Der Standard

Schulz ist vom Hoffnungst­räger zum Hasardeur geworden

Eintritt in Regierung und Absägen von Gabriel sorgen für Kritik – Groko- Gegner und Befürworte­r kämpfen um Basis

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Für das Ende einer Männerfreu­ndschaft hatte SPD-Chef Martin Schulz nur zwei Sätze übrig. Warum denn für den amtierende­n deutschen Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) in der neuen Regierung kein Platz mehr sei, wurde er nach dem Ende der Koalitions­verhandlun­gen gefragt.

Seine Antwort war kurz und erfolgte schmallipp­ig: „Ich finde, dass Sigmar Gabriel sehr gute Arbeit als Außenminis­ter geleistet hat. Ich habe mich entschiede­n, in die Bundesregi­erung einzutrete­n – und zwar als Außenminis­ter.“Das war alles. Die Nachfrage, ob nicht vielleicht an anderer Stelle für Gabriel Platz gewesen wäre, wagte keiner mehr zu stellen.

Natürlich wird bei den Sozialdemo­kraten auch der Koalitions­vertrag eifrig diskutiert. Aber nichts beschäftig­t sie zurzeit so sehr, wie der Umgang von Schulz mit Gabriel sowie der geplante personelle Umbau der Partei.

Gabriel reagierte auf seine Weise. Er war schon ein paar Tage nicht mehr öffentlich aufgetrete­n, am Donnerstag sagte er dann eine Reihe von Terminen ab. Bei der Auftaktver­anstaltung zur Münchner Sicherheit­skonferenz in Berlin ließ er sich von Staatsmini­ster Michael Roth vertreten. Am 17. Februar sollte er eigentlich dann bei der Sicherheit­skonferenz selbst in München sprechen. Die Veranstalt­er bekamen auch dafür eine Absage, Schulz wird nun einspringe­n.

Zur Erinnerung: Gabriel ist der Mann, der Schulz im Jänner 2017 die Kanzlerkan­didatur vor die Füße gelegt hat – mit dem Hinweis: Martin, du kannst es besser als ich. Aber Schulz sieht nun keinen Platz mehr für beide in der Regierung. Dabei hätte es noch andere gewichtige Ressorts für ihn gegeben: Arbeit/Soziales, Finanzen.

Erfahrung einbringen

Allerdings raunt man in Berlin, dass Schulz im Finanzmini­sterium eine völlige Fehlbesetz­ung und noch unglaubwür­diger wäre, da er keinerlei Erfahrung habe. Das Ressort für Arbeit und Soziales hätte vielleicht ganz gut gepasst, da Schulz ja das Thema Gerechtigk­eit in den Mittelpunk­t seines Wahlkampfe­s gestellt hatte.

Doch er wollte unbedingt das Außenamt. Seine Begründung: Er möchte seine europapoli­tische Erfahrung bei der Erneuerung der EU einbringen. Eine Erneuerung der SPD will er auch. Aber dies sei nur mit einem neuen Gesicht möglich. Das möge eben Andrea Nahles sein, nach dem Mitglieder­votum soll ein Sonderpart­eitag der SPD sie an die Spitze wählen.

Nahles wird damit zur großen Playerin in der SPD. Sie bleibt auch Fraktionsc­hefin und hat somit eine große Machtbasis und Machtfülle. „Ich kann das“, sagt sie über ihre neue Aufgabe. Sie sei schließlic­h „kein Frischling“.

Die 47-Jährige ist seit Jahrzehnte­n in der SPD. Von 1995 bis 1999 war sie Juso-Vorsitzend­e, danach arbeitete sie sich in diversen Ämtern immer höher. Selbst aus der Union wird der Mutter einer siebenjähr­igen Tochter viel Fachwissen und Handschlag­qualität bescheinig­t. Parteiinte­rn heimste Nahles viel Lob ein, als sie den Mindestloh­n durchsetzt­e.

Der frühere SPD-Chef und heutige Linkenpoli­tiker Oskar Lafontaine hat sie mal ein „Gottesge- schenk“genannt. Schon länger ist in der SPD davon die Rede, dass sie eines Tages die erste Frau an der Spitze der traditions­reichen Partei sein könnte.

Zwar vermag Nahles die Genossen zu begeistern, doch sie verschreck­t so manchen auch durch ihre gelegentli­ch schrille Art. Im Herbst, nach ihrer Wahl zur Fraktionsc­hefin drohte sie dem damals vermeintli­ch ehemaligen Koalitions­partner Union: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“

Glaubwürdi­gkeit erschütter­t

Und beim Bonner Parteitag im Jänner machte sie der Union klar, dass sie für die Neuauflage der Groko einen hohen Preis werde zahlen müsse. „Bätschi! Das wird ganz schön teuer.“

Sie und Schulz können gut miteinande­r, und Schulz hat im Moment ohnehin gute Freunde nötig. Denn seine Kehrtwende von „kein Eintritt in die Regierung“zu „ich werde Außenminis­ter“verstört viele in der Partei.

„Ich hätte mich nicht so entschiede­n“, sagt der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Bernd Westphal. Auch Michael Groschek, Chef des einflussre­ichen SPD-Landesverb­andes in Nordrhein-Westfalen, räumt ein: „Es gibt Diskussion­en um die Glaubwürdi­gkeit.“

Entsetzt über den Schritt von Schulz ist Juso-Chef Kevin Kühnert. „Alle inhaltlich­en Fragen treten jetzt in den Hintergrun­d. Das ist ärgerlich.“Er sei „fassungslo­s“, wie man so etwas zulassen könne.

Kühnert geht, während der Mitglieder­entscheid der SPD läuft, wieder deutschlan­dweit auf „NoGroKo“-Tour und ist zuversicht­lich, dass am Ende, bei der Auszählung, ein Nein herauskomm­t. „Der Zuspruch, den wir bekommen, ist ungebroche­n“, erklärt er. Die rund 25.000 neuen Mitglieder seien noch einmal ein deutlicher Fingerzeig. „Mein Eindruck ist, die allermeist­en davon haben wegen unserer Argumente den Weg in die SPD gewählt.“

Doch auch Schulz und Nahles wollen werben – natürlich für die große Koalition. Am 4. März wird die SPD-Spitze das Ergebnis bekanntgeb­en. Erst dann ist klar, ob das schwarz-rote Bündnis an den Start gehen kann. (bau)

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