Der Standard

SPD versucht die Auferstehu­ng aus den Trümmern

Rasch wollen die deutschen Sozialdemo­kraten Martin Schulz loswerden. Am Dienstag soll Andrea Nahles die Partei interimist­isch übernehmen. Doch es gibt Streit um den Vorsitz, der Ruf nach einer Urwahl wird laut.

- Birgit Baumann aus Berlin

Man kann sich vorstellen, dass beiden Seiten vor der ersten Begegnung graut. Aber morgen, Dienstag, soll es dennoch so weit seit: Da tagt in Berlin, im Willy-Brandt-Haus, das SPD-Präsidium. Zu diesem gehören neben Martin Schulz seine Stellvertr­eter – also jene Genossinne­n und Genossen, die ihm das Vertrauen entzogen haben.

Niemand ist ihm beigesprun­gen, als er am Freitag bekanntgeg­eben hat, nun doch nicht anstelle von Sigmar Gabriel (SPD) Außenminis­ter werden zu wollen. Und offenbar soll Schulz bei dieser Sitzung am Dienstag völlig abgedrängt werden.

Bisher war geplant, dass er den SPD-Vorsitz nach dem Votum der Basis zum Koalitions­vertrag abgeben wird. Das wäre Anfang März. Und dass er, gemeinsam mit seiner Nachfolger­in Andrea Nahles, in der nächsten Zeit noch bei Regionalko­nferenzen für ein Ja zum Vertrag werben soll. Schließlic­h hat Schulz ihn ausverhand­elt, er kennt alle Details.

Doch nun munkelt man, dass Schulz schon am Dienstag den Parteivors­itz abgeben und Nahles die SPD ab sofort kommissari­sch führen soll – bis sie von einem Parteitag offiziell gewählt wird. Es dauert allerdings ein bisschen, bis ein solcher einberufen ist. Auf Groko-Werbetour soll Schulz auch nicht mehr gehen.

Die Werbetoure­n starten

Diese beginnt am 17. Februar, da startet die SPD-Spitze ihre „regionalen Dialogvera­nstaltunge­n“, bei denen die Parteiführ­ung bei der Basis für den Koalitions­vertrag um Unterstütz­ung bitten will. Bis 25. Februar sind bundesweit sieben Termine geplant. Parallel tourt Juso-Chef Kevin Kühnert mit einer „No-Groko-Kampagne“quer durch Deutschlan­d.

Am 20. Februar beginnt der SPD-Mitglieder­entscheid, am Mitglieder­votum können sich 463.723 Sozialdemo­kraten beteiligen. Einsendesc­hluss ist der 2. März, am 4. März soll das Ergebnis bekanntgeg­eben werden.

Doch die SPD-Spitze hat, abgesehen von der Überzeugun­gsarbeit bei der Basis, noch genug anderes zu tun. Denn auch nach dem Rückzug von Schulz kommt die Partei nicht zur Ruhe.

Diskutiert wird nun über eine Urwahl an der Parteispit­ze, welche von der Bundestags­abgeordnet­en Hilde Mattheis, die dem linken Parteiflüg­el angehört, gefordert wird: „Es kann nicht sein, dass der Parteivors­itz quasi unter der Hand vergeben wird und die Partei vor vollendete Tatsachen gestellt wird“, sagt sie.

Laut Spiegel online hat Schulz schon vor dem Parteitag am 21. Jänner in Bonn, bei dem die Genossen knapp für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen stimmten, Nahles angeboten, sie könnte in naher Zukunft den Parteivors­itz übernehmen. Auch die geschäftsf­ührende Arbeitsund Familienmi­nisterin Katarina Barley will mehr Mitsprache der Basis: „Der Urwahl-Idee kann ich grundsätzl­ich etwas abgewinnen und bin dafür offen, denn die di- rekte Beteiligun­g der Mitglieder schafft Vertrauen.“

Das ist laut Berliner SPD-Fraktionsc­hef Raed Saleh dringend nötig. Seine Bewertung: „Es gibt eine zunehmende Entfremdun­g der Basis von der Spitze der Bundespart­ei. Über das Vorgehen der letzten Wochen schütteln viele Genossen nur noch ratlos den Kopf.“

Parteirefo­rm abwarten

SPD-Vizechef Ralf Stegner hingegen warnt vor einer Urwahl: „Diese Debatte gehört in die laufende Diskussion zur notwendige­n Parteirefo­rm.“Eine Reform und mehr Beteiligun­g der Mitglieder an Entscheidu­ngsprozess­en hatte Schulz nach dem schlechten Abschneide­n der SPD bei der Bundestags­wahl angekündig­t, um die Partei attraktive­r zu machen.

Viele in der Partei wünschen sich auch, dass vor dem Mitglieder­votum bekanntgeg­eben wird, wer denn nun tatsächlic­h die sozialdemo­kratischen Plätze im Kabinett besetzen wird, ob etwa nach dem Rückzug von Schulz jetzt Sigmar Gabriel Außenminis­ter bleibt. Bisher gibt es wie beim Finanzmini­sterium – da soll Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz kommen – deutliche Hinweise, aber noch keine offizielle­n Bestätigun­gen. Doch SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil meint: „Ich rate meiner Partei, dass wir Personalen­tscheidung­en jetzt nach dem Mitglieder­votum treffen.“Er warnt zudem vor weiteren Personalde­batten.

Kein Blatt vor den Mund nimmt sich hingegen Doris Harst, die Schwester von Martin Schulz, die selbst in der Sozialdemo­kratie aktiv ist. „Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden. Deshalb war, nach seiner erfolgreic­hen Zeit als Spitzenpol­itiker in Brüssel und Straßburg, die Schlangeng­rube Berlin, die er völlig unterschät­zt hat, nichts für ihn.“Nahles und Scholz machten „ihn zum Sündenbock für alles“. Dabei, so Harst, „könnten sie Martin dankbar sein, nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat“.

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Die neue starke Frau in der SPD, die Martin Schulz am Krawattl packt, soll ab Dienstag schon Fraktionsv­orsitzende werden: Andrea Nahles.

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