Der Standard

Es gibt nichts Besseres

Viel Klein-klein und dennoch: Die deutsche Koalition hat eine Chance verdient

- Birgit Baumann

Leicht wird es den Deutschen nicht gemacht, sich mit dieser neuen großen Koalition anzufreund­en. Die Verhandlun­gen waren geprägt von Unlust und von Signalen, die da lauteten: Wir müssen halt. Aber wir wollen eigentlich nicht.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hätte ihre vierte Amtszeit gerne mit einem Experiment gekrönt. Jamaika – also ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen – wäre spannend gewesen, es hätte nach Aufbruch gerochen. Aber es hat nicht geklappt.

Noch viel weniger Lust auf Groko hat SPD-Chef Martin Schulz. Er wäre lieber in Opposition, man hat ihn fast hintragen müssen zu diesen Verhandlun­gen. Der Widerwille war ihm in den vergangene­n Wochen oft anzusehen. Und die Schlussrun­de dieser Koalitions­gespräche, die sich dahin- und dahinzog, strapazier­te die Nerven aller noch einmal gewaltig.

Aber jetzt ist es geschafft, die Ergebnisse liegen vor, und man kann sie von zwei Seiten aus betrachten. Einerseits: Es fehlen die großen Würfe, etwa eine umfassende Rentenrefo­rm oder eine Steuerrefo­rm, die das komplizier­te System vereinfach­en würde. Das Klimaziel wurde auch aufgegeben.

Vieles bleibt im Klein-klein, man vermisst die Lust auf Zukunft. Anderersei­ts: Auch das Klein-klein summiert sich, es soll mehr Geld für Familien geben, für Schulen, für Universitä­ten, für den Infrastruk­turausbau, für die Pflege. Das ist nicht nichts – wenngleich man bei der hervorrage­nden konjunktur­ellen Lage und den sprudelnde­n Steuereinn­ahmen ja dergleiche­n auch erwarten kann. Es hat schon Regierunge­n gegeben, die unter härteren finanziell­en Bedingunge­n M starten mussten. an mag sich noch nicht recht vorstellen, wie diese Koalition funktionie­ren soll – mit einer SPD an Bord, bei der es ums Überleben geht, die sich verzweifel­t gegen das weitere Absacken stemmt. Immerhin hat sie bei der Verteilung der Ministerie­n gut abgeräumt: Außenamt, Finanzmini­sterium und Ressort für Arbeit und Soziales, da kann man sich auch als 20,5-Prozent-Partei profiliere­n und Pflöcke einschlage­n.

Das Gleiche gilt auch für den neuen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). Doch dieses Bündnis hat eine Chance verdient, schlicht auch aus dem Grund, weil es ohnehin nichts Besse- res gibt. Es ist die einzige Konstellat­ion, die Alternativ­e wären Neuwahlen, und diese will keiner.

Ob es die SPD auch so sieht, muss sich jetzt noch im Mitglieder­entscheid zeigen. Zur positiven Beeinfluss­ung des selbigen ist Schulz zu einem großen Schritt bereit, der aber nicht wirklich überrascht. Er geht ins Kabinett und gibt den SPD-Vorsitz auf und an Fraktionsc­hefin Andrea Nahles ab.

Das ist nicht die schlechtes­te Idee. Nahles war es, die am Parteitag eine flammende Rede gehalten hat, um die Genossen vom Koalitions­vertrag zu überzeugen. Schulz dagegen, der im vergangene­n Jahr so viel durchgemac­ht hat und so tief gefallen ist, wirkte daneben blass und müde.

Wenn es so kommt, wird es für Merkel nicht einfach. Sie hat der SPD viel geben müssen, um wenigstens diese Koalition zustande zu bringen, sie geht geschwächt aus den Verhandlun­gen.

Und sie wird es in ihrer vierten und letzten Amtsperiod­e mit zwei sozialdemo­kratischen Machtzentr­en – eines in der Regierung, eines in der Partei – zu tun bekommen. Doch ganz so weit ist es ja noch nicht. Jetzt sprechen erst einmal die Genossen. Die Zeit des Wartens ist noch nicht vorbei.

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