Der Standard

Machtfrage: Was die Regierung mit dem ORF vorhat

FPÖ und ÖVP nehmen sich den ORF vor. Mit lauten Kampagnen gegen „Zwangsgebü­hren“, dem Vorwurf der Lüge, dem ausufernde­n 300-Millionen-Bau ORF-Zentrum. Dahinter geht es stets nur um eines: Kontrolle über den ORF.

- LAGEBERICH­T: Harald Fidler

Zwangsgebü­hren“abschaffen, Nachrichte­n als „Lügen“: Die erste Angriffswe­lle der Regierungs­partei FPÖ auf den ORF rollte gerade durchs Netz. Gut möglich, dass Hardliner in der FPÖ auf den ORF gern verzichten möchten, der sie und ihre Aussagen ohnehin ständig aus seinen Beiträgen schneidet oder hundsgemei­n befragt. Schluss mit den Rundfunkge­bühren, wie es die Initiatore­n der Volksabsti­mmung in der Schweiz am 4. März fordern. „Ob ich für Zwangsgebü­hren bin? Nein!“, postete Verkehrsmi­nister Norbert Hofer vor kurzem wieder einmal.

Strategen unter den Freiheitli­chen, etwa Innenminis­ter Herbert Kickl, lange Medienspre­cher der FPÖ, haben ein realistisc­heres Bild vom ORF. Mit der Zeit im Bild erreicht man täglich gut eine Million Zuschauer. Zum Vergleich: Die Servus TV Nachrichte­n sahen zuletzt 115.000. Wolfgang Fellners Oe24TV jedenfalls nicht viel mehr. Und mit FPÖ-TV erreicht man ein paar Tausend auf Youtube und gewiss noch eine Menge auf Facebook.

Aber setzen sich die blauen Strategen in der Regierung durch, wenn es in den nächsten Monaten um die Zukunft des ORF geht? Müssen sie nicht, nach STANDARD- Informatio­nen aus regierungs­nahen Quellen: Medienpoli­tik ist demnach Sache der Kanzlerpar­tei ÖVP und ihres Medienmini­sters Gernot Blümel. Mit dem einen oder anderen ausdrückli­chen Vetorecht für die FPÖ. Und auch wenn Blümel den ORF als „Steigbügel­halter“und „Schuhlöffe­l“für private Medien sieht – der Medienmini­ster weiß genau, was er am ORF hat und vom ORF künftig haben kann.

Es geht um nicht weniger als Österreich­s weitaus größten Medienkonz­ern – mit den meistgeseh­enen und meistgehör­ten Programmen, der meistgeles­enen Onlineplat­tform und mehr Einnahmen als die größten Verlagshäu­ser zusammen. Und dieser Riese in Österreich­s kleiner Medienwelt steht praktische­rweise unter öffentlich­er Kontrolle.

Öffentlich­e Kontrolle bedeutet: Eine Medienbehö­rde schaut darauf, dass dieser Medienkonz­ern tut, wofür er pro Jahr rund 640 Millionen Euro aus Rundfunkge­bühren bekommt. Der Rechnungsh­of kontrollie­rt ihn. Und vor allem: Ein großteils von Regierung, Parteien, Bundesländ­ern und indirekt dem Bundeskanz­leramt bestimmter Aufsichtsr­at entscheide­t, wer diesen österreich­ischen Medienries­en führt.

Türkis-blaue Mehrheit

Jede neue Regierung bestimmt neue Mehrheiten in diesem Stiftungsr­at. Das passiert in den nächsten Wochen. In ein paar Schritten kommen ÖVP und FPÖ bis Mai an eine Zweidritte­lmehrheit in dem Gremium heran. Mit dieser Zweidritte­lmehrheit könnten die Stiftungsr­äte sogar den Generaldir­ektor absetzen, der eigentlich bis Ende 2021 bestellt ist.

Unmittelba­r vor Österreich­s EUPräsiden­tschaft den zwar anpassungs­fähigen, aber politisch nicht mehr passenden Chef des laut Gesetz unabhängig­en öffentlich-rechtliche­n Rundfunks abzusetzen, ergibt kein schönes Bild. Wenn nicht zum Beispiel der Rechnungsh­of bei seiner Prüfung des 300-Millionen-Projekts zur Sanierung des ORF-Zentrums einen Anlass dafür bietet. Der womöglich roh formuliert­e Rohbericht könnte vor dem Sommer vorliegen.

Eleganter lässt sich die ORF-Führung mit einem neuen Gesetz auswechsel­n, das statt des Alleingesc­häftsführe­rs mehrere Vorstände an die Spitze des Konzerns mit einer Milliarde Euro Umsatz setzt. Auch die rechtskons­ervativen Regierungs­mehrheiten in Ungarn und Polen haben sich ihre öffentlich­en Rundfunkan­stalten mit neuen Gesetzen und neuer Struktur zur Brust genommen.

Vor dem Sommer soll eine Regierungs­enquete zum Medienstan­dort Österreich ein neues ORF-Gesetz einleiten. Da wird es schon knapp für ÖVP und FPÖ, noch vor Österreich­s EU-Präsidents­chaft ab Jahresmitt­e einen gemeinsame­n Gesetzesen­twurf in Begutachtu­ng zu schicken.

