Der Standard

Für Europa kommt die Groko gerade richtig

Die Partner Deutschlan­ds in der Europäisch­en Union atmen nach der Koalitions­bildung auf. Eine breite, stabile Regierung in Berlin ist günstig für Reformen der Union im Tandem mit Frankreich.

- Thomas Mayer aus Brüssel

So umstritten die Groko in der innerdeuts­chen Debatte sein mag – aus Sicht der EU-Partner ist die Koalition der großen Volksparte­ien CDU/CSU und SPD ein Segen. Die Europäisch­e Union steht im Jahr vor den EU-Wahlen Ende Mai 2019 vor der größten Herausford­erung seit Jahrzehnte­n.

Von der Fülle und der Tiefe der zu lösenden Probleme her ist die Situation derzeit nur vergleichb­ar mit der Finanz- und Eurozonenk­rise ab 2008; oder mit den strategisc­h bedeutende­n Beschlüsse­n zum Start der Währungsun­ion und gleichzeit­ig der großen EU-Erweiterun­g 1997 – nicht ganz so umwälzend wie die „Neuordnung“Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und der deutschen Wiedervere­inigung 1990.

Aber: 2018 und 2019 steht der Abschluss der Brexit-Verhandlun­gen an. Mit Großbritan­nien wird im März 2019 erstmals ein Mitglied die Union verlassen. Die EU verliert damit fast ein Fünftel des EU-Budgets und 65 Millionen EU-Bürger. Auch steht der formelle Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei im Raum. Für 26. März haben der Ständige EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk und Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu einem Sondergipf­el nach Varna in Bulgarien geladen.

Geld- und Sicherheit­spolitik

Es muss im Großen besprochen werden, wie man in einer erweiterte­n Zollunion weiterkomm­en könnte. Ähnliches gilt für Großbritan­nien. Und die sicherheit­spolitisch­e Dimension wird für die EU immer wichtiger; in der Türkei, in Syrien, im Nahen Osten generell, in Nordafrika. Und es geht auch um die Beziehunge­n zu den USA, einige Freihandel­sabkommen stehen an.

Kein Wunder also, dass die Regierungs­bildung in Deutschlan­d in der EU mit großer Erleichter­ung aufgenomme­n wurde. Tusk und Juncker reisten Donnerstag umgehend nach Berlin zu Gesprächen mit Kanzlerin Angela Merkel und dem designiert­en Außenminis­ter Martin Schulz (SPD).

Die Zeit drängt. Neben einem umfangreic­hen EU-Gesetzespa­ket zu Migration, neuem Grenzregim­e durch Schengenre­form, Asyl- und Flüchtling­sfragen muss auch der dazugehöri­ge mittelfris­tige EU-Finanzrahm­en 2020 bis 2027 geklärt werden. Ein verlässlic­her, stabiler, noch dazu EU- und integratio­nsfreundli­cher Partner in Berlin ist für all das unerlässli­ch.

Nicht ohne Paris

Ohne Deutschlan­d und seine Finanzkraf­t geht in der EU nichts, auch nicht ohne die enge deutsch-französisc­he Partnersch­aft. Präsident Emmanuel Macron machte bereits im September einen ambitionie­rten Vorschlag, wie man die EU durch Ausbau der Eurozone deutlich vertiefen könnte (sie

he unten). Merkel unterstütz­te das, bremst aber bei allem, was nach Transferun­ion riecht.

Da könnte das Eintreten von Schulz, dem früheren Präsidente­n des Europäisch­en Parlaments, ins Kabinett einen neuen Akzent setzen. Er unterstütz­t Macron voll. Nicht zuletzt dank der SPD will die Groko auch sechs bis zehn Milliarden Euro zusätzlich in Europa, im EU-Budget, investiere­n.

Das ist neu und richtet sich auch gegen die zuletzt von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) im STANDARD angekündig­te Linie, dass im EU-Budget vor allem gespart werden müsse.

Beim letzten EU-Budgetrahm­en 2013 waren es vor allem Merkel und der Brite David Cameron, die Kürzungen durchsetzt­en. Wenn alles gutgeht, werden die Kanzlerin und der Franzose Macron nun Ende März gemeinsam einen umfangreic­hen Plan zur erneuerten Union vorlegen, auch zur Sicherheit. Verhandlun­gen dazu fallen in Österreich­s EU-Vorsitz ab Juli.

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Ein Sternchen für Deutschlan­d: In der EU sind die maßgeblich­en Player zufrieden mit dem Zustandeko­mmen der Groko in Berlin.

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