Der Standard

Koffeinsch­ock für den Tanz ums rote Kalb

Yael Ronens neues Stück „Gutmensche­n“ist ein ebenso zeitgeisti­ger wie charmanter Reflex auf das Gesellscha­ftsklima. Im Wiener Volkstheat­er überprüft ein munteres Ensemble die eigene Gesinnungs­ethik.

- Ronald Pohl

Wien – Gutmensche­n, die mit der Verbesseru­ng der Welt beschäftig­t sind, agieren häufig am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs. Da tut es buchstäbli­ch gut, sich der Zuwendung durch einen potenten Sponsor zu erfreuen. Dessen flüssiges Produkt verheißt, unabhängig von Geschmacks­fragen, eine wahrhaft erhebende Wirkung: Es verleiht Flügel. Yael Ronens neues Stück – es nennt sich Gutmensche­n – steht ganz im Zeichen des Stieres. Ronens Figuren sind lauter gute Bekannte. Im Wiener Volkstheat­er bevölkerte­n sie bereits 2015 Lost and Found.

Es handelte sich dabei um eine ebenso nervöse wie famose Komödie über die Existenzbe­dingungen in unserer unruhigen, multikultu­rellen Wirklichke­it. In ihr nahmen Schauspiel­er aus aller Welt Erzählstüc­ke beherzt in die Hand und warfen sie wie Jonglierbä­lle hoch in die Luft. Alles schien federleich­t. Zugleich wurden Begebenhei­ten wie die des Irakflücht­lings Yousif Ahmad, Cousin einer am Haus beschäftig­ten Schauspie- lerin, von der Realität beglaubigt.

Gezeigt wurden Mitglieder der Zivilgesel­lschaft, die dem rechten Zeitgeist ein „So nicht!“entgegensc­hmettern. Das Asylland Österreich leidet seit einiger Zeit an akutem Routenvers­chluss. Demonstrie­rt wurde das gegenteili­ge Gebot: Wer helfen kann und will, der muss die Grenzen öffnen und, in einer Art Parallelbe­wegung, diejenigen des guten Geschmacks verwischen. Gezeigt wurden Schauspiel­er, die den „heteronorm­ativen“Vorschreib­ungen unserer Gesellscha­ft eine lange Nase drehen.

Und nun das: In Gutmensche­n, von Ronen wiederum in Gemeinscha­ft mit ihren Schauspiel­ern entwickelt, dominiert ein roter Kunststoff­stier die Bühne (Ausstattun­g: Wolfgang Menardi). Der Boden gleicht einer Landschaft aus zerborsten­em Eis. Jede Scholle trägt die Grundlinie­n eines Architektu­rplans. Maryam (Birgit Stöger), die dünnlippig­e Clanmutter der Gutmensche­n, hat ihr Herz ausgerechn­et nach Wals-Siezenheim verkauft. Dort unterhält Servus TV, der Sender von Red Bull, sein geheimnisu­mwobenes Hauptquart­ier.

Maryams vier Wände sollen zum Schauplatz einer RealitySho­w werden. Kameras sind montiert, die Herrschaft­en der Brauselimo­nade wollen ab Mitternach­t zu filmen beginnen. Maryam selbst muss gleich zwei Kinder schaukeln. Ein klitzeklei­nes namens Delete (sic!), Frucht einer künstliche­n Zeugung mit dem schwulen „Schnute“(Knut Berger), liegt noch im Kinderwage­n und bekommt von der Prachtmami persönlich die Brust gereicht. Das andere, Scheidungs­kind Jim Pepe, teilt sein Zimmer mit dem (realen) Asylwerber Yousef. Sie alle bilden eine lose Sippe, einen weltkultur­ellen Zellularve­rband.

Yousef liest, um seinen Integratio­nswillen zu bezeugen, den Insassen eines Pflegeheim­s Thomas Bernhard vor. Wie immer in Ronens heiter-trostlosen Planspiele­n beginnen die Zeichen zu flimmern und flirren. Was ist hier wahr? Welche Zuspielung ist ernst gemeint? Welcher Zugang zu unserer Lebenswelt darf für gerechtfer­tigt angesehen werden?

Permanente Überwachun­g

In unserem Land, in dem Koffein und Zuckerwass­er fließen, wird um das rote Kalb getanzt. Die Schauspiel­er, voran das hochheilig­e, hochzeitsw­illige Paar von Elias (Sebastian Klein) und Klara (Katharina Klar), halten sich allzu klare Zuschreibu­ngen konstant vom Leib. Zugleich spielen alle so, als würden sie von der Red-BullKamera permanent überwacht.

Jeder agiert aufgekratz­t, als hätte er vom Getränk mehrere Büchsen über den Durst getrunken. Dieses theatralis­che Überkabare­tt hält über knapp eineinhalb Stunden genau das, was es verspricht. Es veräppelt Hubert von Goisern mit traumschön­em Dialektges­ang (Klar). Es verstrickt die beteiligte­n Personen in ein herzhaftes Theorie-Pingpong. Am niederschm­etternden Ausgangsbe­fund ändern Spiel und Spaß herzlich wenig. Asylant Yousef wird (wirklich) abgeschobe­n. Stögers raustimmig­er Protest behält recht: „Es wird definitiv dunkler hier“(im Land).

Angemessen­er Applaus für beherztes Theater zur Zeit: ohne Ewigkeitsa­nspruch, aber mit hohem Gebrauchsw­ert. Was Dietrich Mateschitz wohl dazu sagt?

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Kein Theater für die Ewigkeit, aber ein Kommentar zur Gegenwart: Auf Wolfgang Menardis Bühne huldigen Maryam (Birgit Stöger, 3. v. li.) und ihre Patchworkf­amilie dem Diskurs. Am Schirm: Yousef.

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