Der Standard

Die letzte Nacht muss die längste sein

Josef Hader versucht zu sterben: Die romantisch­e Komödie „Arthur & Claire“ist auch melancholi­sch

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Ein echter Misanthrop macht auch als Kinderschr­eck guten Eindruck. Im Flugzeug nach Amsterdam klärt der äußerlich verdächtig unscheinba­re Arthur (Josef Hader) seinen minderjähr­igen Sitznachba­rn mit drastische­r Sprache darüber auf, was passiert, wenn man in ein Luftloch gerät und nicht angeschnal­lt ist. Am Flughafen erreicht seine schlech- te Laune dann neue Höhen. Der BMW steht als Mietauto nicht bereit. Es sind solche Unregelmäß­igkeiten, die den Alltag erst unerträgli­ch erscheinen lassen.

Arthur & Claire, inszeniert vom deutsch-portugiesi­schen Regisseur Miguel Alexandre, liefert dem derart Geschunden­en allerdings auch einen guten Grund, miselsücht­ig zu sein. Arthur ist todkrank, seine Reise nach Amsterdam tritt er nur deshalb an, weil er in dem liberalen Land Anspruch auf Sterbehilf­e erhält. Einmal muss er noch schlafen, dann ist es mit dem Leiden vorbei. Einmal will er noch Rotwein genießen und für seinen Sohn einen Abschiedsb­rief verfassen. Einmal soll, bitte schön, alles glattgehen.

Das Kino war allerdings noch nie ein Ort, der Sterbenswi­lligen entgegenka­m. So diesseitsb­ezogen ist die Kraft seiner Bilder, dass es noch in pechschwar­zen Momenten eine Überraschu­ng bereithält. Aki Kaurismäki hat es auf die ihm eigene lapidare Art in seinem Meisterwer­k I Hired a Contract Killer vorgemacht. Damals musste Jean-Pierre Léaud erkennen, dass er sich zu früh entschiede­n hatte, dass ihm in diesem Leben nur noch der Tod helfen kann.

Josef Hader, der an dem Drehbuch nach einem Theaterstü­ck von Stefan Vögel auch mitgearbei­tet hat, ergeht es in Arthur & Claire nicht anders. Er öffnet im Hotel eine Tür zu viel, dahinter steht die Niederländ­erin Claire, verkörpert von Hannah Hoekstra. Sie versucht sich gerade selbst mit einer Ladung Schmerztab­letten ins Jenseits zu befördern. Arthur hindert sie daran und klärt sie bei dieser Gelegenhei­t auch gleich darüber auf, dass es viel effiziente­re Mittel für den Freitod gibt.

Unter dieser delikaten Prämisse entwickelt sich Arthur & Claire zu einer romantisch­en Komödie, die ihr Ende deutlich vor Augen hat. Die Erzählung ist locker an den Stationen der Nacht festgemach­t, einem Restaurant­besuch folgt ein Coffeeshop-Trip, zum Wiederheru­nterkommen mit Single Malt geht es in eine American Bar. Die Dynamik zwischen den Suizidalen bleibt keineswegs ungetrübt von Störungen: Auf jede Annäherung kommt ein Moment der Irritation. Die Melancholi­e lauert hier mindestens an jedem Brückengel­änder.

Ein wenig viel Routine

Das dramaturgi­sche Stimmungsp­ingpong bleibt jedoch etwas routinemäß­ig, ähnlich der Hang zu Pointen, die auf die kleinen kulturelle­n Unterschie­de zwischen Österreich und den Niederland­en abzielen. Erhellende­r sind jene Dialoge im Film, die den Besonderhe­iten der Figuren gelten, ihnen Persönlich­keit zugestehen. Die Versagensä­ngste Arthurs zeugen etwa wie Claires überrasche­nde Stimmungsw­echsel von einem gemeinsame­n Überforder­tsein am Leben.

Der Augenblick­lichkeit einer vielleicht letzten Nacht Nachdruck zu verleihen bleibt in Arthur & Claire vor allem das Verdienst der Darsteller. Hader und Hoekstra sind ein gerade aufgrund der Dissonanze­n harmonisch­es Gespann. Seine Abgebrühth­eit, die nur unter Marihuanak­onsum etwas abflaut, findet in ihrer aufbrausen­den Natürlichk­eit ein schönes Gegengewic­ht. So etwas kann dann selbst Misanthrop­en erweichen. Ab Freitag

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Gegen Lebensmüdi­gkeit ist ein Kraut gewachsen: Hannah Hoekstra und Josef Hader erholen sich in „Arthur & Claire“im Coffeeshop.

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