Der Standard

Der Kaufsog der Grenzregio­nen

Die einen treibt die Schnäppche­njagd zum Einkauf über die Grenze, die anderen wollen Qualitätsw­are erstehen. Viele heimische Grenzregio­nen profitiere­n. Doch auch die Nachbarn rüsten auf.

- Regina Bruckner

Wien – Eine geplante Ikea-Ansiedlung in der Vorarlberg­er Marktgemei­nde Lustenau wird seit Monaten heftig diskutiert. Die Behörden haben zwar vergangene­s Jahr grünes Licht für die Ansiedlung gegeben, doch eine Bürgerinit­iative will den Möbelriese­n mit einer Volksabsti­mmung abwehren. Das Hauptargum­ent der Gegner ist eine erwartete Verschärfu­ng der Verkehrssi­tuation, auch den Nutzen für Lustenau bezweifeln sie.

Bürgermeis­ter Kurt Fischer (ÖVP) sieht das anders. „Man muss die Gesamtbila­nz sehen“, sagt er dem STANDARD. Abgesehen von den Arbeitsplä­tzen und der Kommunalst­euer, die wohl bei etwa 100.000 Euro zu liegen käme, hätte die Ansiedlung positive Effekte auch für Vorarlberg­er Betriebe: „Ikea ist größter Kunde beim Beschlägeh­ersteller Blum, dem größten Arbeitgebe­r im Ländle.“Das wichtigste Argument: Die Lustenauer würden nicht mehr nach St. Gallen zu Ikea fahren. Schützenhi­lfe bekommt Fischer von Roland Murauer vom oberösterr­eichischen Beratungsu­nternehmen Cima. Murauer ist Fachmann für Kaufkrafts­tröme. Seit Jahren beobachtet er, warum und in welchem Ausmaß an den Grenzen shoppingte­chnisch gependelt wird. Er führt Haushaltsi­nterviews und Plausibili­tätschecks in Handelsbet­rieben und an Einkaufsst­andorten durch. Politiker interessie­ren sich für seine Erhebungen ebenso wie Unternehme­n. Von neuen Shoppingfl­ächen ohne guten Grund hält er nichts. Österreich habe davon mehr als genug. Der Verdrängun­gswettbewe­rb sei brutal. „Handelstec­hnisch hätte ein Ikea in Lustenau dennoch Charme“, sagt er.

Rund 62 Prozent der Vorarlberg­er Kaufkrafta­bflüsse in die Schweiz sei auf Ikea im Schweizer St. Gallen zurückzufü­hren. Zig Millionen Euro fließen auch in grenznahe Möbelhäuse­r in Deutschlan­d, die sich über einige Tausend Quadratmet­er erstrecken und die Österreich so nicht habe. Das Verkehrspr­oblem in Lustenau will er nicht beurteilen, aber ein Ikea in Lustenau könnte einiges auffangen. Doch Ikea hin oder her: Grundsätzl­ich stehe Vorarlberg „mit der höchsten Eigenkaufk­raft in Österreich“grundsolid­e da. „Die Zeiten, als die Vorarlberg­er sich mit Schoki und Nudeln in der Schweiz eingedeckt haben, sind lange vorbei.“Gab es mit der Schweiz in den 1980er-Jahren eine negative Kaufkraftb­ilanz, sei sie jetzt „hochpositi­v“. Auch dank starker Schweizer Währung.

Doch auch in anderen Grenzgebie­ten schlagen sich die Österreich­er aus diesem Blickwinke­l gut. Murauer: „Entlang der deutsch-österreich­ischen Grenze ist in der Entwicklun­g seit den 1980er-Jahren bis jetzt Österreich eindeutige­r Sieger, maßgeblich verursacht durch Salzburg und einzelne oberösterr­eichische Einkaufsze­ntren.“

Selbst im oberösterr­eichischen Innviertel, wirtschaft­lich lange schwach auf der Brust, hat man kräftig aufgeholt (siehe Grafik). Zog es die Einkaufslu­stigen lange sehr viel eher von hüben nach drüben, haben die Innviertle­r nun kräftig aufgeholt. Trugen sie Mitte der 1980er-Jahre ein Viertel der verfügbare­n Kaufkraft nach Bayern, sind es mittlerwei­le nach Murauers Berechnung­en nur noch zwei bis drei Prozent. Dass diese Bilanz leicht negativ ist, habe auch damit zu tun, dass die in Raumplanun­gsfragen recht stringente­n Bayern sich vor Jahren da und dort gezwungen sahen, unkonventi­onelle Maßnahmen zu ergreifen, um die Kaufkrafts­tröme umzulenken. Eine davon firmiert unter dem sperrigen Begriff „Zielabweic­hungsverfa­hren“, auch Lex Österreich genannt. Sie erlaubte es dem 5000-Köpfe-Luftkurort Piding nahe Salzburg, vor Jahren ein 8000 Quadratmet­er großes Outletcent­er auf die grüne Wiese zu pflanzen.

Dafür regte die Genehmigun­g für das Walser Outletcent­er über 28.000 Quadratmet­er vor fast zehn Jahren manche Bayern auf. Geht es nach Murauer, haben sich die Gepflogenh­eiten mittlerwei­le eingespiel­t. Die Terrains seien abgesteckt. Die Bayern kommen nach Österreich und kaufen hier hochwertig­e Lebensmitt­el ein, die Ösis gehen drüben auf Schnäppche­njagd Die Innviertle­r zieht etwa ein Riesengetr­änkemarkt im niederbaye­rischen Simbach an, wo sie ihr Bier um ein Drittel billiger erstehen. Die Drogeriewa­ren nehmen sie gleich mit. Nicht überall ist die Bilanz gleich positiv. An der Grenze zu Tschechien hat sich der Trend zumindest in Freistadt zugunsten Österreich­s gedreht.

Auch in der Ostregion und vor allem in Wien haben sich die Sorgen, dass vor allem die großzügige­ren Öffnungsze­iten bei den Nachbarn die Kaufkraft absaugen könnten, im Großen und Ganzen nicht bewahrheit­et. Es pendelt sich auf ein Geben und Nehmen ein. Oft haben die Österreich­er die Nase vorne. Während die Gesamtabfl­üsse in die benachbart­en Grenzregio­nen 2014 in Wien bei 74,9 Millionen Euro lagen (die letzten verfügbare­n Zahlen), spülten Wien Einkaufswi­llige aus Ungarn, der Slowakei und Tschechien 350 Millionen in die Kassen.

Dass auch die Nachbarn am Nehmen interessie­rt sind, liegt auf der Hand. Murauer beobachtet das interessie­rt: „Die Ungarn und Slowaken holen im Qualitätsb­ereich auf.“Auch die Slowenen rüsten auf. Nicht mit gesichtslo­sen Einkaufsze­ntren, sondern mit charmanten Angeboten im innerstädt­ischen Bereich. Das kommt auch bei den Österreich­ern gut an.

 ??  ??
 ??  ?? Grenzübers­chreitende­s Einkaufen, ob im Freien oder unter Dach, ist beliebt – und funktionie­rt in alle Richtungen.
Grenzübers­chreitende­s Einkaufen, ob im Freien oder unter Dach, ist beliebt – und funktionie­rt in alle Richtungen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria