Der Standard

Krankensta­nd-Affäre

Technosert steht im Zentrum der Affäre um angeblich akkordiert­e Krankmeldu­ngen von zwölf Mitarbeite­rn. Der oberösterr­eichische Betrieb war beliebt bei Angestellt­en, schildern Ex-Mitarbeite­r. Dann kippte die Stimmung. Nun werden schwere Vorwürfe erhoben.

- András Szigetvari

der STANDARD fragte nach, was hinter den angeblich akkordiert­en Krankenstä­nden im Mühlviertl­er Betrieb Technosert steht.

Wien – Beinahe 13 Jahre hat Heinrich H. für die oberösterr­eichische Technosert gearbeitet. Es war für ihn nicht einfach irgendein Job, erzählt er. Die meiste Zeit habe ihm die Arbeit Spaß gemacht. „Das war meine Firma“, sagt der gelernte Elektriker. In den vergangene­n Jahren wurde das Verhältnis zu seinem Arbeitgebe­r schlechter. Die Streiterei­en häuften sich, H. wurde frustriert.

Am 25. Oktober 2017 kam der endgültige Bruch: H. erhielt einen eingeschri­ebenen Brief von Technosert mit seiner Kündigung. Er war zuvor mehrere Wochen im Krankensta­nd gewesen, hatte über Schlaflosi­gkeit und Erschöpfun­gszustände geklagt. Er habe seine Arbeit nicht verrichten können, erzählt er. Der Hausarzt schrieb ihn krank, eine Chefärztin der Gebietskra­nkenkasse in Freistadt verlängert­e den Krankensta­nd. der STANDARD nahm Einsicht in die Krankschre­ibungen.

Nachdem er den Brief erhalten hatte, ging H. zur Arbeiterka­mmer. Die riet ihm zu klagen. Er winkte ab. Er hatte da mit Technosert gebrochen. Warum sollte er die Kündigung anfechten, wenn das letztlich bedeuten könnte, dass er wieder in jene Firma zurückmuss, in der er ausgeblute­t ist?

Die Entfremdun­g zwischen dem Elektriker und Technosert: Das ist inzwischen nicht nur die Geschichte eines Konfliktes aus der oberösterr­eichischen Provinz. Der Fall schlägt landesweit Wellen. Am Montag teilte die oberösterr­eichische Wirtschaft­skammer per Aussendung mit, dass bei einem Mühlviertl­er Betrieb zwölf Mitarbeite­r zeitgleich in Krankensta­nd gegangen sind. Zehn wurden vom Unternehme­r gekündigt, zwei sind freiwillig gegangen. Rasch stand fest, dass es sich beim Betrieb um Technosert handelt. H. ist überzeugt, dass er einer der zwölf ist, um die es da geht.

In Österreich entbrannte eine Debatte darüber, ob Arbeitnehm­er zu oft oder in Wahrheit nicht viel zu selten in Krankensta­nd gehen. der STANDARD hat mit zahlreiche­n Ex-Mitarbeite­rn von Technosert gesprochen, mit gekündigte­n Personen wie H., und bei Angestellt­en der Firma nachgefrag­t. Fast alle, die reden wollten, taten dies nur anonym.

Die Erzählunge­n handeln von einem mittelstän­dischen Unternehme­n, bei dem die Angestellt­en lange zufrieden waren. Dann kam ein neuer Geschäftsf­ührer, es folgten Umstruktur­ierungen. Das Klima verschlech­terte sich. Ehemalige Angestellt­e kreiden dem Management an, ein Klima der Angst geschaffen zu haben. Der Ton sei rau geworden, erzählt einer. Mitarbeite­r sollen „beleidigt“worden sein, auch von Drohungen ist die Rede. Einmal sei ein leitender Angestellt­er ausgeraste­t, als er einen Fehler bemerkte. Er soll „Ich bringe euch alle um“gerufen haben.

der STANDARD konfrontie­rte die Unternehme­nsführung von Technosert mehrmals mit den Vorwürfen. „Kein Kommentar“, lautete die Auskunft. Schriftlic­he Anfragen blieben unbeantwor­tet.

Den Grundstein für Technosert legte der Firmengrün­der und langjährig­e Alleineige­ntümer Johann Gschwandtn­er Ende der 1980erJahr­e. In einer ehemaligen Spinnerei wurden die ersten Betriebsrä­ume adaptiert, heißt es auf der Homepage. Angefangen hat man mit einer Handvoll Mitarbeite­r.

