LESERSTIMME
Rechtslage, Rechtsempfinden
Betrifft: „Justizpolitik“von Hans Rauscher und „Willkommen in der Postdemokratie!“von Heinz Mayer der Standard, 8.+10./11. 2. 2018 Im Gegensatz zu Hans Rauscher stimme ich Ex-Justizminister Brandstetter zu, dass die Kritik verschiedener Juristen an der geplanten Änderung des Strafrechts einseitig ist – wie meines Erachtens auch die Berichterstattung im Standard darüber.
Dass die Vergewaltigung eines minderjährigen Buben, der davon lebenslang traumatisiert ist, mit gerade vier Jahren geahndet wurde (Theresienbad-Fall 2015/17), ist im Vergleich zu anderen Eigen- tums- und politischen Delikten unangemessen niedrig und ein Schlag in das Gesicht des Opfers.
Aber der OGH und viele der heute so kritischen Juristen hielten es damals für nötig bzw. korrekt, dass die Strafe von sieben auf vier Jahre reduziert wurde, u. a. unter Hinweis auf die „Unbescholtenheit“des Täters – als ob jemand bei einem irakischen Asylwerber einen korrekten Strafregisterauszug prüfen könnte.
Der Fall beweist erstens, dass die von einem dieser kritischen Juristen, Heinz Mayer, behauptete Mindeststrafe von fünf Jahren für schwere Vergewaltigungen in der Praxis nicht zutrifft. Herr Mayer tut somit das, was er implizite der Bundesregierung vorwirft: Er manipuliert die Fakten bzw. zitiert sie selektiv.
Zweitens zeigt der Fall, dass sich eine Juristen- und Medienelite nicht angemessen mit dem natürlichen Rechtsempfinden der Bevölkerung auseinandersetzen möchte (u. a. eine Ursache für die heutige Blüte von „Populisten“).
Dass Staatssekretärin Edtstadler sich bei der Absicht, das Strafrecht nun zu reformieren, auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung bezieht, ist völlig legitim und auch notwendig. Wenn Rechtslage und Rechtsempfinden der Mehrheit auseinanderklaffen, hat ein Rechtsstaat ein Legitimitätsproblem. Joseph Grinzinger, per Mail