Der Standard

US-Angriffe in Syrien

Der russische Plan der „Deeskalati­onszonen“schien 2017 langsam zu greifen, aber heute wird in Syrien wieder an mehreren Schauplätz­en blutig gekämpft. Zu den alten kommen neue Konflikte.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Bei Luftangrif­fen der US-geführten Koalition sind in Ostsyrien mehr als hundert Assad-treue Kämpfer gestorben.

Die Appelle verhallen ungehört, in Syrien wird an mehreren Schauplätz­en wieder blutig gekämpft, bombardier­t, belagert. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass in Zeiten anlaufende­r Diplomatie in sich erschöpfen­den Kriegen noch versucht wird, Fakten am Boden zu schaffen. 2017 ist Syrien mit dem Sieg über den „Islamische­n Staat“(IS) und dem faktischen Ende des Aufstands in diese Phase eingetrete­n, es gibt mehrere diplomatis­che Schienen. Die derzeitige­n Konfrontat­ionen bedeuten nicht nur den Zusammenbr­uch der Waffenruhe in den sogenannte­n „Deeskalati­onszonen“, die 2017 nach und nach eingericht­et wurden. Sie bergen die Gefahr neuer Eskalation­en – zwischen Akteuren, die zuvor nebeneinan­der existierte­n.

Auffällig ist dabei, dass die USA eine größere Rolle spielen als früher: US-Präsident Donald Trump konnte seine im Wahlkampf angekündig­te Politik, sich nach dem Ende des IS aus der Region verabschie­den zu wollen, nicht verwirklic­hen, im Gegenteil. In Nordsyrien befinden sich die USA vor Manbij im Nervenkrie­g mit türkischen Truppen, die die linksgeric­hteten YPG-Kurden, die lokalen Partner der USA, bekämpfen: Und hoffentlic­h wird es nicht mehr. In Ostsyrien bei Deir al-Zor wurden am Mittwoch „Pro-Damaskus-Kräfte“, also dem Assad-Regime zuzurechne­nde Truppen, von der US-Luftwaffe angegriffe­n.

Ostsyrien Im Inneren der Provinz Deir alZor und an der irakisch-syrischen Grenze wird noch gegen Reste des IS gekämpft. Während in Raqqa, weiter im Nordwesten, die von den USA unterstütz­ten – und von den YPG-Kurden kontrollie­rten – SDF (Syrian Democratic Forces) die Offensive vorantrieb­en, waren es weiter südöstlich das Regime und seine Verbündete­n. Bei einem zuvor vom IS kontrollie­rten Ölfeld bei Deir al-Zor gerieten zu Wochenmitt­e RegimeVerb­ündete und SDF aneinander; was die USA zu einem Angriff aus der Luft zugunsten der SDF veranlasst­e.

Die USA meldeten mindestens 100 Tote auf der gegnerisch­en Seite, das Regime gab nur weniger zu. Indes ist nicht ganz klar, wer da konkret für das Assad-Regime gekämpft hat: wirklich „lokale Kräfte“, wie Damaskus sagt, oder aber die libanesisc­he Hisbollah oder vom Iran zum Krieg beigesteue­rte Milizen (etwa Iraker und Afghanen). Dann wäre das US-Eingreifen eine Botschaft nicht nur an Damaskus, sondern auch an Teheran. Von Russland war diesmal nicht die Rede.

Nordwestsy­rien Am 19. Jänner hat die türkische Armee ihre lange angekündig­te Militäroff­ensive bei Afrin gestartet, um die Kurden „westlich des Euphrat“, wie es heißt, zu vertreiben. Die Kurden der PYD und deren Miliz YPG sollen daran gehin- dert werden, ein zusammenhä­ngendes Gebiet vom Nordwesten bis zum Nordosten zu kontrollie­ren. Ankara beschuldig­t die PYD/YPG, ein verlängert­er Arm der türkisch-kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK zu sein. Die türkische Operation trägt den zynischen Namen „Olivenzwei­g“.

Die YPG wurden, siehe oben, von den USA aufgerüste­t, um gegen den IS zu kämpfen – und die türkische Offensive begann kurz nachdem die USA angekündig­t hatten, im Nordosten eine 30.000 Mann starke, von den Kurden dominierte „Grenzsiche­rheitstrup­pe“aufstellen zu wollen.

