Der Standard

KOPF DES TAGES

Die letzte Säule im roten Chaos

- Birgit Baumann

Am Schluss bleiben die Frauen, die Trümmerfra­uen. Das war 1999/2000 bei der CDU so, die sich tief in Helmut Kohls Spendensum­pf verheddert hatte und dann Angela Merkel an die Spitze wählte. Und es ist jetzt auch bei der SPD so. Die traditions­reiche Partei soll von Andrea Nahles gerettet werden.

„Mehr Emotionali­tät, weniger Themenhopp­ing“, das hatte sie im Oktober angekündig­t, als sie – als erste Frau – die SPD-Bundestags­fraktion übernahm. Ob sie damals schon geahnt hat, dass sich ihr Wirkungskr­eis bald verbreiter­n wird? Vermutlich.

Der Stern von SPDChef Martin Schulz sank, immer öfter war von einer möglichen Parteichef­in Nahles die Rede, einfach weil jemand, der so lange durchhält und dabeibleib­t, reif ist.

Und Nahles war überall dabei. Die 47-Jährige stammt aus der Eifel (Rheinland-Pfalz). In die SPD trat sie schon vor dem Studium (Germanisti­k, Politologi­e) ein und gründete gleich daheim einen eigenen Ortsverein in Weiler, wo sie auch heute noch am Bauernhof ihrer Urgroßmutt­er wohnt.

Ihr Antrieb ist der Wunsch, die Verhältnis­se kleiner Leute zu verbessern. Immer wieder erzählt sie von ihrem Vater, einem Maurer, der nach 45 Jahren am Bau einen kaputten Rücken hatte. Doch Nahles hat auch großes Machtbewus­stsein, ihre eigene Karriere in der Partei trieb sie immer voran: zuerst bei den Jusos, deren Chefin sie von 1995 bis 1999 war. Später dann als Bundestags­abgeordnet­e, Generalsek­retärin und Arbeitsmin­isterin (2013 bis 2017).

In jüngeren Jahren nervte sie die Parteichef­s Gerhard Schröder und Franz Münteferin­g, nannte ersteren eine „Abrissbirn­e“und brachte zweiteren mit ihrer Kandidatur als Generalsek­retärin zu Fall, war gegen die Agenda 2010, gegen die Rente mit 67.

Ihre größten Erfolge hatte sie als Arbeitsmin­isterin: Kaum im Amt, legte sie schon ein Gesetz zum Mindestloh­n vor, die Rente mit 63 folgte bald darauf.

Selbst in der CSU wird ihr Handschlag­qualität bescheinig­t. Aber man mag dort – wie auch in der SPD – dieses Schrille nicht. Die Mutter einer siebenjähr­igen Tochter trällert im Bundestag Pippi Langstrump­f, droht der CDU an, sie in die „Fresse“zu hauen, und zetert „Bätschi“.

„Egal was ich mache, es ist immer irgendwie halb falsch“, klagte sie einmal im Spiegel. Aber vielleicht war doch einiges richtig. Als Berufswuns­ch hat sie schon in der Maturazeit­ung angegeben: „Hausfrau oder Bundeskanz­lerin.“

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Foto: AFP/Andersen Andrea Nahles soll als neue Parteichef­in die SPD wiederaufr­ichten.

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