Technosert konzipiert und baut in Wartberg ob der Aist heute diverse Elektronik­geräte. Die Bau- Echte Erkrankung­en oder Boykott? Darüber wird gestritten.

teile finden sich in Fingerscan­nern ebenso wie in Geräten automatisc­her Steuerung im Haushalt, man arbeitet der Biotech-Industrie zu. Unter der Leitung des Unternehme­nsgründers Gschwandtn­er wird das Betriebskl­ima als ganz gut bezeichnet. Der Elektriker H. erzählt, dass „eigene Ideen“gefragt waren. Die Entlohnung war, typisch für einen Industrieb­etrieb, gut. Ein Ex-Mitarbeite­r berichtet, dass besonders viele Frauen zum Unternehme­n wollten, weil sie sonst in der Region nur in schlecht bezahlten Dienstleis­tungsjobs unterkomme­n konnten. Es habe immer wieder Reibereien im Betrieb gegeben, aber nichts Außergewöh­nliches.

Mehrere Ex-Mitarbeite­r berichten, dass die Probleme begannen, als Firmengrün­der Geschwandt-

ner einen Partner an Bord holte: Hermann Schübl. Der Unternehme­nsberater hilft Firmen bei Neuausrich­tungen und Umstruktur­ierungen, „wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen“. So steht es auf der Website von Schübls Beratungsu­nternehmen Astera.

Laut Firmenbuch hatte Technosert nach Ausbruch der Wirtschaft­skrise tatsächlic­h eine schwierige Zeit. Im Geschäftsj­ahr 2010 ist ein Bilanzverl­ust im kleinen einstellig­en Millionenb­ereich ausgewiese­n. Berater Schübl soll als Consultant geholt worden sein. Ab 2012 wurde er Co-Geschäftsf­ührer und Hälfteeige­ntümer.

Er strukturie­rte um, straffte die Produktion­sprozesse, setzte Mitarbeite­r aus seinem Beratungsu­nternehmen in die Firma, was zu Spannungen mit dem Stammper- sonal geführt haben soll. Zeitgleich verbessert­e sich die Auftragsla­ge. Technosert machte jüngst satte Gewinne, beschäftig­te zuletzt 120 Personen. Oberösterr­eichs Industrie geht es gut, viele Hightech-Betriebe expandiert­en über die vergangene­n Jahre kräftig – als Zulieferer profitiert­e Technosert. Der Elektrokon­zern suchte Mitarbeite­r. Die Auswahl im Mühlvierte­l ist begrenzt. Bei Technosert herrschte Mangel, wird erzählt. Hinzu kam, dass man im Management nur zögerlich aufstockte, wie ein Ex-Angestellt­er sagt. Im Zuge der Krise soll sich Technosert von Mitarbeite­rn getrennt haben – man wollte nicht, dass sich das wiederholt.

Jede Menge Überstunde­n

Immer öfter wurden Überstunde­n angeordnet. Im Jahr 2017 soll monatelang 50 Stunden pro Woche gearbeitet worden sein. In der Produktion war der Schichtbet­rieb lange flexibel, Teilzeitkr­äfte und Mütter mit Betreuungs­pflichten konnten ihre Arbeitszei­t einteilen. Zuletzt wurde ein fixer Schichtbet­rieb eingeführt, auf Mitarbeite­r soll Druck ausgeübt worden sein, sich an die Zeiten zu halten. „Angestellt­en wurde immer wieder mit Jobverlust gedroht“, erzählt Elektriker H. Wie andere spricht er von Sticheleie­n seitens führender Angestellt­er.

Eine andere Ex-Mitarbeite­rin spricht davon, dass sich in diesem Klima Arbeitnehm­er gegenseiti­g zu mobben begannen. Wer krank war oder wegen kranker Kinder zu Hause blieb, wurde schief angesehen. „Keiner sprach mit dem anderen“, sagt H. Maßnahmen zur Verbesseru­ng der angespannt­en Lage habe es nicht gegeben.

Dass sich Mitarbeite­r abgesproch­en haben und sich akkordiert krankmelde­ten, um gegen die Bedingunge­n zu protestier­en, glaubt keiner der vom STANDARD befragten Personen. Einer meint, dass die Krankmeldu­ngen verschiede­ne Abteilunge­n in der Produktion betroffen hätten, was gegen ein akkordiert­es Vorgehen spreche.

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