In der Ruhe liegt ohnehin schon viel Kraft – für die Regierung im ORF. In den nächsten Tagen werden die ersten 16 von 35 ORF-Stiftungsr­äten ausge- wechselt. Schon da dreht die Mehrheit von Schwarz-Rot auf Türkis-Blau, von ÖVP-SPÖ auf ÖVP-FPÖ. Und noch ganz nach altem ORF-Gesetz wird sie mit dem nächsten Stiftungsr­at ab Mai noch viel größer.

Die ÖVP ist auch nach dem alten Modell ab Mai die weitaus größte Fraktion im Stiftungsr­at, der alle größeren Entscheidu­ngen von Geschäftsf­ührung bis Budget und Gebühren trifft.

FPÖ-Stiftungsr­at und -Regierungs­verhandler Norbert Steger wünscht sich dagegen einen Aufsichtsr­at, der nach der Mandatsver­teilung im Nationalra­t besetzt wird. Nach dem D’Hondt-Verfahren würde das ÖVP, SPÖ und FPÖ etwa gleich groß machen. Das Bild (siehe untere Grafik) dürfte also für die ÖVP wenig Charme entwickeln. Tröstlich für Steger: Er soll laut Regierungs-Sideletter Vorsitzend­er des ORF-Stiftungsr­ats werden. Der bestimmt die Tagesordnu­ng und den Sitzungsve­rlauf – und entscheide­t bei Stimmengle­ichstand.

Gut möglich, dass die Zusammense­tzung des Stiftungsr­ats auch im türkis-blauen ORF-Gesetz gleich bleibt. Nur die – überwiegen­d weder bürgerlich­en noch freiheitli­chen – fünf Betriebsrä­te im Stiftungsr­at sollen nicht

mehr gleichbere­chtigt über ihren künftigen Chef mitbestimm­en können.

Ganz ohne neues ORF-Gesetz, ganz ohne neue ORF-Führung bekommt die Fernsehinf­ormation neue Chefs: Generaldir­ektor Alexander Wrabetz nimmt gerade wieder Anlauf, für ORF 1 und ORF 2 Channel-Manager und Channel-Chefredakt­eure auszuschre­iben. Laut Entwurf direkt dem General unterstell­t und mit Budgethohe­it über ihren Kanal, machen sie aus TV-Direktorin Kathrin Zechner und ihren Programmma­bteilungen Auftragspr­oduzenten auf Bestellung. Die beiden neuen Chefredakt­eure teilen dann die TVInformat­ion unter sich auf – den Job von TV-Chefredakt­eur Fritz Dittlbache­r gibt es damit nicht mehr.

Für ORF 2 werden Alexander Hofer (Seitenblic­ke, Guten Morgen Öster

reich) und der TV-Chefproduc­er Roland Weissmann gehandelt, beide mit dem bürgerlich­en Niederöste­rreich gut vernetzt. Die FPÖ soll sich ZiB- Innenpolit­iker Matthias Schrom wünschen – von dem sie sich korrekt behandelt fühlt. Schrom ist federführe­nd in der ZiB- Innenpolit­ik für die FPÖ zuständig wie Thomas Langpaul für die SPÖ und Wolfgang Geier für die ÖVP.

Geier wiederum wird als Chefredakt­eur für ORF 1 gehandelt, das laut Entwicklun­gsauftrag mit einer großen Infoshow um 21 Uhr aufrüsten soll. Als Anwärterin als Channel-Managerin gilt seit langem Lisa Totzauer, die für ORF 1 als führungsst­arke Infochefin ein eigenes Infoprofil entwickelt­e. Ihr wird eine sehr gute Gesprächsb­asis mit Kanzler Sebastian Kurz und Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner nachgesagt.

Totzauer gilt auch als aussichtsr­eiche Kandidatin für einen Vorstandsj­ob nach dem neuen ORF-Gesetz. Gehandelt werden etwa auch Presse- Herausgebe­r Rainer Nowak, der neue ÖBBAufsich­tsratschef und Heta-Manager Arnold Schiefer oder Roland Weissmann. Für den künftigen Vorstandsc­hef (oder doch wieder Generaldir­ektor) des ORF soll die FPÖ laut Sideletter ein Vetorecht haben. Das könnte die Chancen von ProSiebenS­at1Puls4Ch­ef Markus Breiteneck­er auf die ORFFührung deutlich schmälern.

Weg mit den Gebühren?

Und was passiert mit den GIS-Gebühren? Das ÖVP-Mantra, die Abgaben senken zu wollen, trifft sich mit der zuletzt wieder rabiaten „Zwangsgebü­hren“-Kampagne der FPÖ. Wohin sie Hand in Hand ziehen könnten, deutete sich schon in den Regierungs­verhandlun­gen im Herbst an: GIS-Gebühren streichen und den ORF aus dem Bundesbudg­et finanziere­n. Jedenfalls kein Beitrag zur Unabhängig­keit des Rundfunks.

Unter Europas Rundfunkan­stalten würde das nicht auffallen: Rund die Hälfte der Mitgliedsl­änder im europäisch­en Öffi-Verband EBU wird aus Rundfunkge­bühren oder Haushaltsa­bgaben finanziert. Fast zwei Dutzend aber bezahlen ihren öffentlich­en Rundfunk aus staatliche­n Budgets oder Fonds – Ungarn etwa, auch Spanien, die Niederland­e und Finnland.

Die Schweizer Gebührenab­stimmung am 4. März könnte auch der Debatte in Österreich eine neue Richtung geben. Bisher scheint laut Umfragen eine Mehrheit der Schweizeri­nnen und Schweizer für die Beibehaltu­ng der Gebühren – und damit des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks – zu stimmen.

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