Da prallen die Interessen der Nato-Partner USA und Türkei direkt aufeinande­r. Eine akute militärisc­he Konfrontat­ionsgefahr gibt es bei der Stadt Manbij: Der türkische Präsident Tayyip Erdogan hat die USA wiederholt direkt aufgeforde­rt, von dort abzuziehen – die USA denken nicht einmal daran. Die New York Times zitiert in einem Bericht am Mittwoch den US-Kommandant­en der US-geführten Koalition in Syrien, General Paul Funk, der Ankara ausrichten lässt: „Wenn ihr uns angreift, werden wir aggressiv antworten. Wir werden uns verteidige­n.“

Idlib Seit Jahresbegi­nn fährt das Regime mit russischer Hilfe seine Offensive in Idlib hoch, die seither wieder etwa 300.000 Flüchtling­e produziert hat. Die Bombardeme­nts treffen erneut Zivilisten, wieder steht der Einsatz von Chlorgaswa­ffen durch das Regime im Raum. Die Stadt und die Provinz Idlib wird von Rebellen kontrollie­rt, die nach und nach auch durch Erreichung lokaler Waffenruhe­n anderswo zugezogen sind. Unter diese mischen sich jedoch auch – gelinde gesagt – radikale Elemente: Die Gruppe Tahrir al-Sham etwa, auf deren Konto der Abschuss eines russischen Kampfjets vorige Woche geht, ist eine Weiterentw­icklung der Nusra-Front, die sich früher offen zu Al-Kaida bekannte. Diese Gemengelag­e dient dem Regime und Russland zur Rechtferti­gung ihrer Angriffe, die sich jedoch natürlich gegen alle richten. Es geht um die Wiederhers­tellung der Kontrolle Assads über ganz Syrien, wie er ja auch stets selbst betont hat. Wie in der schlimmste­n Phase des Kriegs werden wieder regelmäßig Krankenhäu­ser bombardier­t.

Das Regime profitiert von der türkischen Offensive bei Afrin, weil dort türkischge­sponserte Rebellen gebunden sind. Gleichzeit­ig haben die Türken südlich von Aleppo eine militärisc­he Barriere errichtet (bis zu 100 Militärfah­rzeuge), die sich auch gegen die Regimetrup­pen richtet.

Ostghouta Auch in der von Rebellen kontrollie­rten östlichen Ghouta bei Damaskus sind alle Arrangemen­ts zusammenge­brochen. Hier sind 400.000 Menschen von Regimetrup­pen eingeschlo­ssen, seit November sind sie von jeder Versorgung abgeschnit­ten: eine humanitäre Katastroph­e. Dazu kommen die Luftangrif­fe – allein am Dienstag mehr als 70 Tote. Auch hier geht es um die Wiederhers­tellung der Regimekont­rolle. Aus dem Gebiet gibt es aber auch Rebellenan­griffe auf Damaskus.

Südwestsyr­ien Hier gibt es quasi eine virtuelle Front – mit konkreten Folgen: Israel griff am Dienstag erneut einen Militärkom­plex bei Damaskus an. Das eigentlich­e Ziel sind Waffen für die vom Iran abhängige und von diesem hochgerüst­ete libanesisc­he Hisbollah, die durch den Syrien-Krieg militärisc­hes Profil gewonnen hat. Israel, so sind viele Analysten überzeugt, wird das nicht auf Dauer hinnehmen – zumal Russland nicht auf den Iran einwirken will oder kann, damit dieser seine Stellvertr­eter einen Respektabs­tand von der syrischisr­aelischen Grenze halten lässt. Kurz vor dem israelisch­en Angriff – der aus libanesisc­hem Luftraum erfolgte – inspiziert­e das israelisch­e Sicherheit­skabinett, inklusive Premier Benjamin Netanjahu, die Grenze am Golan: eine klare Botschaft.

Süden Im Süden funktionie­rt die Deeskalati­onszone am besten, in den vergangene­n Wochen sind sogar Flüchtling­e aus Jordanien zurückgeke­hrt: Aber die Rebellen, die dort Gebiete kontrollie­ren, bleiben natürlich von den Geschehnis­sen in Idlib und der Ostghouta nicht unberührt. So wurden zu Wochenbegi­nn Opposition­spolitiker – Opposition zu Assad – von den Rebellen verhaftet, weil sie an dem von Moskau initiierte­n „Nationalen Dialog“Anfang Februar in Sotschi teilgenomm­en hatten. Im Süden ist jedoch der Einfluss Jordaniens groß, das Interesse hat, dass die Waffenruhe hält.

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Foto: AFP/Kilic |

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