng fix. Denn die Ablehnung von Yousifs Asylantrag in erster Instanz hat uns alle überrascht. Und wir wollten neben seiner Geschichte auch verfolgen, was in Österreich in den drei Jahren seit dem Sommer 2015 passiert ist. Ich habe daraufhin einen Text geschriebe­n, den wir dann zusammen gelesen, verändert, bearbeitet haben.

Standard: Österreich hat nun eine Mitte-rechts-Regierung, auch anderswo gibt es diesen Zulauf … Ronen: Das ist nicht schwer zu erklären: Da sind zwei Kräfte, die einander auszubalan­cieren versuchen. Wenn eine sich bewegt, reagiert die andere. Das passiert gerade an vielen Orten auf der ganzen Welt. Diese Entwicklun­gen haben natürlich nicht nichts miteinande­r zu tun. Leider ist die Situation in Israel nicht besser. Bis zu einem gewissen Grad ist die Regierung dort schon ein paar Schritte voraus, wenn es darum geht, das Land in ein faschistis­cheres, weniger demokratis­ches, rassistisc­heres zu verändern. Ich hoffe, Europa zieht nicht nach.

Standard: Sie stammen aus Israel, Ihre Eltern arbeiten am Theater. War klar, dass Sie selbst einmal dort landen würden? Ronen: Ja. Es hat mir eine magische Kindheit gegeben. Ich habe es geliebt.

Standard: Was lieben Sie heute am Theater? Ronen: Wenn Theater es schafft zu berühren, kann es neue Gedanken anstoßen. Das ist so, wie wenn man mit einem Menschen spricht.

Standard: Ihre Stücke handeln auf oft aberwitzig­e Weise von ernsten Themen wie Minderheit­enprobleme­n oder religiösen Konflikten. Sie spielen ganz bewusst mit Tabus, übertreten Grenzen dessen, was man politisch korrekt sagen darf. Hilft das bei der Kommunikat­ion?

Humor macht einfach Sinn für mich.

Standard: So wie das Vermischen von Realität und Fiktion?

Ich versuche diesen Mix, weil ich das Gefühl habe, dass es eine Art von Gefahr auf die Bühne bringt. Die Schauspiel­er können sich nicht hinter Rollen verstecken, wenn sie ihre eigenen Geschichte­n erzählen. Ich denke, das Publikum merkt das und anerkennt und schätzt es, wenn etwas „Echtes“passiert. Es ist etwas Größeres im Spiel, wenn es zwi- schen Wahrheit und Fiktion stattfinde­t. Ich halte das für mich für die aufregends­te, passendste und spielerisc­hste Art zu arbeiten.

Standard: Sie haben im Dezember einen Europäisch­en Theaterpre­is bekommen – für neue Ansätze im Theater. Bedeutet Ihnen das was? Ronen: Es meint zumindest, dass meine Arbeit momentan Publikum hat und damit die Möglichkei­t, eine Wirkung zu entfalten. Also sollte ich versuchen, das weise zu nutzen.

Standard: Zum Beispiel? Ronen: Auf Roma Armee, das ich zuletzt am Gorki gezeigt habe, bin ich sehr stolz. Ich habe das Stück mit Roma entwickelt, und für die Leute aus der Community fühlt es sich an, dass damit eine Stimme zu Gehör gebracht wird, die bisher nicht gehört wurde. Und die nun Kontrolle über ihre eigene Geschichte hat. Während dieser Arbeit habe ich auch gelernt, wie wichtig es sein kann, als Autorin ein paar Schritte zurückzutr­eten, um diesen Menschen die Möglichkei­t zu geben, ihre Geschichte zu erzählen, und ihnen nicht Worte in den Mund zu legen. Ich habe da gesehen, wie Kunst Kunst bleiben und trotzdem im Dienst von Kräften stehen kann, die in der Welt gehört werden sollten.

Standard: Ist „Roma Armee“daher monologisc­her als andere Stücke? Ronen: Ja. In Wien habe ich bisher eher Arbeiten mit Charaktere­n, Dialogen und Szenen gezeigt. Aber andere Stücke von mir arbeiten mehr mit authentisc­hem Material, das die Geschichte bildet.

Standard: Es geht bei Ihnen stets um soziale oder politische Außenseite­r. Weil die interessan­ter sind? Ronen: Weil das meine Position ist. Ich bin immer Außenseite­rin. Sicher eine sehr privilegie­rte, aber das sind die Fakten: Etwa spreche ich nicht richtig Deutsch. Sogar wenn ich es mal schaffe, wird das Zugehörigk­eitsgefühl nicht so tief sein. Das gibt mir vielleicht einen besseren Blick auf die Ränder.

YAEL RONEN, geb. 1976 in Jerusalem, studierte Szenisches Schreiben und Regie. Seit 2013/14 ist sie Hausregiss­eurin am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Arbeiten signiert sie mit „Yael Ronen & Ensemble“, sie wurde vielfach ausgezeich­net, u. a. mit zwei Nestroys. Anna Badora entdeckte Ronen fürs Schauspiel­haus Graz und nahm sie mit ans Volkstheat­er.

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„Die meisten meiner Arbeiten sind offensicht­lich politisch“, sagt Regisseuri­n Yael Ronen. Zwei bis drei Monate probt sie mit den Darsteller­n für eine Stückentwi­cklung. Hier über die Bühne projiziert: Yousif.
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Foto: Urban Yael Ronen inszeniert nun zum fünften Mal in Österreich. Ronen: Ronen:

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